Dieses auf Pfählen gebaute Kloster auf dem Inle-See konnte dem Erdbeben der Stärke 7,7 vom 28. März nicht standhalten. Shan-Staat.
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Dieses auf Pfählen gebaute Kloster auf dem Inle-See konnte dem Erdbeben der Stärke 7,7 vom 28. März nicht standhalten. Shan-Staat.
© Nicolas Schreiner/MSF

Nach dem Erdbeben in Myanmar: Betroffene aus der Region des Inle-Sees erzählen

Die Bewohner:innen des idyllischen Inle-Sees leben seit Generationen auf dem Wasser in Pfahlbauten, die traditionell aus Bambus oder Holz erbaut sind. Bis zu 90 Prozent der Bauten wurden im Erdbeben der Stärke 7,7 zerstört oder beschädigt, das Myanmar am 28. März dieses Jahres erschütterte. Seither leben viele Menschen auf dem Festland rund um den See in überfüllten Behausungen, Zelten oder Notunterkünften. Einige von ihnen haben Schreckliches erlebt, als sie versuchten, sich an Land in Sicherheit zu bringen, während ihre Häuser im Wasser versanken. Mit zwei von ihnen, Ma Thazin und Daw may Lwin, haben unsere Mitarbeitenden vor Ort gesprochen.

Es war Markttag in Nam Pam, als die Erde um genau 12.50 Uhr mehr als zweieinhalb Minuten lang bebte.

Ma Thazin: «Weil wir auf dem See wohnten, konnten wir uns nirgends in Sicherheit bringen.»

«Als die Erde bebte, waren mein Mann und ich gerade vom Markt nach Hause gekommen und ruhten uns aus. Nach der ersten Erschütterung dachten wir, es sei vorbei, aber es ging weiter. Im Haus fiel alles zu Boden: Es herrschte komplettes Chaos. Ich versuchte wegzurennen, bin dabei aber gestürzt. Mein Mann hat mir aufgeholfen und wir klammerten uns an zwei Holzsäulen, während unser Haus unterging. Schliesslich konnten wir unser Boot erreichen.

In der Hoffnung, noch etwas retten zu können, sind wir eine Stunde später zu unserem Haus zurückgekehrt. Doch unser gesamtes Hab und Gut war im Wasser verschwunden. An dem Tag hatten wir weder zu Essen noch zu Trinken. Alle weinten. Wir konnten uns nicht gegenseitig helfen, denn niemand war verschont geblieben.

Ma Thazin

Am Vortag, als ich gerade vom Besuch bei einem Freund zurückkam, sah ich Vögel über unserem Dorf kreisen. Ich sagte mir, dass unser Dorf ein Unglück ereilen würde. 

Ein Erdbeben dieser Stärke habe ich noch nie erlebt. In den zwei Wochen danach konnte ich nicht mehr schlafen und lag jede Nacht bis zwei Uhr morgens wach. Ich habe eine Lampe aufgehängt und eine Wasserflasche neben mein Bett gestellt, um rasch zu merken, falls die Erde erneut beben sollte. Wir hatten Glück im Unglück: Das Erdbeben ereignete sich am helllichten Tag und nicht mitten in der Nacht, sonst wären wir jetzt alle tot.

Am schlimmsten ist es, kein Zuhause mehr zu haben. Ich möchte bei meinen Lieben sein: meinem Mann und seiner Familie. Derzeit wohne ich mit meinem Mann im Haus eines seiner Verwandten auf dem See, während meine Schwiegereltern in einem Kloster auf dem Festland untergekommen sind. Ich dachte, Erdbeben könne es nur an Land geben, nicht auf dem Wasser: Ich habe mich getäuscht. Eigentlich lebe ich gerne auf dem Wasser, aber bei Naturkatastrophen wie dieser können wir uns nirgends in Sicherheit bringen.»

Verteilung von Baumaterial durch die Teams von Ärzte ohne Grenzen.

Verteilung von Baumaterial durch die Teams von Ärzte ohne Grenzen.

© Nicolas Schreiner/MSF

Daw May Lwin: «Nach dem Erdbeben fühlte ich eine enorme Erschöpfung. Ich war wie gelähmt und hatte die ganze Zeit Herzrasen.»

«Am Tag, als es geschah, waren nur meine 89-jährige Mutter und ich im Haus. Ich wusch gerade Wäsche am Wasserturm, als das Wasser zunächst leicht zu beben begann. Kurz darauf explodierte der Wasserturm und ich wurde in den See geschleudert. Während ich alles tat, um mich über Wasser zu halten, wurde das Wasser wegen dem Schlamm und den Trümmern immer dicker. Je mehr ich die Arme bewegte, desto stärker wurde ich unter Wasser gezogen. Aber ich hatte grosses Glück und konnte mich retten.

Meine Mutter ist seit 13 Jahren querschnittsgelähmt, sie kann ohne Hilfe nicht laufen. Als mein Mann und ich nach dem Beben endlich unser Haus erreichten, konnten wir meine Mutter, die ohnmächtig am Boden lag, wecken. Zum Glück befand sie sich im ersten Stock, denn der zweite war ganz eingestürzt.

Wir haben unsere schwimmende Gemüseplantage, unser Haus und zwei Boote beim Erdbeben verloren. Je nach Jahreszeit bauten wir Auberginen oder Tomaten an. Kurz vor dem Erdbeben waren unsere Auberginen fast reif, aber jetzt ist alles zerstört. 80 Hektar unserer Plantage wurden weggeschwemmt. Bisher konnten wir unsere Plantage nicht wieder aufbauen, weil wir meine Mutter nicht alleine lassen können. Unsere Plantage war unsere Haupteinnahmequelle, und jetzt ist alles dahin.

Der Schock des Erdbebens sitzt noch tief und die Ungewissheit über unsere Zukunft ist sehr belastend – körperlich wie seelisch. Ich fühle eine enorme Erschöpfung, bin wie gelähmt und habe die ganze Zeit Herzrasen. Wegen der Gleichgewichtsstörungen kann ich nicht richtig gehen. Zwanzig Tage lang konnte ich auch nicht mehr richtig sprechen.

Daw May Lwin

Ich möchte unser Haus so schnell wie möglich reparieren, ehe der Monsun beginnt. Meine fünfköpfige Familie lebt derzeit bei meinem Onkel.»

Das Erdbeben hat die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung massiv eingeschränkt. Die Trinkwasserversorgung wurde unterbrochen und der Wiederaufbau wird aufgrund der unzugänglichen Lage und der hohen Rohstoffpreise verlangsamt. Unsere Teams sind in vier Dörfern auf dem See im Einsatz, um die Trinkwasserversorgung wiederherzustellen sowie Baumaterial und grundlegende Gebrauchsgüter zu verteilen.