Gaza: Evakuierungsbefehle und heftige Luftangriffe rund um Spitäler beeinträchtigen Gesundheitsversorgung

Aufnahme von Patient:innnen und Geflüchteten im Al-Aqsa-Spital. Gaza, 29. November 2023.

Palästinensische Autonomiegebiete4 Min.

Die Angriffe der israelischen Streitkräfte auf den Gazastreifen haben in den vergangenen drei Monaten die Möglichkeiten der Menschen, an Gesundheitsversorgung zu kommen, drastisch eingeschränkt. Es gibt praktisch keine sicheren Orte mehr, an denen Hilfsorganisationen medizinische Hilfe anbieten können. Evakuierungsbefehle und Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen haben Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) wiederholt dazu gezwungen, ihr Personal zu evakuieren und Patient:innen zurückzulassen.

«Wir werden zunehmend in die Enge getrieben und müssen uns auf ein kleines Gebiet im südlichen Gazastreifen in Rafah beschränken. Unsere Möglichkeiten, medizinische Hilfe zu leisten, schwinden zunehmend, obwohl der Bedarf immens ist», sagt Thomas Lauvin, Projektkoordinator in Gaza. «Im Zuge der Angriffe mussten wir mehrere Gesundheitseinrichtungen zunächst im Norden und später im Zentrum des Gazastreifens evakuieren.»

Heute müssen wir uns vor allem auf den Süden beschränken, da wir sonst nirgends arbeiten können. Uns gehen schlicht die Spitäler aus. Dies zwingt uns, Patient:innen zurücklassen.

Thomas Lauvin, Projektkoordinator in Gaza

Das Gesundheitssystem des Gazastreifens ist praktisch kollabiert. Gemäss Angaben der Weltgesundheitsorganisation sind nur noch 13 von 36 Spitälern zumindest teilweise funktionsfähig: neun im Süden und vier im Norden. Die zwei grössten Spitäler in Süd-Gaza nehmen dreimal so viele Patient:innen auf, wie es Betten gibt; grundlegendes Material und Treibstoff gehen aus.

Am 6. Januar mussten unsere Teams erneut ein Spital evakuieren. Dieses Mal betraf es das Al-Aqsa-Spital im Zentrum des Gazastreifens, nachdem die israelische Armee in diesem Gebiet Evakuierungen angeordnet hatte. Diese Zwangsevakuierung schränkte den Zugang zu unserem eigenen Apothekenlager ein und zeigte einmal mehr, wie sich die Voraussetzungen für medizinische Tätigkeiten verschlechtern.

Gesundheitseinrichtungen wurden wiederholt zum Ziel von Angriffen

«Das Al-Aqsa-Spital und unsere Patient:innen zurückzulassen, war eine sehr schmerzliche Entscheidung – und unser letzter Ausweg», betont Enrico Vallaperta, medizinischer Projektreferent in Gaza. «Drohnenangriffe, Scharfschützen und Luftangriffe in unmittelbarer Nähe des Spitals machten diesen Ort zu unsicher, um weiterhin dort zu arbeiten. Wir fühlen uns machtlos. Es gibt praktisch keinen sicheren Ort mehr, um auch nur grundlegendste medizinische Hilfe anzubieten.»

Gesundheitseinrichtungen wurden wiederholt zum Ziel von Angriffen durch die israelische Armee, und an mehreren Orten, insbesondere im Norden, wurden Evakuierungen angeordnet. Dies machte es zu gefährlich, medizinische Versorgung anzubieten – und auch, sie in Anspruch zu nehmen. Dieses Schicksal ereilte mehrere Spitäler, in denen Ärzte ohne Grenzen tätig war: Das indonesische Spital im Norden musste im Oktober evakuiert werden; im November folgte das Al-Shifa-Spital, das grösste Spital in Gaza, nachdem dieses bei Angriffen getroffen worden war. Und schliesslich war es das Al-Awda-Spital, seit 2018 ein Partner von Ärzte ohne Grenzen; dabei starben drei Ärzte, zwei davon Mitarbeiter von uns.

Die Geschichte wiederholt sich im Süden des Gazastreifens

Nun wiederholt sich dieser Ablauf im Süden, wo fünfmal so viele Menschen leben wie vor dem Krieg und es weniger Möglichkeiten gibt, sie medizinisch zu versorgen.

Der Süden des Gazastreifens wird seit dem Auslaufen der Waffenruhe im November heftig bombardiert. Der Bedarf an Notfall-, chirurgischer und postoperativer Versorgung ist immens. Der Mangel an Spitalbetten führt dazu, dass Patient:innen nicht angemessen behandelt werden können. Auch die Hygiene kann nicht aufrechterhalten werden. So infizieren sich Wunden immer häufiger und medizinische Eingriffe müssen unter extremen Bedingungen durchgeführt werden. Frauen werden nur sechs Stunden nach einem Kaiserschnitt wieder entlassen, um Platz für andere schwangere Frauen zu machen. Andere werden gar nicht aufgenommen und entbinden in Zelten.

Ärzte ohne Grenzen ist nach wie vor entschlossen, im Gazastreifen medizinische Versorgung anzubieten und fordert den Schutz von Spitälern, medizinischem Personal und Patient:innen. Zurzeit bieten unsere Teams im Emirati-Spital in Rafah vor- und nachgeburtliche Untersuchungen an, im indonesischen Spital in Rafah Physiotherapie, postoperative Pflege sowie in der Al-Shaboura-Klinik ebenfalls in Rafah Leistungen der Grundversorgung, Wundversorgung und psychologische Betreuung. Ärzte ohne Grenzen unterstützt das European Hospital in Gaza in geringer chirurgischer Kapazität, und unser kleines Team von Pflegefachleuten hilft bei der Wundversorgung. Im Al-Awda-Spital im Norden und im Nasser-Spital in Khan Yunis arbeiten unsere wenigen Mitarbeitenden unter äusserst schwierigen Bedingungen. Wegen Luftangriffen und Kämpfen in der Nähe fehlt es ihnen an Nahrung und medizinischem Material.

Ärzte ohne Grenzen fordert erneut einen sofortigen Waffenstillstand, um das Leben der Zivilbevölkerung zu wahren. Nur so sind humanitäre Hilfslieferungen und der Wiederaufbau des Gesundheitssystems möglich, die für das Überleben der Bevölkerung des Gazastreifens zwingend nötig sind.