Sudan: Mangelhaftes Gesundheitswesen in Abyei – die Leidtragenden sind Frauen und Kinder

Le village d’Abyei a été quasiment détruit par de violents affrontements en 2008, provoquant la fuite de la population soit au Nord Soudan, soit au Sud-Soudan.

Südsudan5 Min.

Seit 2006 versorgt MSF die krisengebeutelte Region Abyei mit der dringend benötigten medizinischen Grundversorgung. Auch wenn der Zugang zu diesem konfliktreichen Gebiet immer schwieriger wird, sind die Bedürfnisse nach wie vor enorm. Die Rate der Kinder- und Müttersterblichkeit des Südsudans gehört zu den höchsten der Welt. Hier ist die Geschichte einer Mutter, deren Kind ohne die richtige medizinische Pflege nicht überlebt hätte.

“Ich war erst im sechsten Monat schwanger. Ich spürte, dass ich Wehen bekam und hatte fürchterliche  Rücken- und Magenschmerzen. Da ich mir Sorgen machte, ging ich zu Fuss ins Spital. Bald darauf kam mein Baby Litiong auf die Welt. Der Kleine wog nur 650 Gramm. Ich war traurig, konnte jedoch nichts tun. Ich wusste, dass sein Überleben von fremder Hilfe abhängig war.“

Ines Hake, Pflegefachfrau und Leiterin des medizinischen Teams des MSF-Spitals in Agok, erzählt die Geburt von Litiong: “Das Kind wurde in unserem Spital geboren, und es atmete nicht. Da sein Herz sehr schwach war, mussten wir ihn reanimieren. Später litt er auch noch unter Infektionen und war für längere Zeit auf intravenöse Antibiotika angewiesen. Wir konnten ihn nur mit einer Magensonde ernähren und mussten ihn zusätzlich mit Sauerstoff versorgen, damit er sich erholen konnte. Erst nach fast neun Wochen Intensivpflege konnten wir ihn wieder entlassen.“

Litjongs Fall gehört zu den Geschichten mit einem glücklichen Ende. Ein Jahrzehnte andauernder Bürgerkrieg hat das Land zerstört und das Gesundheitssystem schwer geschädigt. Mit einer sehr begrenzten Infrastruktur und nur wenig ausgebildetem Pflegepersonal und Ärzten weist der  Südsudan einige der schlechtesten Gesundheitsindikatoren weltweit auf, mit äusserst hoher Kinder- und Müttersterblichkeit. In diesem Teil der Welt, wo der Zugang zu guter Gesundheitsversorgung derart eingeschränkt ist, kann eine Geburt nicht nur gefährlich, sondern auch tödlich sein – sowohl für die Mutter wie auch für das Kind. Die Statistiken sind erschreckend: Eine von sieben Müttern stirbt während der Schwangerschaft oder wegen schwangerschaftsbedingten Komplikationen, und eins von sieben Kindern erlebt seinen fünften Geburtstag nicht.

“Ohne dieses Spital, das eine sichere Geburt ermöglichte, und ohne die Behandlung, die der Säugling anschliessend erhielt – einschliesslich Sauerstoff, Reanimation and Medikamente – hätte diese Geschichte ein ganz anderes Ende genommen“, erzählt Ines Hake. „Wäre dieses Baby zu Hause entbunden worden, wie dies im Sudan üblich ist, hätte es nicht überlebt.“

Um die medizinischen Bedürfnisse abzudecken, leitet MSF zwei Projekte in dieser Region. Sie befinden sich im sogenannten „Übergangsbereich“ des Sudan, einer ölreichen Region, die schon länger Zankapfel zwischen Nord- und Südsudan ist. Im Mai 2008 wurde die Stadt Abyei, wo MSF zu der Zeit tätig war, bei einem Konflikt nahezu zerstört, was die Flucht von ungefähr 50‘000 Bewohnern ins vierzig Kilometer entfernte Agok zur Folge hatte. Daraufhin hat MSF in Agok ein Programm lanciert und ist nun der einzige Anbieter einer Spitalversorgung in der Stadt. Ein kleineres Team leitet nach wie vor ein Projekt in Abyei, das sich auf ambulanter Basis um die medizinische Grundversorgung kümmert und  mangelernährte Kinder sowie schwangere  Frauen versorgt.

MSF führte ebenfalls mobile Kliniken in der nördlichen Region von Abyei, dessen Gesundheitswesen in einem desolaten Zustand ist. Die Lage war jedoch so angespannt, dass die MSF-Teams dieses Gebiet nicht mehr betreten konnten und die Kliniken im Juli 2010 geschlossen werden mussten.

Nächste Woche wird das südsudanesische Volk in einem Referendum die historisch bedeutsame Entscheidung treffen, ob es weiterhin mit dem Norden verbunden sein will, oder ob es das jüngste Land der Welt werden will. Die Einwohner von Abyei und Agok stimmen dabei in einem separaten Referendum ab, ob sie künftig zum Norden oder Süden gehören wollen. Inmitten der politischen Diskussionen über den Ausgang dieser Referenden und damit verknüpfter Spekulationen von vielen Seiten über drohende Gewalt, bleiben die medizinischen und humanitären Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung riesig. Frauen und Kinder sind dabei besonders auf Hilfe angewiesen.

Ein zentraler Bestandteil der Unterstützung von MSF in Abyei und Agok ist die umfassende pränatale Versorgung sowie ein spezielles Programm für werdende Mütter. Dank lokaler Aufklärungsarbeit in Agok und Umgebung sowie dank des von MSF eingeführten Einweisungssystems im nahe gelegenen Abyei, kommen Frauen für die Geburt immer häufiger ins Spital. Dies garantiert ihnen beste Betreuung für ihr Neugeborenes und deckt drei wichtige Grundlagen für eine normale Geburt: qualifiziertes Personal, wenn nötig Medikamente und die Infrastruktur, die für eine sichere Geburt nötig ist. Mittlerweile führt MSF im Spital von Agok durchschnittlich 60 bis 80 Entbindungen pro Monat durch.

Der kleine Litiong ist mittlerweile allen Widrigkeiten zum Trotz sechs Monate alt. Er musste jedoch in der Zwischenzeit erneut ins MSF-Spital eingewiesen werden, wegen Erbrechen und Durchfall. Er leidet unter Mangelernährung und ist deswegen zurzeit in Behandlung. Laut dem Pflegepersonal geht es ihm gut, und schon bald sollte er wieder nach Hause gehen können. Hier sitzt er nun also mit seiner Mutter im therapeutischen Ernährungszentrum von MSF und zeigt mit seiner Geschichte stellvertretend die medizinischen Bedürfnisse des Südsudans auf – Bedürfnisse, die voraussichtlich noch viele weitere Jahre existieren werden, unabhängig davon, wie das bevorstehende Referendum ausgehen wird.

MSF-Einsätze in Agok und Abyei

Das MFS-Spital in Agok verfügt über ein umfassendes Pflegeangebot: von Schwangerschaftsbetreuung über stationäre und ambulante Betreuung bis zu einer pädiatrischen Abteilung, einer Tuberkulose-Station sowie einem therapeutischen Ernährungszentrum für mangelernährte Kinder. MSF-Teams betreiben zudem dreimal pro Woche mobile Kliniken von Agok aus zu den umliegenden, schwer erreichbaren Gebieten. Hauptzielgruppe dieser Kliniken sind Kinder unter fünf Jahren. Im Zeitraum zwischen Januar und Dezember 2010 wurden 31’199 ambulante Sprechstunden durchgeführt, über 3’679 werdende Mütter in der pränatalen Klinik betreut und mehr als 2’389 Kinder wegen Mangelernährung behandelt.

Eine ambulante Station in Abyei, die pränatale Betreuung, medizinische Grundversorgung sowie Behandlung bei Mangelernährung anbietet, überweist alle Geburten und andere ernstere Fälle nach Agok. Zwischen Januar und Dezember 2010 konnte dieses Team 2’510 pränatale Beratungen durchführen und mehr als 334 Kinder gegen akute Mangelernährung behandeln.