Covid-19 im Niger: Gerüchte und Fehlinformationen erschweren Hilfe

Das eigens für Covid-19-Patienten gebaute Behandlungszentrum im Spital Amirou Boubacar Diallo in Niamey.

Niger5 Min.

Im April hat Ärzte ohne Grenzen in Niamey, dem Epizentrum der Covid-19-Epidemie im Niger, Einsätze gestartet, um die nationalen Behörden bei diesem Gesundheitsnotstand zu unterstützen. Teams der Organisation ergriffen auch in anderen Landesteilen eine Reihe von Massnahmen, während sich das Virus weiter ausbreitete. In einem Umfeld, das von Stigmatisierung und Gewalt geprägt ist, sind die Herausforderungen gross.

Nach sechs Wochen Bauzeit wurde das Behandlungszentrum für Covid-19-Patienten eröffnet. Das Zentrum befindet sich im nationalen Spital Amirou Boubacar Diallo, auch Lamordé genannt. Derzeit stehen 50 Betten zur Verfügung, die Kapazität kann aber bei Bedarf auf bis zu 100 Betten aufgestockt werden. Denis Dupuis, Koordinator für Logistik und Technik bei Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF), erzählt: «Innerhalb von wenigen Wochen haben wir eine semi-permanente Struktur geschaffen. Sie ist komplett autonom, um die Ansteckungsrisiken für das daneben gelegene Spital zu begrenzen. Die Betten wurden so aufgestellt, dass ein Abstand von ein bis zwei Metern eingehalten wird und eine gute Luftzirkulation zwischen den Betten möglich ist. Die Räumlichkeiten sind sehr hell, so dass gute Bedingungen für die Infektionskontrolle gegeben sind. Durch diese Massnahmen können wir das Ansteckungsrisiko minimieren und das medizinische Personal und die Patienten schützen.»

Für einen reibungslosen Betrieb des Zentrums hat Ärzte ohne Grenzen rund hundert Mitarbeitende eingestellt und eingearbeitet. So werden beispielsweise Patientinnen und Patienten, die Sauerstoff benötigen, von Teams der Organisation und des Gesundheitsministeriums versorgt.

In einem der fünf Hauptgebäude werden Verdachtsfälle mit Komplikationen betreut, während in den anderen vier Gebäuden die Behandlung von Patienten stattfindet, bei denen eine bestätigte Erkrankung mit dem Virus vorliegt und die hospitalisiert werden müssen. 

Aufklärungsarbeit für ein besseres Verständnis der Krankheit

Ärzte ohne Grenzen unterstützt in Niamey zudem rund um die Uhr die Hotline des dortigen Rettungsdienstes des Gesundheitsministeriums sowie die mobilen Teams in fünf Gemeinden in Niamey. Die Teams leisten konkret technische Unterstützung bei der Überprüfung von Notrufen, der Organisation der Triage und der Überweisung von schweren Fällen an das Behandlungszentrum. Zudem wird eine psychologische Betreuung angeboten.

Audace Ntezukobagira, Koordinator des mobilen Notfallteams in der Sahelzone, erklärt: «Diese Arbeit mit der Bevölkerung ist entscheidend, denn die Bekämpfung einer Pandemie findet nicht nur in den Gesundheitseinrichtungen statt. Wir müssen die Bevölkerung miteinbeziehen. Die Menschen vor Ort haben Angst, von ihren Nachbarn stigmatisiert zu werden, wenn ein Krankenwagen und Männer mit Schutzanzügen bei ihnen zu Hause auftauchen. Wir sensibilisieren die Einwohner für das Thema, damit sie die Krankheit besser verstehen. Ausserdem wollen wir so Solidarität und Vertrauen fördern.»

Überall im Land kursieren Gerüchte und Fehlinformationen rund um die Pandemie, was die Situation noch erschwert. Viele Menschen bezweifeln, dass es diese neue Krankheit wirklich gibt. Die Spekulationen halten auch aktuell noch an. In einem solchen Umfeld fällt es den Menschen nicht leicht, sich an die Präventionsmassnahmen zu halten, so dass neue Ansteckungsketten entstehen können. Aus diesem Grund arbeitet Ärzte ohne Grenze proaktiv mit den Gemeinden zusammen, um sie verlässlich zu informieren und sie von der Notwendigkeit der Massnahmen zur Bekämpfung des Virus zu überzeugen.

Überwachung auch von Malaria und Mangelernährung

In anderen Regionen des Landes haben die Teams ebenfalls Schutzmassnahmen für das medizinische Personal, die Patienten und die gefährdetsten Menschen ergriffen. In den von der Organisation unterstützten Einrichtungen wurden die Präventions-, Hygiene- und Infektionskontrollmassnahmen verstärkt. Es wurden Isolationszonen für Covid-19-Verdachtsfälle und Bereiche für die Triage der Patienten geschaffen. Darüber hinaus wird noch mehr Aufklärungsarbeit geleistet, und auch die Aktivitäten zur Gesundheitsförderung wurden intensiviert.

Wir überwachen die epidemiologische Situation weiterhin, in Bezug auf Covid-19, aber auch in Bezug auf den saisonbedingten Anstieg von Malaria und Mangelernährung im Zuge der Regenzeit und der «Hungerperiode» zwischen Anbau und letzter Ernte.

In den Gebieten von Zinder, Maradi, Agadez, Diffa und Tillabéry, wo unsere Teams regelmässig im Einsatz sind, ist erhöhte Wachsamkeit gefragt, da mehrere Covid-19-Fälle gemeldet wurden.

Vertriebenenlager: Hygienevorschriften nicht umsetzbar

Angesichts der Ausbreitung von Covid-19 stehen wir vor grossen Herausforderungen. Das erste Problem ist ein weltweites: der Mangel an Schutzmaterial und die Schwierigkeit, dieses Material an weit entfernte Zielorte zu versenden. In bestimmten Gebieten haben humanitäre Helfer und medizinische Teams aufgrund der Sicherheitslage kaum Zugang zu der Bevölkerung.

Bewaffnete Konflikte und Gewalt hören auch während einer Pandemie nicht auf. Ärzte ohne Grenzen macht sich vor allem Sorgen darum, was eine Ausbreitung des Virus für die Menschen in den Regionen um Diffa, im Südosten, und um Tillabéry, im Südwesten des Landes, die bereits unter sehr prekären Bedingungen leben, bedeuten würde. Die Situation der Binnenvertriebenen, Migranten und Flüchtlinge, die durch den unsicheren Kontext und die Lebensbedingungen in den Lagern bereits geschwächt sind und nur begrenzten Zugang zu Gesundheitsversorgung haben, würde sich noch weiter verschlechtern. Die Hygienevorschriften, vor allem regelmässiges Händewaschen, Abstand halten oder Isolieren bei Covid-19-Verdacht, können von ihnen nicht eingehalten werden.

Zusammenarbeit aller Gesundheitsakteure notwendig

Aus diesen Gründen ist es sehr wichtig, dass das Gesundheitsministerium und alle humanitären Akteure im Niger bei der Bekämpfung des Virus zusammenarbeiten. Das Ziel muss sein, dass die medizinische Versorgung erschwinglich ist und dass primäre und sekundäre Gesundheitsdienste aufrechterhalten werden. Nur so können weitere gesundheitliche Notfälle vermieden werden.

Die medizinische Nothilfeorganisation Ärzte ohne Grenzen ist seit 1985 im Niger tätig und unterstützt das öffentliche Gesundheitssystem regelmässig während Epidemien (wie Cholera, Masern oder Meningitis). Aktuell leisten unsere Teams zudem kostenlose medizinische Hilfe für die Menschen in den Regionen um Agadez, Diffa, Tillabéry, Zinder und Maradi. Unser Ziel ist, hilfsbedürftigen Menschen den Zugang zu Gesundheitsversorgung zu ermöglichen und sie zu unterstützen, ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer religiösen oder politischen Überzeugung.