Bild von Mohammad, Pfleger im Operationssaal von Ärzte ohne Grenzen, hier mit seinem fünfjährigen Sohn Omar. Der Kleine wird in unserem Spital für rekonstruktive Chirurgie in Amman, Jordanien, behandelt. ©Mohammad Shatnawi/MSF
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Bild von Mohammad, Pfleger im Operationssaal von Ärzte ohne Grenzen, hier mit seinem fünfjährigen Sohn Omar. Der Kleine wird in unserem Spital für rekonstruktive Chirurgie in Amman, Jordanien, behandelt. ©Mohammad Shatnawi/MSF
© Mohammad Shatnawi/MSF

Dies ist die Geschichte von Mohammad und Omar. Vater und Sohn wurden aus Gaza nach Jordanien evakuiert.

Mohammad Al Hawajri ist OP-Pfleger und unser Kollege. Er berichtet, wie er alles daran setzte, in Gaza einen sicheren Ort für seine Familie zu finden. Vergeblich. Am Ende wurde er mit seinem fünfjährigen Sohn Omar nach Jordanien evakuiert. Omar wurde bei einem israelischen Angriff schwer verletzt. Jetzt wird er in unserem Spital für rekonstruktive Chirurgie in Amman medizinisch versorgt.

«Als der Krieg in Gaza ausbrach, harrten wir im Norden aus, während die israelische Armee die Hälfte der Bevölkerung aufforderte, in den Süden zu gehen. Wir verschanzten uns im Büro von Ärzte ohne Grenzen, wie viele andere Kolleg:innen mit ihren Familien. Dort fühlten wir uns sicherer als zu Hause. Doch jedes Geräusch von draussen erinnerte uns daran, dass es nirgends wirklich sicher ist.

Einige Wochen später stürmten die israelischen Streitkräfte das Al-Shifa-Spital. In jeder Gasse von Gaza-Stadt breitete sich Angst aus. Geschäfte und Bäckereien waren schon lange geschlossen. Die Stadt wurde zerstört, und diejenigen, die geblieben waren, verhungerten. Wir ergriffen die Flucht, in der Hoffnung, im Süden zu überleben.

Nirgends in Sicherheit

Wir schlossen uns einem Konvoi an, der Mitarbeitende von Ärzte ohne Grenzen und ihre Familien transportierte. Im Netzarim-Korridor herrschte Chaos; Tausende versuchten verzweifelt, zu fliehen. Bevor wir den Süden erreichten, schloss die israelische Armee den Durchgang. Wir mussten nach Gaza-Stadt zurückkehren. Deutlich als Konvoi von Ärzte ohne Grenzen gekennzeichnet, fuhren wir zur Klinik zurück. Dennoch fielen plötzlich Schüsse. Kugeln schossen durch die Luft, die Fensterscheiben des Fahrzeugs zersplitterten.

Eine Kugel traf Alaa Al-Shawa, einen freiwilligen Notfallpfleger von Ärzte ohne Grenzen, in den Kopf. Er hielt dabei meine Kinder im Arm. Wir waren in der Nähe der Klinik und eilten hinein – doch es war zu spät. Jede Bemühung, Alaa zu retten, war umsonst. Der geliebte Kollege verblutete vor unseren Augen.

Meine Kinder erinnern sich an diesen Tag, als wäre er gestern gewesen: Die Schüsse aus allen Richtungen. Die Kugel, die ihre Köpfe knapp verfehlte, aber Alaa tötete – einen Kollegen und Freund, den sie sehr mochten. Besonders meinen ältesten Sohn erschütterte das Erlebte tief. Er wacht jede Nacht weinend auf. Die Bilder von Alaas reglosem Körper und all dem Schrecklichen, was er an dem Tag sah, kriegt er vielleicht nie mehr aus dem Kopf.

Ende November 2023 erreichten wir endlich den Süden. Entlang den Strassen lagen Leichen. Auch dieses Bild wird meine Kinder wohl ihr Leben lang verfolgen.

In Khan Younis fanden wir Zuflucht in den Räumlichkeiten von Ärzte ohne Grenzen. Doch auch dort holte der Krieg uns bald ein. Eine Bombe explodierte und brachte das Gebäude zum Beben, Fenster zersprangen. Kurz darauf traf eine Panzergranate das Gelände – trotz klarer Kennzeichnung mit MSF-Logo und -Flagge – und tötete die Tochter einer Kollegin.

Nach diesem Angriff flohen wir erneut, diesmal nach Rafah, das angeblich sicher sein sollte. Doch auch dort nahmen die Angriffe kein Ende. Bomben schlugen direkt in Häuser ein, und Splitter durchbohrten die Wände.

Es folgten Monate der Vertreibung mit unerträglichen Verlusten. Die Lebensbedingungen waren unmenschlich. Wir zogen von einem Ort zum nächsten und kämpften jeden Tag ums Überleben. Als wir dachten, das Schlimmste hinter uns zu haben, erreichte der Genozid mit seinen Schrecken auch uns. Am 27. Juni 2025 gab es einen Luftangriff auf unsere Strasse. Ein Splitter verletzte das Bein unseres jüngsten Sohnes Omar schwer. Durch Monate des Hungers und der Angst war er bereits geschwächt. In Gaza wurde er mehrmals unter äusserst prekären Bedingungen operiert.

Medizinische Evakuation nach Jordanien 

Sechs Wochen später brachten unsere Kolleg:innen uns in das Spital für rekonstruktive Chirurgie von Ärzte ohne Grenzen in Amman. Omar war mangelernährt und auch seine Geschwister hatten ein gefährlich niedriges Gewicht. Es folgten weitere chirurgische Eingriffe und er erhielt psychologische Unterstützung. Jetzt macht er erste Schritte in Richtung Genesung. Nach alldem, was wir erlebt haben, kann das Leben nun irgendwie weitergehen.

Omar in einem Klassenzimmer in unserem Spital in Amman. Er kann wieder stehen, spielen – und einfach Kind sein. © Mohammad Shatnawi/MSF

Omar in einem Klassenzimmer in unserem Spital in Amman. Er kann wieder stehen, spielen – und einfach Kind sein. © Mohammad Shatnawi/MSF

© Mohammad Shatnawi/MSF

Doch egal, welche Pflege Omar erhält: Ein Teil seiner Kindheit wird immer von Narben geprägt sein. Den Narben eines Genozids, von dem wir noch immer kaum glauben können, dass er uns, unseren Kindern und unserem geliebten Land angetan wurde.»

Das Programm für rekonstruktive Chirurgie von Ärzte ohne Grenzen wurde 2006 ins Leben gerufen, um Menschen mit komplexen Kriegsverletzungen im Irak zu behandeln. Heute suchen Patient:innen aus sechs Ländern der Region uns in Amman, Jordanien, auf. Zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 26. Oktober 2025 wurden 45 verletzte Kinder mit ihren Angehörigen in das Programm aufgenommen. Nebst einer chirurgischen Versorgung erhalten Betroffene hier auch psychosoziale und psychologische Unterstützung.