Uganda, 27.02.2017
Uganda, 27.02.2017
© Fabio Basone/MSF

Logistik und Beschaffung: ein beträchtlicher Aufwand

Wenn es darum geht, Verletzte in abgelegenen Konfliktgebieten zu erreichen, nach Naturkatastrophen oder Ernährungskrisen Hilfe zu leisten, innerhalb weniger Wochen eine Impfkampagne für Hunderttausende Menschen zu organisieren oder ein Flüchtlingslager quasi aus dem Boden zu stampfen, dann ist die Logistik zentral. Denn bevor die medizinischen Teams mit ihrer Arbeit beginnen können, müssen Kliniken aufgebaut, Medikamente beschafft und Unterkünfte und Fahrzeuge organisiert werden.

Die Logistik ist sozusagen der unsichtbare Motor aller Nothilfeoperationen: Nur so können nach genauen Plänen beladene Flugzeuge, Schiffe und Lastwägen innert kürzester Zeit auf den Weg gebracht werden. Da bei Notlagen jede Stunde zählt, hat MSF ein hocheffizientes Liefer- und Nachschubsystem entwickelt, das von erfahrenen Logistikern betreut wird.

Haupttätigkeiten

  • Versorgung / Belieferung der MSF-Projekte mit Material und Medikamenten
  • Lagerung des Materials
  • Bau und Sanierung von Einrichtungen
  • Installation von biomedizinischen Geräten
  • Energieversorgung
  • Wasserversorgung und Abwasserentsorgung
  • Transport
  • Kommunikationsmittel

Was ist eigentlich Logistik?

Fast die Hälfte der Jahresausgaben von MSF wird für den Ankauf von medizinischem und logistischem Material und für dessen Transport an die Einsatzorte aufgewendet. In unseren Projekten arbeiten Tausende Logistiker:innen in den unterschiedlichsten Bereichen. Die Logistiker:innen vor Ort stehen in ständigem Kontakt mit dem Hauptsitz, wo Massnahmen und Bedarf abgeklärt werden und technische Hilfestellung angeboten wird, zum Beispiel durch die Bereitstellung zusätzlicher Spezialisten. Das MSF-Logistikzentrum in der Nähe von Bordeaux (Frankreich) ist eines von zwei Zentren, wo die eingekauften Produkte angeliefert, sortiert, in vorbereitete Einheiten und Kits verpackt und zwischengelagert werden.

Die medizinische Versorgung hat Priorität und die Logistik muss entsprechende Lösungen finden. Notfälle sind naturgemäss nicht vorhersehbar. Deshalb müssen wir genau planen, um auf jede mögliche Situation vorbereitet zu sein.

Roberto Milioti, Verantwortlicher für die Notfalllogistik.

Je nachdem, ob ein Nothilfeeinsatz ansteht oder ein Projekt langfristig ausgestattet werden soll, muss unterschiedliches Material bereitgestellt werden. In unseren regulären Projekten folgen wir einem Beschaffungsplan mit genauen Vorgaben für lokale Einkäufe. So können hauptsächlich bei nichtmedizinischen Produkten Transport- und Zollkosten gespart werden und manchmal Artikel wie gebrauchsfertige Ergänzungsnahrung von Unternehmen direkt vor Ort bezogen werden.

Beschaffungsplan für medizinisches Material

Am Anfang steht die Bedarfsabklärung vor Ort. Die medizinischen Teams haben für jede Behandlungsart eine Liste mit dem dafür benötigten medizinischen Material, wie das auch in Spitälern üblich ist. Diese Informationen werden gesammelt und vom medizinischen Koordinator vor Ort zusammengefasst, der nach der Genehmigung im Hauptsitz eine Bestellung beim Logistikzentrum aufgibt. Das Zentrum stellt daraufhin die Güter zusammen und kümmert sich um den Versand. Sobald das Material im Zielhafen oder am Zielflughafen angekommen ist, werden die Artikel sortiert und in die Einsatzgebiete transportiert. Dazu müssen die Logistiker den besten Transportweg ermitteln, damit das Material je nach Gewicht, Abmessungen, Fristen und Strassenbedingungen schnellstmöglich geliefert werden kann.

Kits für verschiedene Bedürfnisse oder Situationen

Bei humanitären Notfällen sieht die Situation anders aus. Hier geht es darum, möglichst schnell an den Einsatzort zu gelangen und dort unabhängig zu operieren, um die beschränkten einheimischen Ressourcen nicht weiter zu verknappen. Bei Naturkatastrophen kommen neben dem grossen Bedarf (Unterkünfte, Trinkwasser, Nahrungsmittel, medizinische Versorgung) oft weitere Schwierigkeiten dazu, wenn beispielsweise die Infrastruktur, die Transportwege und -mittel und die Kommunikationsnetze zerstört wurden. Ein aufwendiges System mit 500 verschiedenen Medizin- und Logistik-Kits wurde erarbeitet, die den konkreten Bedarf in unterschiedlichen Situationen wie etwa bei chirurgischen Eingriffen, Impfkampagnen, einer Cholera-Behandlung oder Naturkatastrophen abdecken. So müssen gemeinsam benötigte Artikel nicht jedes Mal einzeln bestellt werden, und dank der Verpackung und Zollabfertigung im Voraus kann viel Zeit gespart werden. «Das ist gegenwärtig die praktischste Lösung für eine schnelle Reaktion in Notfällen», erklärt Angel Mellado, der im MSF-Logistikzentrum arbeitet. «Heute bereiten wir pro Jahr etwa 10’000 Kits vor. Vor zehn Jahren waren es noch 2’000», fügt er hinzu.

Transport

Für den Transport dieses Nothilfematerials chartert MSF manchmal eigene Frachtflugzeuge. Trotz der hohen Kosten und des grossen Organisationsaufwands gibt es oft keine andere Lösung, wenn viel Material schnell von einem Ort zum anderen transportiert werden muss.

Die Entwicklung der Logistik

In den ersten zehn Jahren nach der Gründung von MSF wurden Ärzte und Pflegepersonal häufig ins Ungewisse geschickt, ausgerüstet nur mit einem Stethoskop und ein paar Medikamentenschachteln. Vor Ort mussten sie dann oft unter schwierigsten Bedingungen improvisieren. Das medizinische Personal musste Patient:innen versorgen, aber auch Kliniken bauen, Zelte aufschlagen und Fahrzeuge reparieren. Nach und nach erhielten die Teams Unterstützung von Materialverantwortlichen, Abwasserspezialisten und Mechanikern und konnten sich stärker auf ihre medizinische Arbeit konzentrieren. Die Professionalisierung führte allerdings auch zum Bruch mit einigen Mitbegründern der MSF-Bewegung wie Bernard Kouchner, der die Organisation 1979 aufgrund der voranschreitenden Bürokratisierung verliess.

Nach diesem Einschnitt beauftragte die neue Leitung den Pharmazeuten Jacques Pinel mit der Einrichtung einer funktionstüchtigen Logistikstruktur. Er hat insbesondere den Funkkontakt eingeführt und den Fuhrpark vereinheitlicht, um die Fahrzeugwartung zu vereinfachen. Mit Jacques Pinel kam auch der Toyota 4x4, ein robustes und reparierbares Fahrzeug, das auch weiterhin in fast allen Projekten eingesetzt wird. Durch den Medikamenteneinkauf bei Grosshändlern konnte MSF ihre operative Unabhängigkeit ausbauen und damit schneller auf verschiedene Arten von Krisen reagieren. 1986 wurde dann das MSF-Logistikzentrum gegründet, wo Einkauf, Zwischenlagerung und Verfrachtung zentral geregelt werden.

Die Herausforderungen der kommenden Jahre

Auch 45 Jahre nach den ersten Einsätzen sind die MSF-Logistiker:innen noch immer auf der Suche nach der optimalen Formel für die Bewältigung der zwei grössten Herausforderungen: die steigende Zahl der Einsätze und deren wachsende Komplexität. «Geschafft haben wir dies letztlich nur durch die Standardisierung der Abläufe, wie etwa für den Nachschub», erklärt Mathieu Soupart, der Leiter des Logistikzentrums. «Ziel war es, Zulieferketten einzurichten, die sowohl professionell und normiert als auch höchst flexibel sind, damit eine hohe Reaktionsbereitschaft gewährleistet ist.»

So werden bei den Operationen immer mehr neue Technologien eingesetzt, wie etwa Telemedizin und GPS-Ortung, und es gibt kontinuierlich Forschungs- und Entwicklungsprojekte. Die Organisation unterhält zudem Partnerschaften mit der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Die Wissenschaftler suchen hier nach innovativen Lösungen für den Bedarf vor Ort, die auf die lokalen Bedingungen wie etwa unsichere Stromzufuhr, Staub und Hitze abgestimmt sind.

Aber innovative Lösungen beruhen nicht immer auf neuen Technologien oder technischem Fortschritt. «Wenn wir zu den abgelegensten Orten der Erde gelangen wollen, funktioniert das nur mit einer Kombination unterschiedlicher Transportmittel, und am Schluss manchmal nur noch zu Fuss.» Ob Helikopter oder Kanu, Frachtflugzeug, Motorrad oder Velo, MSF setzt häufig bis zu zehn verschiedene Transportmittel ein.

Mathieu Soupart fährt fort: «Am Schluss findet man für fast jedes technische Problem eine Lösung. Die Schwierigkeiten, die wir nicht meistern können, sind meist operationeller Art, wie etwa der Zugang zur Bevölkerung in Konfliktgebieten.» Zu den Gefahren, mit denen man rechnen muss, gehören Grenzübertritte bei politisch unstabiler Lage oder kriegerischen Auseinandersetzungen sowie Angriffe auf Hilfskonvois. «Eine weitere Herausforderung liegt im personellen Bereich», so Soupart. «Logistiker von heute müssen multidisziplinäre Teams leiten können. Wir suchen sozusagen spezialisierte Alleskönner.»

30 Jahre MSF-Logistikzentrum

Eingetragen als gemeinnütziger Verein ist das MSF-Logistikzentrum eine der beiden Zentralen für den Einkauf, die Zwischenlagerung und die Verteilung humanitärer Güter. MSF geht es darum, bei jedem Einsatz das nötige Material «griffbereit» zu haben: von Medikamenten und Impfdosen bis hin zu Notfallkits und aufblasbaren Spitalzelten. Zwar machen Medikamente etwa 80 Prozent der gelagerten Produkte aus, daneben gibt es jedoch auch weitere Artikel, die schnelles Handeln im Ernstfall ermöglichen.

2016 feierte das MSF-Logistikzentrum sein dreissigjähriges Bestehen. Das Zentrum befindet sich seit 23 Jahren in Mérignac bei Bordeaux und zählt heute zu den weltweit grössten Lagern mit humanitärem Material. Es bestehen Partnerschaften mit den MSF-Sektionen Frankreich, Schweiz und Spanien, aber auch mit anderen internationalen Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO).