Von West-Darfur in den Tschad: Ein Logistiker von Ärzte ohne Grenzen berichtet aus dem Konfliktgebiet

Blick aus der Vogelperspektive. West-Darfur, Mai 2022.

Sudan6 Min.

«El Geneina» bedeutet auf Arabisch «der Garten». Was die Menschen dort zurzeit erleben, hat jedoch so gar nichts Idyllisches an sich. Die Realität schmerzt: Schätzungen zufolge wurden seit Beginn der Kämpfe mindestens 500 Menschen getötet. Ungefähr genauso viele Verwundete sind in der Stadt eingekesselt. Zugang zu medizinischer Versorgung haben sie nicht. Niemand kann in die Stadt hinein, um ihnen zu helfen – und niemand kann hinaus. Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) hat ein chirurgisches Team, das in Adré, im Tschad, einsatzbereit ist. Doch aufgrund der anhaltenden Kämpfe ist es derzeit unmöglich, Patient:innen zu evakuieren.

El Geneina ist die Hauptstadt des Bundesstaates West-Darfur. Seit Jahrzehnten hält die Gewalt sie fest im Griff, es kommt massenhaft zu Vertreibungen. In den ersten Tagen des Konflikts blieb es ruhig in El Geneina. Vieles deutete darauf hin, dass die Gewalt die Stadt nicht erreichen würde. Doch es kam anders: Am 24. April brachen schwere Kämpfe zwischen den Kriegsparteien und bewaffneten Jugendlichen aus verschiedenen Gemeinschaften aus. Es wurde gekämpft und geplündert. Die Situation geriet ausser Kontrolle – und das Gebiet wurde schnell zu einem Brennpunkt des Konflikts.

Die Bewohner:innen von El Geneina sind in eine Spirale der Gewalt geraten. Nicht nur die Kampfhandlungen, sondern auch die anhaltende Unsicherheit und fehlende medizinische Hilfe belasten ihren Alltag. Sämtliche Bevölkerungsgruppen sind betroffen: schwangere Frauen, Kinder und alle, die ärztliche Hilfe benötigen. Grundlegende Güter werden zunehmend knapp – zum Beispiel das Trinkwasser.

Seit Jahren unterstützen wir das Lehrspital von El Geneina. Es gilt als wichtigste Gesundheitseinrichtung in West-Darfur. Am 26. April wurde das Spital geplündert. Daraufhin musste der Betrieb eingestellt werden – auch in den Abteilungen, in denen unsere Teams arbeiten. In den ersten Tagen des Konflikts gelang es unserer Organisation, die verbleibenden Medikamentenvorräte an verschiedene Gemeinden zu verteilen. Doch die Lage spitzte sich zu und die Infrastruktur des Spitals wurde beschädigt, so dass es nicht mehr funktionsfähig war. Unsere Teams hatten weder Zugang zum Spital, noch konnten sie mobile Kliniken in den Nomadengemeinden Galala, Mogshasha, Wadi Rati und Gelchek betreiben. Unsere Dienste im Spital von Kreinik können wir bisher aufrechterhalten, doch auch dort gehen nach und nach die Vorräte aus.

Moussa Ibrahim, unser Logistikbeauftragter in El Geneina, ist vor einigen Tagen nach Adré im Tschad gereist, um die Aktivitäten unserer Teams zu prüfen. Er wird zudem abklären, wie eine logistische Unterstützung in West-Darfur derzeit aussehen könnte. 

Erfahrungsbericht von Moussa Ibrahim, Logistikbeauftrager in El Geneina

«Seit Juli 2021 arbeite ich als Logistikleiter bei Ärzte ohne Grenzen in El Geneina. Aufgrund des Strom- und Internetausfalls war es erforderlich, dass ich in den Tschad reise. Ausserdem sollte eine enge Koordinierung mit unseren Teams in Adré hergestellt werden. Sie sind jederzeit einsatzbereit und können überall dort aktiv werden, wo dies möglich und nötig ist.  

Der Weg von El Geneina in den Tschad ist voller Gefahren. Bewaffnete Gruppen patrouillieren überall und können Reisende jederzeit anhalten. Eine Sicherheitsgarantie gibt es nicht. Der Konflikt eskaliert, und seine Folgen sind verheerend: Humanitäre Organisationen werden angegriffen, Polizeipräsidien gestürmt und geplündert. Zudem hat es Anschläge auf zivile Einrichtungen gegeben – zum Beispiel auf den örtlichen Markt oder die Universität.

Unter diesen erschütternden Umständen wurde auch das von uns unterstützte Spital «ausgeräumt»: Das gesamte medizinische Material wurde entwendet und Teile der Einrichtung wurden zerstört.

Moussa Ibrahim, Logistikbeauftrager in El Geneina

Ich bin Logistiker in der humanitäre Hilfe, und es zerreisst mir das Herz, wenn ich sehe, wie schnell unsere jahrelangen Bemühungen zunichte gemacht werden. Jahrelang leisteten wir medizinische Hilfe für alle Bevölkerungsgruppen in West-Darfur. Aufgrund der anhaltenden Gewalt hätten diese Menschen sonst gar keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung.

Im Lehrspital von El Geneina leiteten unsere Teams lange Zeit die stationären Abteilungen für Pädiatrie und Ernährung, führten Massnahmen zur Infektionsprävention durch und kümmerten sich um die Wasser- und Sanitärversorgung. Im Laufe der Jahre kamen immer mehr Patient:innen zu uns. Nicht nur aus der Stadt El Geneina und den umliegenden Vertriebenencamps, sondern aus ganz West-Darfur.

Die Gefahr von Schiessereien, Scharfschützen und Autodiebstählen ist gross. In der Stadt kann man derzeit kaum sein eigenes Haus verlassen. Der Zugang zu lebenswichtigen Gütern wie Wasser ist mit Risiken verbunden, auf den Strassen liegen viele Leichen, es ist unmöglich, sie alle zu bergen. In den ersten Tagen der Kämpfe haben sich Mitarbeitende des Roten Halbmonds um die Verstorbenen gekümmert. Doch die Lage spitzte sich zu, und die Toten blieben liegen. Als der Zugang in die Stadt endlich wieder frei wurde, waren die Leichen bereits so verwest, dass sie nicht mehr abtransportiert werden konnten. Das Beste, was man jetzt noch tun kann, ist, die Körper an einem zentralen Ort aufzubahren.

Die Situation ist unerträglich. Es muss umgehend gehandelt werden. Die Verhandlungen zwischen den Leitern der Gemeinschaft und allen Kriegsparteien müssen vorangetrieben werden, um diesem Schrecken möglichst bald ein Ende zu setzen. Die meisten Hilfsorganisationen haben den Sudan verlassen. Deshalb ist es umso wichtiger, die Arbeit derjenigen, die geblieben sind, zu ermöglich und zu erleichtern. Auch unsere medizinischen Teams setzen sich vor Ort für die Bevölkerung ein. Der Schutz der Zivilbevölkerung und die Sicherheit des medizinischen Personals und der Gesundheitseinrichtungen muss dabei gewährleistet werden. Das ist ein humanitärer Imperativ.   

Mein Aufenthalt im Tschad war kurz, da ich zu meiner Familie in El Geneina zurückkehren musste. Eine meiner Hauptaufgaben war es, die Tagelöhner:innen für ihren guten Einsatz beim Schutz unseres Geländes zu entschädigen. Glücklicherweise blieben eines unserer Büros und unsere Lagerhäuser unversehrt. Das ist auch der Verdienst der Menschen aus der Umgebung, die sich mit allen Mitteln dafür eingesetzt haben, Plünderungen zu verhindern. Dennoch ist die Lage nach wie vor katastrophal. Es muss dringend gehandelt werden, um die Sicherheit der Menschen in El Geneina zu gewährleisten.»