Tragödie in der Sahel-Zone: Menschenunwürdige Behandlung von Migrant:innen muss ein Ende haben

Issuf erklärt zwei Migrant:innen die Aktivitäten von MSF.

Niger3 Min.

Im Durchschnitt werden jeden Monat etwa zweitausend Migrant:innen aus Algerien und Libyen ausgewiesen. Unter ihnen sind auch Schwerverletzte, Überlebende von Vergewaltigungen und Menschen mit schweren Traumata. Bei der Abschiebung werden sie mitten in der Wüste an der Grenze zwischen Algerien und Niger ausgesetzt, an einem Ort namens Point Zero, rund 15 Kilometer von der Stadt Assamaka entfernt.

Von Januar bis Mai erfasste Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) in Niger insgesamt 14 196 aus Algerien nach Niger abgeschobene Migrant:innen, darunter 6749 Personen, die nicht aus Niger waren. 139 dieser Personen waren Frauen und 30 waren minderjährig. Fast 70 Prozent der Migrant:innen, die von Ärzte ohne Grenzen medizinisch versorgt wurden, gaben an, dass sie Gewalt und erniedrigender Behandlung durch algerische und libysche Wachposten ausgesetzt waren.

«Die Schwere der Übergriffe, die Migrant:innen erfahren haben, ist unbestritten», erklärt Jamal Mrrouch, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen in Niger. Insbesondere erfahren die Migrant:innen bei ihrer Vertreibung aus Algerien und Libyen erneut Gewalt.

Die Aussagen unserer Patient:innen und ihr physischer und psychischer Zustand bei ihrer Ankunft in unseren Gesundheitseinrichtungen beweisen, dass diese Menschen während ihrer Vertreibung aus algerischem und libyschem Gebiet durch die Hölle gegangen sind.

Jamal Mrrouch, MSF-Einsatzleiter in Niger

Migrationsrouten werden immer gefährlicher

Die europäische Migrationspolitik zur Eindämmung der Migration führt dazu, dass die Migrationsrouten immer gefährlicher werden: Um Grenzkontrollen zu umgehen sind Migrant:innen und Schlepper:innen gezwungen, äusserst gefährliche Wege durch die Wüste zu nutzen, was das Risiko der Ausbeutung von Migrant:innen durch die Schlepper:innen erneut erhöht.

Rettungseinsätze in der Wüste

Der Zugang zu Basisdienstleistungen, einschliesslich Gesundheitsversorgung, ist für Migrant:innen aufgrund ihres rechtlichen Status sehr kompliziert. Seit 2018 organisieren Teams von Ärzte ohne Grenzen regelmässig Rettungseinsätze, um Menschen zu helfen, die sich in der Wüste verirrt haben oder ausgesetzt worden sind. Ärzte ohne Grenzen unterstützt mehrere Gesundheitszentren und mobile Kliniken in der Region Agadez und bietet kostenlose medizinische Versorgung, psychosoziale Unterstützung, Spitalüberweisungen und Notfallevakuierungen an. 2021 wurden mehr als 47 000 Konsultationen durchgeführt, darunter 34 276 psychologische Beratungen. Zwischen 2020 und 2021 wurden insgesamt 38 Leichen von Migrant:innen identifiziert.

Ärzte ohne Grenzen fordert Lösungen für die Migrant:innen

Angesichts der alarmierenden Situation ruft Ärzte ohne Grenzen die regionalen Behörden und deren Partner dazu auf, möglichst rasch angemessene und nachhaltige Lösungen für die Migrant:innen zu finden, die aus Algerien und Libyen in die Sahel-Wüste zurückgedrängt werden.

Unser Ziel ist es nicht nur, auf die Situation dieser Menschen aufmerksam zu machen. Als humanitäre Organisation und Zeugin des schrecklichen Leids von Tausenden in der Sahelzone ist es unsere Pflicht, diese Tragödie anzuprangern.

Jamal Mrrouch, MSF-Einsatzleiter in Niger

«Es ist auch unsere Pflicht, die betroffenen Behörden, Europa und die humanitären aufzufordern, unverzüglich Massnahmen zu ergreifen, damit bei Grenzkontrollen die Menschenwürde respektiert wird», so Mrrouch weiter. «Wir können diese Situation nicht einfach ignorieren und denken, dass sich das Problem von selbst lösen wird.»

2021 wurden 27 208 Migrant:innen, die die Flucht über das Mittelmeer versucht hatten, unter unmenschlichen Bedingungen aus Algerien nach Assamaka im Grenzgebiet zu Niger abgeschoben. Im Jahr 2020 lag die Zahl der Abgeschobenen bei 23 171, was einem Anstieg von 17,4 % entspricht.