Niger: 15 Jahre gegen Mangelernährung und Malaria

Niger, Magaria, 24 septembre 2018

Niger9 Min.

Die Nahrungsmittelknappheit und die Regenzeit führen in Niger jedes Jahr zu einem Anstieg von Mangelernährung und Malaria, insbesondere von Juli bis Oktober im Süden des Landes. Seit der grossen Nahrungsmittelkrise von 2005 haben sich Prävention und Behandlung von Kinderkrankheiten erheblich weiterentwickelt: von gebrauchsfertiger therapeutischer Nahrung bis hin zu dezentralen, umfassenderen und patientenzentrierten Ansätzen. Hunderttausende von Kindern sind jedoch nach wie vor von dieser chronischen Notlage betroffen und benötigen eine kostenlose und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung, vor allem während der saisonalen Spitze.

Als Mohammed Sani im Alter von drei Jahren im Spital des Bezirks Magaria in der Region Zinder ankam, konnte er wegen starker Ödeme kaum noch die Augen öffnen. Er litt unter Kwashiorkor, einer Form der schweren akuten Mangelernährung, die unter anderem durch Schwellungen im Gesicht und an den Gliedmassen gekennzeichnet ist. Damit gehen häufig Komplikationen einher, die tödlich enden können – ohne angemessene Behandlung sind die Überlebenschancen gering. Der kleine Mohammed erholte sich dank der richtigen Pflege. Als er begann, mit einem Löffel zu essen und sich dabei neugierig umzusehen, stand fest, dass er bereit war, das Spital zu verlassen. Die Behandlung konnte zu Hause fortgesetzt werden. Seine Mutter musste ihm nur die gebrauchsfertigen Portionen mit therapeutischer Nahrung geben und ihn einmal wöchentlich zur Nachsorge ins nächste Ernährungszentrum bringen.

In den letzten 15 Jahren hat die internationale Organisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) mit dem Gesundheitsministerium von Niger zusammengearbeitet, um Kindern wie Mohammed Sani die bestmögliche Behandlung zu ermöglichen. Ein historischer Durchbruch war die Einführung von gebrauchsfertiger therapeutischer Nahrung, gefolgt von weiteren Innovationen.

Fokus auf ambulante Behandlung

Im Juli 2005 führten die Dürre, eine Heuschreckenplage und durch Armut verschärfte strukturelle Faktoren zu einer schweren Nahrungsmittelkrise. Es wurden innovative Massnahmen ergriffen, um der kritischen Ernährungssituation entgegenzuwirken. Die Regierung hat ein nationales Abkommen zur Einführung gebrauchsfertiger therapeutischer Nahrungsmittel im ganzen Land genehmigt, das einen massiven Ausbau der ambulanten Behandlung von Kindern mit schwerer akuter Mangelernährung ermöglicht hat. In diesem Jahr wurden im ganzen Land fast 70 000 Kinder behandelt, davon 60 Prozent mit Unterstützung von unseren Teams.

2019 sieht die Situation anders aus. Spitäler mit qualifiziertem Personal, adäquaten Medikamenten, Geräten und angemessener Infrastruktur werden weiterhin benötigt und spielen eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung von Mangelernährung und Malaria, stehen aber am Ende eines langen Prozesses. Viele Kinder kommen in die Notaufnahmen, wenn sie sich bereits in sehr schlechtem Zustand befinden und vom Tod oder langfristigen negativen Auswirkungen bedroht sind. Ursache dafür sind die grossen Distanzen, Transportkosten sowie soziokulturelle Faktoren.

Der kleine Mohammed Sani in Magaria ist eines von über 300 000 Kindern, die von Ärzte ohne Grenzen im Niger zwischen Januar und Oktober 2019 in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium behandelt wurden. Wie in anderen Ländern der Sahelzone gehören im Niger Malaria, Infektionen der Atemwege und Durchfallerkrankungen zu den häufigsten Todesursachen bei den unter fünfjährigen Kindern. Schätzungen zufolge ist die Mangelernährung jedoch ein wesentlicher Faktor bei fast der Hälfte der Todesfälle – und sie kann eine gesunde Entwicklung von jenen, die überleben, ernsthaft gefährden. 
 

Niger, Dan Issa, 17 juillet 2019

Niger, Dan Issa, 17. Juli 2019

© MSF/Ainhoa Larrea

Ein Ansatz für die öffentliche Gesundheit

Nach Angaben der Regierung Nigers wurden im vergangenen Jahr mehr als 2,75 Millionen Malariafälle gemeldet, insbesondere während des Saisonhöhepunkts. 3331 Menschen starben an Malaria, wobei Kinder unter fünf Jahren am stärksten betroffen waren und die Hälfte aller Todesfälle ausmachten. Auch eine von den Behörden im Oktober und November 2018 durchgeführte nationale Umfrage ergab, dass die Prävalenz schwerer akuter Mangelernährung auf dem alarmierenden Niveau von 3,2 Prozent blieb – der Grenzwert liegt bei zwei Prozent. 

Die gute Nachricht ist, dass die medizinischen Lösungen zur Verbesserung dieser Situation bekannt sind. Seit der Einführung von gebrauchsfertiger therapeutischer Nahrung hat sich viel getan.

Rilia Bazil, medizinische Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Niger

«Seither konnten zahlreiche Massnahmen umgesetzt werden: umfassendere Kriterien zur Definition von Mangelernährung, Fortschritte bei der Kinderernährung, Früherkennung zu Hause und auf Gemeindeebene von potenziell mangelernährten Kindern mit roten, gelben und grünen Armbändern, die den Armumfang messen, schnelle und einfach anzuwendende Diagnosetests für Malaria, Kampagnen mit Malaria-Chemoprävention, regelmässige Abgabe von mit Insektiziden behandelten Moskitonetzen und Verbesserungen unter anderem bei der ambulanten und stationären Behandlung», erklärt Bazil. Ein verstärkter Ansatz im Bereich der öffentlichen Gesundheit mit Schwerpunkt auf der gemeindebasierten Versorgung trägt dazu bei, die Prävalenz und Mortalität im Zusammenhang mit Malaria und Mangelernährung in den am stärksten betroffenen Gebieten zu verringern.

Zinder, Niger, 11.09.2018

September | Niger – Als die Zahl an mangelernährten und an Malaria erkrankten Kindern den Höchststand erreichte, wurden in der Pädiatrie in Magaria bis zu 730 Kinder stationär betreut. Mit einem Krankenwagen wurden Notfälle aus Gesundheitszentren der gesamten Region hergebracht. In der Stabilisierungsabteilung erhielt dieser junge Patient einen Katheter, bevor er in die Intensivstation gebracht wurde.

© Laurence Hoenig/MSF

Ein grosser Baum: erste Anlaufstelle bei einfachen Krankheiten

So sind auch die Gesundheitsförderung und das nationale Programm für ein gemeindebasiertes integriertes Fallmanagement von Kinderkrankheiten (PCIME) zu einem wichtigen Instrument bei der Bekämpfung dieser Krankheiten in Niger, insbesondere in ländlichen Gebieten, geworden. Das Programm basiert auf der Idee, ein Netzwerk von lokalen Gesundheitshelfer*innen aufzubauen, die bei einfachen Krankheiten die erste Anlaufstelle sind. Die Personen werden von ihren eigenen Nachbarn ausgewählt und für die Diagnose und Behandlung der häufigsten Krankheiten ausgebildet, um so die Überlebenschancen und die Genesung junger Patient*innen in ihren Dörfern zu verbessern.

Ein grosser Baum, ein Zelt oder auch ein kleiner Schuppen können als Treffpunkt definiert werden, der von den Gesundheitshelfer*innen betreut wird. Eine sofortige Diagnose und Behandlung oder Überweisung an das Gesundheitszentrum tragen dazu bei, dass viele Leben gerettet werden können. In den Bezirken Magaria in Zinder und Madarounfa in Maradi führten beispielsweise lokale Gesundheitshelfer*innen von Juli bis September 39 015 Konsultationen durch.

Prävention rettet Leben. Das heisst auch, so nah wie möglich am Zuhause der Patienten aktiv zu werden.

Dalil Mahamat Adji, MSF-Einsatzleiter in Niger

«Kinderkrankheiten müssen multidisziplinär behandelt werden. Es ist unerlässlich, dass die am stärksten gefährdeten Kinder so schnell wie möglich Zugang zu einer qualitativ hochwertigen und kostenlosen Versorgung haben – in ihren Dörfern, wenn es sich um ein einfache Fälle handelt, oder in Gesundheitseinrichtungen, wenn eine komplexere Behandlung nötig ist», fährt Adji fort. «Bei saisonalen Spitzen müssen wir auf das Beste hoffen, aber immer auch auf das Schlimmste vorbereitet sein, und unsere Unterstützung zur Vorbeugung von Tod und Leid durch Malaria und Mangelernährung verstärken», fügt er hinzu.

Anzahl Spitalbetten verdoppelt oder verdreifacht

Im Laufe dieses Jahres hat Ärzte ohne Grenzen die Anzahl Spitalbetten in den unterstützen Einrichtungen verdoppelt oder teils sogar verdreifacht, um den saisonalen Höhepunkt von Malaria und Mangelernährung in den am stärksten betroffenen Regionen bewältigen zu können. Wir haben auch die gemeindebasierte Prävention und Behandlung von Kinderkrankheiten ausgebaut. Dazu gehört ein breites Spektrum an Aktivitäten: von der Sensibilisierung für Gesundheits- und Hygienebewusstsein bis hin zu Gemeinschaftsinitiativen, Unterstützung bei der saisonalen Malaria-Chemoprävention oder Impfkampagnen, die Kinder vor Krankheiten schützen, die ihr Immunsystem schwächen könnten. 

Die Prävalenz und Sterblichkeit von Kinderkrankheiten zu senken ist eine Aufgabe, die weitere gemeinsame Anstrengungen der humanitären Akteure und der Entwicklungsakteure im Gesundheitssektor, aber auch in Bereichen wie Ernährungssicherheit, Bildung und Lebensgrundlagen in den am stärksten gefährdeten Regionen erfordert. In einem Kontext, in dem der Bedarf aufgrund von bewaffneten Konflikten und Unsicherheit zunimmt, ist es von grösster Bedeutung, weiter darauf hinzuarbeiten, dass Malaria und der Mangelernährung keine Menschen mehr zum Opfer fallen und alle Kinder gesund aufwachsen können.
 

 

Ärzte ohne Grenzen arbeitete erstmals 1985 in Niger. Wir orientieren uns an medizinischer Ethik und den humanitären Prinzipien der Neutralität und Unparteilichkeit und führen Projekte in den Regionen Zinder, Maradi, Diffa, Tillabéry, Agadez und Tahoua durch, mit durchschnittlich über 1660 Mitarbeitenden sowie 360 zusätzlichen Mitarbeitenden während des saisonalen Höhepunkts von Mangelernährung und Malaria.

Unsere Hauptziele sind die Verringerung der Kindersterblichkeit, die Verbesserung der Qualität der Versorgung für Kinder und Mütter sowie die Unterstützung von Opfern von Gewalt und Vertreibung. Wir reagieren auch auf Epidemien und unterstützen das Gesundheitsministerium bei der Ausweitung der Immunisierung gegen Krankheiten wie Cholera, Masern und Meningitis. Im Jahr 2018 behandelten unsere Teams mehr als 443 000 Kinder, die von Malaria, Mangelernährung und anderen Krankheiten betroffen waren.

Darüber hinaus führt das Forschungszentrum Epicentre seit 2005 Feldstudien und Umfragen im ganzen Land durch, um die Reaktion auf Ernährungskrisen und -epidemien insgesamt weiter zu verbessern.