Mosul: Einsatz an zwei Fronten – Covid-19 und Notfallversorgung

Deux personnes en combinaison effectuent la prévention des infections dans le centre MSF à Mossoul en Irak.

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Der Irak leidet seit langem unter Krieg und politischer Instabilität. Der jüngste Konflikt endete 2017, als Mosul nach fast drei Jahren unter der Kontrolle des Islamischen Staats (IS) zurückerobert wurde. Die Folgen der Gefechte sind immer noch spürbar, darunter die katastrophalen Auswirkungen auf die medizinische Versorgung. Viele Gesundheitseinrichtungen in Mosul wurden völlig zerstört; das marode Gesundheitssystem kann die Grundbedürfnisse der Bevölkerung kaum abdecken.

Mosul liegt im Gouvernement Ninawa, in dem rund 3,5 Millionen Menschen leben. Dort gibt es nur ein Spitalbett pro 3000 Menschen. Als Covid-19 Anfang dieses Jahres Mosul erreichte, war klar, dass das lokale Gesundheitssystem Schwierigkeiten haben würde, den Ausbruch unter Kontrolle zu bringen. Durch landesweite Massnahmen der irakischen Regierung konnte die Ausbreitung zunächst gebremst werden, doch in den letzten zwei Monaten sind die Fallzahlen stark angestiegen. In Mosul gab es Anfang August 30 Mal mehr Covid-19-Patienten als in den Vormonaten, und landesweit stiegen die Zahlen von 10 000 auf über 130 000. 

Statt OP-Patienten Menschen mit Covid-19-Symptomen 

Kurz nachdem die Pandemie bestätigt worden war, beschloss Ärzte ohne Grenzen, das Gesundheitssystem von Mosul bei der Bewältigung des Ausbruchs zu unterstützen. Die Organisation wandelte das 62-Betten-Zentrum für postoperative Versorgung im Osten der Stadt vorübergehend in eine Covid-19-Behandlungseinrichtung für Verdachts- und bestätigte Fälle um. 

Ali Alzubaidi, der Leiter der Pflege, arbeitet seit Jahren in der Einrichtung von Ärzte ohne Grenzen. Doch anstelle von OP-Patienten kümmert er sich nun um Menschen mit Covid-19-Symptomen. «Als das Virus auftauchte, mussten wir unsere Tätigkeiten anpassen», sagt Ali. «Das gesamte Personal wurde in Infektionsprävention und -kontrolle geschult. Wir änderten unsere Behandlungsprotokolle und bereiteten uns auf die Isolierung und Behandlung von Covid-19-Patienten vor. Bis jetzt haben wir mehr als 750 Patienten behandelt».

Auf der anderen Seite des Flusses, in West-Mosul, das während des Kampfes um die Stadt am stärksten zerstört wurde, betreibt Ärzte ohne Grenzen ein Spital. Es bietet eine Reihe grundlegender Dienste an, darunter Notfallbehandlung und -stabilisierung, geburtshilfliche Notfallversorgung, Neonatologie, stationäre Behandlung von Kindern sowie psychologische Betreuung. «Für uns stand selbst in Zeiten von Covid-19 fest, dass wir solche Dienste aufrechterhalten», sagt Dr. Humam Nouri. 

Dies ist eines der wenigen funktionierenden Spitäler in diesem Teil der Stadt, und die Pandemie ändert nichts daran, dass die Bevölkerung weiterhin auch andere Behandlungen benötigt.

Dr. Humam Nouri, Ärzte ohne Grenzen

 «Das Spital ist genauso voll wie immer», fährt Humam fort, der in den letzten 18 Monaten in der Notaufnahme gearbeitet hat. «Die Zahl der Patienten ist seit Beginn der Pandemie nicht zurückgegangen. Täglich kommen rund 100 Menschen ins Spital, die unter allen möglichen Verletzungen leiden. Und auf der Entbindungsstation bringen immer noch viele Frauen ihre Babys zur Welt.»

Auf beiden Seiten der Stadt – im Covid-19-Zentrum von Ärzte ohne Grenzen in Ost-Mosul und im Spital von Ärzte ohne Grenzen in West-Mosul – hat das Virus zusätzliche Herausforderungen mit sich gebracht. Für die Patienten ist es schwieriger, ins Spital zu kommen, da zur Eindämmung des Virus im Rahmen eines umfassenderen Lockdowns Ausgangsbeschränkungen verhängt wurden. Während der Ausgangssperre erreichen nur Menschen das Spital, die unter medizinischen Notfällen leiden. Jene, die ausserhalb der Stadtgrenzen leben, müssen mehrere Kontrollpunkte passieren, um medizinische Versorgung zu erhalten – mit dem Ergebnis, dass einige erst ankommen, wenn es zu spät ist.

Es bricht mir das Herz, wenn ein Patient die Notaufnahme zu spät erreicht. Ich denke, diese Todesfälle sind eine Nebenwirkung der Pandemie, die von den Menschen generell unterschätzt wird.

Dr. Humam Nouri, Ärzte ohne Grenzen

 Die Stigmatisierung im Zusammenhang mit Covid-19 ist ein weiteres wichtiges Thema. Sie hat direkte Auswirkungen darauf, wie die Menschen wichtige medizinische Leistungen nutzen. «Unsere Gesundheitsförderungsteams haben mit Dutzenden von Patienten gesprochen. Sie stellen fest, dass Fehlinformationen und soziales Stigma im Zusammenhang mit Covid-19 dazu führen, dass Patienten, die unter entsprechenden Symptomen leiden, zögern, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen», sagt Itta Helland-Hansen, MSF-Projektkoordinatorin im Covid-19-Behandlungszentrum in Ost-Mosul. «Wir müssen Missverständnisse aufklären und darauf bestehen, dass es besser für die Patienten selbst und für die Gemeinschaft insgesamt ist, wenn die Covid-19-Symptome so früh wie möglich behandelt werden.» 

«Unsere Teams investieren viel Zeit, um die Patienten darüber zu informieren, wie sich die Krankheit ausbreitet und wie sie sich vor einer Ansteckung schützen können», erklärt Ali Alzubaidi. «Aber wir können davon ausgehen, dass die Zahl der Covid-19-Patienten weiter steigen wird, wenn die Menschen nach wie vor auf Schutzmassnahmen verzichten und den Arztbesuch hinauszögern, wenn sie krank werden.» Um das Problem der Fehlinformation anzugehen, hat Ärzte ohne Grenzen vor kurzem in Mosul eine Online-Kampagne gestartet, um die Menschen für Gesundheitsvorkehrungen zum Schutz vor  Covid-19 zu sensibilisieren. 

Auch anderswo im Irak arbeitet die Organisation daran, das Gesundheitssystem bei der Bewältigung der Pandemie zu unterstützen. In der Hauptstadt Bagdad – der am stärksten vom Virus betroffenen Stadt – unterstützt Ärzte ohne Grenzen zwei Covid-19-Behandlungszentren (Ibn Al-Khateeb und Al-kindi) und bietet Schulungen zur Triage der Patienten, zur Infektionsprävention und -kontrolle sowie direkte Unterstützung für das Personal der Al-Kindi-Intensivstation an. 

In Gesundheitseinrichtungen in den Gouvernements Erbil, Dohuk und Ninewa haben die Teams Schulungen mit Schwerpunkt Infektionsprävention und -kontrolle durchgeführt. Die Organisation hat auch eine Isolations- und Behandlungseinrichtung mit 20 Betten im Lager Laylan eingerichtet, um sich auf einen möglichen Anstieg der Covid-19-Fälle dort vorzubereiten. Im Gouvernement Kirkuk hält Ärzte ohne Grenzen die regulären medizinischen Leistungen aufrecht; darunter die dringend benötigte medizinische Versorgung von Müttern und Patienten mit nichtübertragbaren Krankheiten. Im Gouvernement Ninanwah bietet die Organisation in Qayyarah nach wie vor die Behandlung von Verbrennungen an.

«Was wir in Mosul tun, ist nur ein Beispiel dafür, was wir in grösserem Massstab im ganzen Land zu tun versuchen», erläutert Marc van der Mullen, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen im Irak. 

In einem Land wie dem Irak ist die Aufrechterhaltung unserer bestehenden Dienste derzeit genauso wichtig wie die Reaktion auf Notfälle. Wir haben keine andere Wahl, als unsere Projekte anzupassen und zu versuchen, an beiden Fronten zu arbeiten.

Marc van der Mullen, Einsatzleiter Ärzte ohne Grenzen