In Kiribati sind die Folgen des Klimawandels für die ganze Welt sichtbar

Vogelperspektive auf ein Atoll von Kiribati. November 2022.

Klimakrise6 Min.

Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) ist seit Oktober 2022 offiziell im pazifischen Inselstaat Kiribati tätig. Unser Team vor Ort besteht aus einem Kinderarzt, einer Hebamme und einem Allgemeinarzt. Es unterstützt das Gesundheitsministerium bei den Leistungen rund um die Mutter-Kind-Gesundheit.

Die 32 Atolle von Kiribati, die sich zwischen Australien und Hawaii befinden, erstrecken sich über ein weitläufiges Meeresgebiet von 3,5 Millione km2 im zentralen Pazifik. Mit einer Landfläche von 811 km2 ist es dennoch eines der kleinsten Länder der Welt. Die Hälfte der Bevölkerung, die auf 120 000 Personen geschätzt wird, lebt in der Hauptstadt South Tarawa. Wegen der hohen Geburtenrate – 26 Geburten auf 1000 Einwohner:innen – und der starken Zuwanderung aus den äusseren Inseln ist die Hauptstadt überbevölkert. Dies verschärft gesundheitliche und soziale Probleme und hat auch Konsequenzen für die Umwelt.

Die Bevölkerung Kiribatis hat mit einer der höchsten Krankheitslasten weltweit zu kämpfen.

Alison Jones, medizinische Koordinatorin für Kiribati

«Das Land hat die höchste Inzidenz von Lepra, Tuberkulose und Diabetes sind weit verbreitet. Gleichzeitig ist der Zugang zu medizinischer Grundversorgung sehr schlecht», erklärt Alison Jones. Auch Umweltprobleme machen dem Land zunehmend zu schaffen.

Besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels

Der höchste Punkt von Tarawa erreicht gerade mal 3 Meter über Meer – der steigende Meeresspiegel infolge des Klimawandels ist somit für die kleine Landmasse eine grosse Bedrohung. Die Küstenerosion und der damit verbundene Landverlust sind überall sichtbar. 81 Prozent der Haushalte gaben 2016 an, direkt vom steigenden Meeresspiegel betroffen zu sein. Zusätzlich zum Landverlust dringt vermehrt Salzwasser in das Grundwasser und die Böden ein, die Lufttemperaturen steigen an und fehlender Niederschlag führt immer häufiger zu Dürren.

Bodenerosion in Kiribati. November 2022.

Die Bodenerosion in Süd-Tarawa ist sehr sichtbar. Dazu kommt, dass auch die Abfallentsorgung eine Herausforderung ist, der sich die Behörden stellen müssen. November 2022.

© Joanne Lillie/MSF

Auch die Landwirtschaft ist durch den Bodenverlust bedroht. Vor allem auf den äusseren Inseln betreiben die meisten Menschen Substistenzwirtschaft, doch diese geht seit einigen Jahren stetig zurück. Auch die Fischerei ist betroffen: Aufgrund der Überbevölkerung und der Auswirkungen des Klimas auf die Fischerei in Korallenriffen kann die Bevölkerung durch die Küstenfischerei bald nicht mehr ausreichend ernährt werden. Man geht davon aus, dass die Einwohner:innen Kiribatis bis 2030 50 Prozent mehr Nahrung brauchen, um den steigenden Bedarf abzudecken.

Die Ernährungsunsicherheit ist aber nicht nur auf die extremen Klimabedingungen zurückzuführen, sondern auch auf die veränderte Lebensweise. Gerade junge Leute wollen die Nahrung nicht mehr auf traditionelle Weise herstellen und zubereiten, sondern bevorzugen importierte Produkte. Frischwaren sind zudem sehr kostspielig: Ein Kürbis kann bis zu 20 Franken kosten, eine Melone bis zu 32 Franken – für die meisten kaum erschwinglich, wenn man bedenkt, dass der Mindestlohn einen Franken pro Stunde beträgt. Es ist also kaum erstaunlich, dass die meisten der Inselbewohner:innen nur wenig Früchte und Gemüse verzehren. Das Grundnahrungsmittel ist Reis; daneben werden importierte zuckerhaltige Getränke, Konserven und sonstige verarbeitete Lebensmittel konsumiert.

Die Folgen:

  • 38 Prozent der Männer und 54 Prozent der Frauen sind fettleibig
  • 25 Prozent der Kinder unter fünf Jahren sind untergewichtig
  • 70 Prozent der Erwachsenen zwischen 18 und 69 Jahren weisen drei oder mehr Risikofaktoren für chronische Krankheiten auf

Chronische Krankheiten für 75 Prozent der Todesfälle verantwortlich

Die menschliche Gesundheit beruht auf der Gesundheit unserer Umwelt. Für niemanden ist das offensichtlicher als für Inselbewohner:innen.

Wir beobachten hier eine Kombination von Klimawandel und nichtübertragbaren Krankheiten wie nirgendwo anders.

Dr. Lachlan McIver, Berater für tropische Krankheiten und planetare Gesundheit

Für Dr. McIver sind die kleinen Inselstaaten der sprichwörtliche Kanarienvogel in der Kohlenzeche des Klimawandels.

75 Prozent der Todesfälle in der Pazifikregion sind auf nichtübertragbare Krankheiten zurückzuführen. Diese sind inzwischen als Hauptgrund für die Gesundheitsprobleme in Kiribati anerkannt. In dem Archipel leiden viele Menschen unter Diabetes, und die Zahl der Betroffenen steigt: 44 Prozent der Frauen zwischen 45 und 69 Jahren haben Diabetes. Neben der ungesunden Ernährung spielen Bluthochdruck, mangelnde Bewegung und Rauchen dabei eine wichtige Rolle.

«Diabetes ist besonders besorgniserregend bei schwangeren Frauen, da die Krankheit ein hohes Risiko für Mütter und Babys darstellt. Sie benötigen vor, während und nach der Geburt Zugang zu einer spezialisierten Versorgung», erklärt Sandra Sedlmaier-Ouattara, Hebamme und medizinische Expertin unseres Projekts in Kiribati.

Schulungen für Geburtshilfepersonal

Die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen in Kiribati zielte ursprünglich darauf ab, die Erkennung und Behandlung von Diabetes und Bluthochdruck im Zusammenhang mit der Mutter-Kind-Gesundheit auf den südlichen Gilbert-Inseln in Nord-Tabiteuea zu verbessern. Derzeit haben alle Frauen mit einer Risikoschwangerschaft auf den äusseren Inseln nur begrenzten Zugang zu weiterführender Gesundheitsversorgung. So müssen sie ihre Familien zurücklassen, um in die Hauptstadt Tarawa geflogen zu werden, wo sie bis zur Entbindung und bei Bedarf auch danach fachärztlich betreut werden.

Unsere Aktivitäten in den Kliniken umfassen die allgemeine Verbesserung der pränatalen Versorgung, mit einem zusätzlichen Schwerpunkt auf der Früherkennung von Diabetes und Bluthochdruck. Ausserdem unterstützen wir Entbindungen und die Säuglingsversorgung im Spital Southern Kiribati.

Unsere Tätigkeiten konzentrieren sich auf Schulungen und Mentoring der Geburtshelfer:innen, Pflegefachpersonen und Ärzt:innen.

Sedlmaier-Ouattara, Hebamme und medizinische Expertin

Weitere Aktivitäten zielen darauf ab, die Versorgung von Neugeborenen in den ersten 24 Lebensstunden zu verbessern. Dazu wird das Gesundheitspersonal in Tabiteuea North und Tarawa im Rahmen des universellen Programms Helping Babies Breathe sowie im Fallmanagement geschult.

Ärzte ohne Grenzen wird zudem die Modernisierung der Infrastruktur des Spitals in Tabiteuea North unterstützen, unter anderem durch die Bereitstellung von erneuerbaren Energien, sauberem Wasser und Abfallmanagement. Durch die verbesserte Infrastruktur sollen Überweisungen ins Spital gefördert und chirurgische Kapazitäten ausgebaut werden.

Die Pazifikinseln gehören zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Orten der Erde. In Kiribati sind für die ganze Welt die direkten Auswirkungen des Klimawandels sichtbar. Wir müssen daher gemeinsam für die Gesundheit unseres Planeten und aller Menschen handeln.