
msf.navigation.breadcrumb_title
- Startseite
- Neueste Beiträge
- Artikel
- msf.navigation.breadcrumb_current_page:Zehn Jahre nach dem Luftangrif...
Zehn Jahre nach dem Luftangriff auf unsere Klinik in Kundus: Angriffe auf Spitäler häufen sich
Afghanistan 4 Min.
Renzo Fricke, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen, teilt seine Gedanken zu diesem Thema.
«Findet ihr keine besseren Menschen, die ihr behandeln könnt?»
Diese Frage stellte uns vor einigen Jahren eine bewaffnete Gruppe. Wir diskutierten mit ihr über eines unserer Spitäler an der Front und über die Tatsache, dass wir Menschen behandelten, die sie als Feinde betrachteten.
Es ist nun zehn Jahre her, seit bei US-Luftangriffen das Traumatologie-Spital von Ärzte ohne Grenzen in Kundus, Afghanistan, zerstört wurde und dabei 42 Mitarbeitende, Patient:innen und Angehörige ihr Leben verloren. Entsetzen, Wut und Trauer waren gross. Es wurden Untersuchungen gefordert, Kampagnen gestartet und im Mai 2016 wurde die historische Resolution 2286 des UNO-Sicherheitsrats verabschiedet. Diese Resolution verurteilte Angriffe auf medizinische Einrichtungen und ihr Personal bei einem Konflikt aufs Schärfste und forderte einen besseren Schutz. Dennoch wurden gemäss Schätzungen der Koalition «Safeguarding Health in Conflict» 2024 in Konfliktgebieten durchschnittlich zehn Angriffe pro Tag auf medizinische Einrichtungen verübt. Die Situation hat sich also offensichtlich nicht verbessert, ganz im Gegenteil: Mit Kriegen und der Gewalt in Ländern wie der Ukraine, Palästina, dem Sudan und Haiti haben Angriffe auf das Gesundheitswesen noch zugenommen.
Ist ein Spital nicht mehr funktionsfähig oder kann das Personal seine Arbeit nicht mehr verrichten, bedeutet das für die betroffenen Menschen viel Leid. In den Tagen vor dem Angriff war das Spital in Kundus mehr als ausgelastet. Über Nacht verloren mehr als eine Million Menschen in Nordafghanistan Zugang zu professioneller chirurgischer Versorgung. Der Wiederaufbau des zerstörten Spitals dauerte fast sechs Jahre.
Leider scheinen manche dies als nützlich zu betrachten. Für sie sind Angriffe auf das Gesundheitswesen ein Teil der Militärstrategie, eine bewusste Entscheidung, bestimmten Bevölkerungsgruppen ihr Recht auf medizinische Versorgung vorzuenthalten. Dies bringt uns zurück zur Frage: Findet ihr keine besseren Menschen, die ihr behandeln könnt? Es gibt keine besseren oder schlechteren Menschen. Es gibt kein Zweiklassensystem, das entscheidet, wer Pflege verdient und wer nicht. Patient:innen werden ohne Diskriminierung und ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer religiösen oder politischen Überzeugung behandelt. Was zählt, ist allein der medizinische Bedarf. Dies ist ein Kernprinzip des humanitären Völkerrechts. Medizinische Hilfe darf nicht zur Zielscheibe werden.

2017 entschieden wir, in Kundus wieder eine Traumatologie-Klinik zu bauen. Ein Jahr später begannen die Arbeiten. Das neue Spital verfügt über eine Notaufnahme, eine Intensivstation, Operationssäle und eine Physiotherapie-Abteilung. Im ersten Halbjahr 2025 wurden mehr als 10 000 Patient:innen auf der Notaufnahme versorgt und fast 3200 chirurgische Eingriffe durchgeführt.
Es wird jedoch immer schwieriger, sich für den Schutz von Spitälern und der Gesundheitsversorgung einzusetzen, wenn es so einfach geworden ist, diese anzugreifen. Es scheint, dass der Aufschrei bei einem Angriff auf ein Spital immer leiser wird – trotz der Ungeheuerlichkeit einer solchen Tat. Heute muss ein Staat wie Israel nur noch sagen: Ja, wir haben dieses Spital in Gaza angegriffen, aber die Menschen darin haben es verdient. Selbst im äusserst seltenen Fall, dass ein Spital seinen Schutz verloren hat – was in Kundus nicht der Fall war –, ist dies kein Freipass, das Personal und die Patient:innen anzugreifen.
Ist es heute überhaupt noch möglich, an der Front medizinische Hilfe zu leisten? Sollte sich die aktuelle Tendenz fortsetzen, könnte die Antwort bald nein lauten.
Die Menschen, die damals in das Spital in Kundus kamen, dachten, dass sie dort sicher wären. Einige brachten ihre Familie mit. Niemand hätte sich vorstellen können, was am 3. Oktober 2015 geschah. Alle, die sich im Spital befanden, wähnten sich in Sicherheit, auch wenn sie Angst hatten. Auch heute noch suchen Menschen Zuflucht in Spitälern, im Glauben, dass sie dort ausser Gefahr sind.
Überall auf der Welt gehen Tag für Tag Mitarbeitende des Gesundheitswesens trotz Unsicherheit oder Krieg zur Arbeit. Es muss viel mehr getan werden, um sie und die Menschen, um die sie sich kümmern, zu schützen. Auf Staaten, die das Gesundheitswesen angreifen, muss mehr Druck ausgeübt werden. Sie müssen sich für ihre Taten rechtfertigen – es ist die angreifende und nicht die angegriffene Partei, die die Beweislast tragen muss. Ein Spital kann nicht aus Versehen dem Erdboden gleichgemacht werden. Und wenn ein Spital bombardiert wird, sollten sich nicht die Menschen darin rechtfertigen müssen, weshalb dies nicht hätte geschehen dürfen.
Das Wichtigste ist aber vielleicht, dass ein solcher Angriff weiterhin Bestürzung hervorrufen muss. Das Bombardieren von Spitälern darf nicht zur Normalität werden. Angriffe auf das Gesundheitswesen sind eine abscheuliche Tat. Sie sind kein Preis, den es zu zahlen gilt.