Images du déplacement dans un camp autour de Tawila.
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Images du déplacement dans un camp autour de Tawila.
© Jérôme Tubiana

Notfall Sudan: Wir können handeln

Ich gehörte zu verschiedenen unserer Teams, die auf die enormen humanitären Bedürfnisse reagieren, die mehr als 30 Monate rücksichtslosen Krieges verursacht haben. Und es sind nicht nur die Menschen im Sudan, die Hilfe brauchen. Die Bedürfnisse folgen den Menschen, wo immer sie Zuflucht suchen. Hunderttausende sind in Nachbarländer wie den Tschad geflohen, wo ich ebenfalls mehrere Monate gearbeitet habe.

Ich bin Programmverantwortlicher in einer unserer Projektabteilungen und war bereits in verschiedenen Ländern für die Koordination unserer Arbeit verantwortlich. Im Krieg im Sudan waren meine Stationen u. a. die Hauptstadt Khartum und die Region Darfur.

Jean-Nicolas Armstrong-Dangelser

 

Ich arbeitete in verschiedenen Teams von Ärzte ohne Grenzen. Zusammen mit meinen Kolleg:innen unterstützten wir die Menschen, die seit zweieinhalb Jahren einem rücksichtlosen Krieg ausgeliefert sind.

Es sind nicht nur die Menschen im Sudan, die Hilfe brauchen. Die Bedürfnisse folgen den Menschen, wo immer sie Zuflucht suchen. Hunderttausende sind in Nachbarländer wie den Tschad geflohen, wo ich ebenfalls mehrere Monate gearbeitet habe.

Ohne Rücksicht auf Menschenleben und Würde

 

Eine der Erinnerungen, die sich mir besonders eingeprägt haben, ist das Treffen mit Geflüchteten, die vor den Massenmorden im Juni und November 2023 in al-Dschunaina, der Hauptstadt von West-Darfur, geflohen waren. Ich habe sie im Mai 2024 getroffen, als die Rapid Support Forces (RSF) mit der Belagerung von El Fasher begonnen hatten. Sie erzählten mir von ihren schrecklichen Erlebnissen: Wie Tausende brutal getötet worden waren. Und sie fürchteten, dass den in El Fasher verbliebenen Menschen bald dasselbe widerfahren würde.

In besonderer Erinnerung blieb mir der Schock und die Trauer in den Gesichtern derjenigen, die vor den schweren Kämpfen fliehen mussten und in die Hauptstadt Khartum zurückkehrten. Sie kamen in Stadtviertel, die nach monatelangen erbitterten Strassenkämpfen und wahllosem schwerem Artilleriebeschuss sowie Luftangriffen vollständig zerstört waren. Die Verwüstung zeigte deutlich, dass die bewaffneten Akteure darauf abzielen, den Feind zu zerstören – ohne Rücksicht auf Menschenleben und Würde.

Die dunkelste Seite in den Menschen

 

Das Ausmass der Zerstörung im Sudan ist niederschmetternd. Der Konflikt ist komplex. Ursachen und Zusammenhänge lassen sich nicht in wenigen Sätzen zusammenfassen. Doch eines ist klar: Das soziale Gefüge des Landes wird zerstört. Ethnische Zugehörigkeiten werden von den Kriegsparteien instrumentalisiert – ähnlich wie es einst die Kolonialmächte taten. Diese gesellschaftlichen Spaltungen wurzeln tief in der Vergangenheit. Und auch die Nachwirkungen der aktuellen Ereignisse werden noch über Generationen zu spüren sein.

Ich würde das, was wir im Sudan erleben, nicht als «unmenschlich» bezeichnen. Vielmehr offenbart sich im Sudan seit 30 Monaten die dunkelste Seite in den Menschen – sichtbar in den schweren Gräueltaten an Zivilist:innen.

Es erinnert mich auf tragische Weise an die eskalierende Gewalt des Darfur-Kriegs der frühen 2000er-Jahre*. Damals waren dieselben Akteure involviert, die heute ebenfalls aktiv sind – auch wenn sich viele Beziehungen und Allianzen inzwischen verändert haben. Bis heute nehmen die bewaffneten Akteure im Sudan auch mit ihren Worten ganzen Gemeinschaften die Menschlichkeit, um die praktische und kulturelle Auslöschung der Menschen zu rechtfertigen.

Die Kraft der Zivilgesellschaft: Solidarität

Bis heute ist es aber auch die Zivilgesellschaft, die diesen Kräften entgegensteht: Die Grosszügigkeit und der Mut der sudanesischen Bevölkerung setzen sich in alten Formen der Solidarität fort. Gemeinschaftsküchen haben Millionen von Menschen monatelang, wenn nicht jahrelang, ernährt und tun dies weiterhin. Es gibt Netzwerke von Ärzt:innen und Notfallanlaufstellen – hunderttausende von Patient:innen werden so behandelt und unzählige Leben gerettet. Und dies sind nur einige Beispiele für die gegenseitige Hilfe, die im Sudan existiert. Die Menschen leisten eine unglaubliche Arbeit sowie den Grossteil der Hilfe für die sudanesische Bevölkerung, insbesondere in Gebieten, die seit Monaten für internationale Organisationen und staatliche Institutionen unzugänglich sind.

Wir alle haben den Sudan im Stich gelassen

Die internationale humanitäre Gemeinschaft hat die sudanesische Bevölkerung im Stich gelassen, als die meisten internationalen Organisationen zu Beginn des Kriegs die Sudanes:innen ihrem Schicksal überliessen. Nach wie vor wird Hilfe nicht dort geleistet, wo sie am dringendsten gebraucht wird – und nicht in dem Umfang, der erforderlich wäre.

Ebenso versagt hat die internationale Politik: vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UNSC) bis hin zu Staaten, die direkt oder indirekt zutiefst in den Konflikt involviert sind. Selbst nach der Resolution (2736) des UNSC, die die RSF aufgefordert hatte, ihre Belagerung von El Fasher** zu beenden, waren keine konkreten Massnahmen ergriffen worden.

In der Ära der «Post-Wahrheit», in der wir leben, behauptet jeder Kriegsakteur, Zivilist:innen zu schützen und internationales humanitäres Recht einzuhalten. Gleichzeitig heisst es von den Entscheidungsträgern, sie hätten keinen Einfluss, um die

Gewalt zu stoppen. Es sind leere Gesten, während die sudanesische Bevölkerung weiterhin darauf wartet, dass echter politischer Wille ihr Leben verändert.

Dieser Krieg wird nicht vergessen, sondern bewusst ignoriert.

Es ist unsere Entscheidung.

 

Fussnoten:

* Vor zwanzig Jahren gab es aufgrund des ersten Darfur-Kriegs den ersten Völkermordvorwurf in Bezug auf den Sudan. Der Internationale Strafgerichtshof erliess schliesslich einen Haftbefehl gegen Sudans damaligen Präsidenten Omar al-Bashir und weitere Akteure. Zu einem Prozess ist es bis heute nicht gekommen. In dem seit 2023 im Sudan andauernden Krieg wurde den RSF von den USA bereits unter Präsident Biden Völkermord vorgeworfen. Bislang hat der Internationale Strafgerichtshof aber lediglich eine Untersuchung wegen der Gewalttaten rund um die Belagerung und Einnahme der Stadt El Fasher angekündigt.

** Die RSF kämpfen seit 2023 gegen die sudanesische Armee (SAF) und haben El Fasher, die Hauptstadt der Region Nord-Darfur, seit Mai 2024 belagert und immer wieder beschossen. Seit August 2025 sind die Menschen vollständig von humanitärer Hilfe abgeschnitten. Inzwischen haben die RSF El Fasher unter ihre Kontrolle gebracht. Die Sorge um die dort noch eingeschlossenen hunderttausenden Zivilist:innen ist sehr gross. Ärzte ohne Grenzen fordert, den Zugang zu diesen Menschen zu ermöglichen und hat in einem Bericht die Gräueltaten in der Region Nord-Darfur dokumentiert – insbesondere auch in der Region El Fasher.