Covid-19 hat Nordwest-Syrien erreicht

Eine MSF-Pflegefachfrau hält in einem Vertriebenenlager im Nordosten Syriens eine Sprechstunde ab.

Psychische Gesundheit3 Min.

Vier Monate, nachdem Covid-19 offiziell zu einer internationalen Pandemie erklärt wurde, hat die Krankheit jetzt auch Nordwest-Syrien erreicht. Der erste Fall wurde am 9. Juli 2020 bestätigt. Seither wurden weitere achtzehn Personen in der Region positiv getestet.

Bei mehr als der Hälfte der bisher bestätigten Fälle handelt es sich um Mitglieder des Gesundheitspersonals, die in den wenigen noch funktionierenden Spitälern gearbeitet haben. Das könnte das Gesundheitssystem in Syrien, das durch den jahrelangen Krieg stark mitgenommen ist, weiter unter Druck setzen.

«Selbst wenn nur ein paar Ärzte vorübergehend nicht arbeiten können und sich isolieren müssen, kann das enorme Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung haben», erklärt Cristian Reynders, unser Projektkoordinator in Nordwest-Syrien. «Schon vor dem Ausbruch der Krankheit hat medizinisches Personal gefehlt. Viele Ärztinnen und Ärzte sind vor dem Krieg in Syrien geflohen, und Spitäler müssen sich oft das medizinische Personal ‘teilen’, damit sie weiterhin funktionieren können.»

Zwei Einrichtungen mussten bereits vorübergehend schliessen, weil die betroffenen Ärztinnen und Ärzte dort gewesen waren. Das gesamte Personal wurde gebeten, sich in Heimisolation oder in den betroffenen Spitälern in Quarantäne zu begeben. 

Gleichzeitig haben andere Krankenhäuser in Nordwest-Syrien ihre Leistungen eingeschränkt. Anfangs haben die lokalen Gesundheitsbehörden Spitäler aufgefordert, ihre Ambulanzen zu schliessen und nur noch dringende Operatione durchzuführen. Manche Einrichtungen haben ihre Ambulanzen seit Beginn der Pandemie aber auch aufgrund von Warnmeldungen oder aus Angst vor Covid-19 für Wochen geschlossen.

Natürlich ist es wichtig, Vorsichtsmassnahmen zu treffen. Aber dies ist eine Region, die keine medizinischen Kapazitäten übrighat, um sich solche Massnahmen aufzuerlegen. Man muss auch beachten, welche enormen Auswirkungen dies auf die allgemeine Gesundheitsversorgung in Nordwest-Syrien hat.

Cristian Reynders, Projektkoordinator von MSF

Da die infizierten Medizinerinnen und Mediziner an verschiedenen Orten in den Provinzen Aleppo und Idlib gearbeitet haben, könnte sich das Virus schon auf eine grössere Region ausgebreitet haben. 

Ärztinnen und Ärzte vor Ort berichten, dass bereits Tests und Contact-Tracing durchgeführt werden, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. Das ist in einem Kontext wie Nordwest-Syrien besonders wichtig, wo rund 2,7 Millionen Menschen vertrieben wurden und zumeist in überfüllten Lagern leben. Die hygienischen Bedingungen in den Lagern sind katastrophal und eine physische Distanzierung unmöglich.

Kaum Tests vorhanden

Von unserem Einsatz vor Ort wissen wir auch, dass es in der Region viele Menschen gibt, für die das Coronavirus ein besonderes Risiko darstellt. Dazu zählen ältere Menschen oder Personen, die an einer Vorerkrankung wie Diabetes leiden. 

«Testkapazitäten sind ein grosses Problem in Nordwest-Syrien», sagt Reynders. «Es wurden nur sehr wenige Tests zur Verfügung gestellt, und das vermehrte Testen nach den bestätigten Fällen verschlingt die verfügbaren Test-Kits sehr schnell. Wenn es keine Tests mehr gibt, besteht das Risiko, dass sich das Virus in den Lagern rasant verbreitet und es unmöglich sein wird, die Ausbreitung nachzuverfolgen und zu stoppen. Das hätte alarmierende Folgen für die gefährdetsten Menschen – ältere Menschen und Personen mit nicht übertragbaren Krankheiten. Diese müssen bei der Verteilung von Hygiene-Kits und bei anderen Schutzmassnahmen gegen das Virus Priorität haben.»