Hepatitis E: Weltweit erste Impfkampagne im Südsudan

 Ein MSF-Mitarbeiter hält eine Spritze mit dem Hepatitis-E-Impfstoff.

Südsudan6 Min.

Auf den jüngsten Hepatitis-E-Ausbruch im Südsudan reagierte die medizinische Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF) mit einer grossangelegten Impfkampagne.

Die Krankheit, die hauptsächlich durch verunreinigte Lebensmittel oder Wasser übertragen wird, verursacht jährlich weltweit etwa 20 Millionen Infektionen und 44 000 Todesfälle. Die weltweit erste Impfkampagne dieser Grössenordnung lässt Hoffnung aufkommen im Kampf gegen Hepatitis E.

In Vertriebenencamps und Geflüchtetenunterkünften leben unzählige Menschen auf engstem Raum und unter schlechten Bedingungen zusammen. Wenn auch noch – wie so oft – die Trinkwasserversorgung stockt und die sanitären Einrichtungen mangelhaft sind, ist das Risiko von Krankheitsausbrüchen erhöht. Immer wieder sind diese Massenunterkünfte Schauplatz von Hepatitis-E-Ausbrüchen. Schwangere Frauen sind besonders bedroht; ihre Sterblichkeitsrate liegt bei rund 25 Prozent. Ausserdem steigert eine Hepatitis-E-Erkrankung das Risiko von Fehl- und Totgeburten. Eine gezielte Behandlung gegen die Krankheit gibt es bisher nicht.

«Der Kampf gegen Hepatitis E ist langwierig und frustrierend», sagte Dr. Monica Rull, medizinische Direktorin von Ärzte ohne Grenzen. «In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat unsere Organisation regelmässig auf Hepatitis-E-Ausbrüche in Vertriebenenlagern reagiert. Unter schwierigen Bedingungen versuchen unsere Teams jeweils, die Krankheit zu bekämpfen – und vor allem die verheerenden Auswirkungen auf besonders anfällige Bevölkerungsgruppen im Blick zu behalten.»

Aus der aktuellen Impfkampagne werden wir wertvolle Erkenntnisse ziehen. Es ist zu hoffen, dass diese neuen Einsichten uns helfen, Hepatitis E in Zukunft noch besser und effektiver zu bekämpfen.

Dr. Monica Rull, medizinische Direktorin von Ärzte ohne Grenzen

Im März und April 2022 führte Ärzte ohne Grenzen in Zusammenarbeit mit dem südsudanesischen Gesundheitsministerium eine Hepatitis-E-Impfkampagne im Binnenflüchtlingslager Bentiu im südsudanesischen Bundesstaat Unity durch. Rund 25 000 Menschen, darunter auch schwangere Frauen, wurden im Laufe der ersten beiden Runden geimpft. Eine dritter und letzter Impfdurchlauf ist für Oktober 2022 vorgesehen. 

«Die ersten beiden Runden der Impfkampagne waren ein Erfolg und haben auch unter der Bevölkerung ausgesprochen positive Reaktionen ausgelöst. Eine solche Kampagne gab es in der Form bisher noch nicht. Sie kann als Beispiel dienen und in anderen von Hepatitis E betroffenen Gebieten wiederholt werden», so Dr. John Rumunu, Generaldirektor für präventive Gesundheitsdienste im südsudanesischen Gesundheitsministerium. «Ich hoffe, dass der Impfstoff dazu beiträgt, Infektionen und Todesfälle durch Hepatitis E in Bentiu – und darüber hinaus – zu verringern.

Mangel an Hygiene begünstigt die Ausbreitung der Krankheit

Bentiu ist das grösste Vertriebenencamp im Südsudan. Es wurde 2014 errichtet, auf dem Höhepunkt des Konflikts. Heute leben rund 112 000 Menschen in Bentiu. Viele von ihnen sind vor Gewalt und Überschwemmungen geflohen. Ärzte ohne Grenzen ist seit der Gründung des Lagers vor Ort und hat seit 2015 mehrere Ausbrüche von Hepatitis E beobachtet. Schuld an den Ausbrüchen sind die oft katastrophalen Lebensbedingungen im Camp. Insbesondere, wenn der Zugang zu sauberem Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene erschwert ist, steigt das Risiko eines Ausbruchs. 

Eine Frau im Camp Bentiu.

Die schlechten Lebensbedingungen begünstigen die Ausbreitung von Krankheiten, die durch Wasser übertragen werden. Darunter Hepatitis E.

© Peter Caton/MSF

Überschwemmungen und neue Gewalthandlungen trieben 2021 erneut eine hohe Anzahl Menschen in die Flucht. Viele liessen sich in Bentiu nieder, wo sich die bereits prekären Lebensbedingungen verschlimmerten und durch Wasser übertragene Krankheiten sich noch ungehinderter ausbreiten konnten. Seit Juli 2021 hat Ärzte ohne Grenzen im Spital in Bentiu 759 Patient:innen mit bestätigter Hepatitis E behandelt. 17 Menschen konnten nicht gerettet werden.

Das südsudanesische Gesundheitsministerium hatte die medizinische Hilfsorganisation um Unterstützung bei der Bekämpfung des Ausbruchs in Form einer grossangelegten Impfkampagne angefragt. Der einzige verfügbare Hepatitis-E-Impfstoff, Hecolin, hat sich in klinischen Studien als hochwirksam erwiesen, und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt seit 2015, ihn bei der Bekämpfung von Ausbrüchen zu verwenden. Bisher wurde er jedoch nur in China auf individueller Basis zur Immunisierung von Reisenden eingesetzt. Im Rahmen der Impfkampagne in Bentiu dient Hecolin zum allerersten Mal dazu, eine medizinische Notlage in grossem Umfang zu bekämpfen. 

Ein Paper, in dem die Impfkampagne beschrieben wird, wurde in The Lancet Infectious Diseases veröffentlicht.

Porträt von Debora

Debora lebt seit 2014 im Vertriebenencamp Bentiu. Sie kam hierher, damit ihre Familie in Sicherheit ist und ihre Kinder zur Schule gehen können. Seit kurzem ist sie Gesundheitspromotorin bei Ärzte ohne Grenzen und hilft dabei, die Menschen im Camp zu motivieren, sich gegen Hepatitis E impfen zu lassen. «Letztes Jahr sind viele Menschen an Hepatitis E gestorben. Dieses Jahr haben wir alle Angst. Der Hauptgrund, warum es viele Menschen hier trifft, sind die schlechten sanitären Bedingungen, unter denen wir leben», sagt Debora.

© Peter Caton/MSF

«Die Impfkampagne ist ein Meilenstein in der weltweiten Bekämpfung von Hepatitis E», so Melanie Marti, medizinische Mitarbeiterin im Bereich Immunisierung, Impfungen & Biologicals bei der WHO. «Zum allerersten Mal wird ein Impfstoff dazu eingesetzt, um die Auswirkungen dieser potenziell tödlichen Krankheit zu bekämpfen. Dabei ist er bereits seit über zehn Jahren zugelassen. Seit 2015 ist er für die Reaktion auf Krankheitsausbrüche vorgesehen.»

Die WHO empfiehlt allen Ländern, die mit Hepatitis-E-Ausbrüchen kämpfen, dringend dazu, den Impfstoff einzusetzen und auch schwangere Frauen zu immunisieren.

Melanie Marti, medizinische Mitarbeiterin bei der WHO

Der Erfolg der Impfkampagne in Bentiu zeigt, dass sich der Impfstoff auch zur Bekämpfung von Ausbrüchen unter erschwerten Bedingungen eignet. Das südsudanesische Gesundheitsministerium und Ärzte ohne Grenzen überwachen die Ergebnisse der Kampagne genau. Zwar sind auch andere Massnahmen zur Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen notwendig, etwa die Verbesserung der Wasser- und Sanitärversorgung. Doch Impfungen sind nach Meinung der Gesundheitsbehörden ein wichtiger Schlüssel, um Ausbrüchen von Hepatitis E in Zukunft entgegenzuwirken. Idealerweise ermutigt die Kampagne von Ärzte ohne Grenzen in Bentiu auch andere Länder dazu, den Impfstoff künftig zur Kontrolle von Hepatitis-E-Ausbrüchen einzusetzen.