Mobile Klinik von Ärzte ohne Grenzen im Gouvernement Nabatäa, das besonders stark vom Krieg betroffen ist
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Mobile Klinik von Ärzte ohne Grenzen im Gouvernement Nabatäa, das besonders stark vom Krieg betroffen ist.
© Maryam Srour/MSF

Libanon: Ein Jahr nach Beginn der israelischen Offensive spitzt sich die Lage zu

Ein Jahr ist seit Beginn der israelischen Offensive im Libanon vergangen. Die humanitäre Lage ist weiterhin sehr angespannt. Trotz des im November 2024 vereinbarten Waffenstillstands bleiben israelische Angriffe an der Tagesordnung. Für die Bevölkerung ist es entsprechend schwierig, sich von diesem Krieg zu erholen, auch medizinische Versorgung ist für viele nur schwer zugänglich. Zahlreiche Orte entlang der Grenze sind weiterhin von den israelischen Streitkräften besetzt. Mehr als 82 000 Personen, die vertrieben wurden, sehen sich nicht in der Lage, in ihre Heimat zurückzukehren.

«Ich bin zurückgekommen, um mein Haus wiederaufzubauen», erzählt Abdel Karim. Seine Stimme geht im Lärm einer israelischen Überwachungsdrohne fast unter. «Aber wie soll man ohne Sicherheit oder die Möglichkeit, essenzielle Güter wie Medikamente zu kaufen, sein Leben wiederaufbauen?»

Karim ist in seine Heimatstadt im Distrikt Bint Dschubail im Gouvernement Nabatäa zurückgekehrt – einem Gebiet, das besonders stark von den Kämpfen betroffen ist. Hier erhält er in einer unserer mobilen Kliniken die Medikamente zur Behandlung einer chronischen Krankheit.

Tausende Familien im ganzen Land haben kaum Zugang zu Gesundheitsversorgung. Trotz Vertreibung, erlittener Verluste und der Ungewissheit versuchen sie, ihr Leben wieder in den Griff zu kriegen.

Zahlreiche Ortschaften im Süden bleiben aufgrund des Ausmasses der Zerstörung unbewohnbar.

Zahlreiche Ortschaften im Süden bleiben aufgrund des Ausmasses der Zerstörung unbewohnbar.

© Maryam Srour,MSF

Im Süden des Landes wurde die Infrastruktur, darunter auch die medizinische, durch den Krieg schwer beschädigt. Auf dem Höhepunkt des Kriegs mussten acht Spitäler evakuiert werden; weitere 21 erlitten Schäden, waren nur noch teilweise oder gar nicht mehr funktionsfähig. 133 Gesundheitszentren stellten den Betrieb ein. Viele dieser Einrichtungen sind noch immer geschlossen oder müssen saniert werden.

Als Reaktion darauf starteten wir Hilfsmassnahmen in den besonders stark betroffenen Gouvernements. Gleichzeitig führten wir unsere Tätigkeiten in den anderen Regionen fort. Im Süden waren wir mit mobilen Kliniken unterwegs, um sicherzustellen, dass zurückgekehrte Menschen medizinische bzw. psychologische Hilfe erhielten. Denn viele konnten sich die öffentliche Gesundheitsversorgung nicht leisten. Seit dem 23. September 2024 haben unsere Teams mehr als 175 000 medizinische Sprechstunden sowie 14 000 psychologische Einzel- und 12 000 Gruppenberatungen durchgeführt.

Karten mit den Aktivitäten von Ärzte ohne Grenzen im Libanon zwischen September 2024 und September 2025
© MSF

«Es trifft uns im Innersten»

Unsere Teams vor Ort sehen täglich die Auswirkungen dieser Gewalteskalation und des Kriegs, der nicht wirklich zu Ende ist. Sowohl Kinder als auch Erwachsene sind ständigem Stress und permanenter Angst ausgesetzt. Entsprechend gross ist der Bedarf an psychologischer Unterstützung.

Die Menschen werden hier täglich an den Konflikt und seine verheerenden Auswirkungen erinnert. Der Lärm der Drohnen, die anhaltende Besetzung einiger Gebiete, die unablässigen Angriffe aus der Luft – all das setzt der Bevölkerung schwer zu.

Tharwat Saraeb, Psychologe in unserer mobilen Klinik in Nabatäa

«Beim geringsten Geräusch eines Einschlags, auch wenn er weit weg ist, verliert meine Tochter das Bewusstsein», erzählt unsere Patientin Samira. «Sie ist selbst auch Mutter. Wir haben alle riesige Angst. Es trifft uns im Innersten

Verheerende Auswirkungen für Geflüchtete und Migrant:innen

Auch mehr als eine Million Syrer:innen, hunderttausende Palästinenser:innen und andere Migrant:innen leben unter oftmals schwierigen Bedingungen im Libanon. Während der jüngsten Gewalteskalation waren sie von der dringend benötigten humanitären Hilfe weitgehend ausgeschlossen. Der Zugang zu medizinischer Versorgung, den sie dank den Hilfsorganisationen hatten, ist fortan nicht mehr gesichert.

Tatsächlich ist die sekundäre Gesundheitsversorgung bis Ende Jahr durch das UN-Flüchtlingshilfswerk und die Internationale Organisation für Migration nicht mehr abgedeckt; gleichzeitig sind UNRWA und Unicef von massiven Budgetkürzungen betroffen. Die dadurch entstehenden Lücken sind enorm und verschlimmern die bereits kritische Lage zusätzlich.

Vor Menschen wie Abdel Karim und Samira liegt ein langer Weg, um ihr Leben wiederaufzubauen. Unsere Teams setzen sich weiterhin mit Nachdruck dafür ein, dass medizinische Versorgung allen zur Verfügung steht. Für eine wirkliche Verbesserung der Lage ist es jedoch unabdingbar, dass die Menschen ohne Angst leben können und Zugang zu grundlegenden Diensten haben.