Gaza: Komplexe Behandlung von Knocheninfektionen

Ein Patient vor dem Al-Awda-Spital in Gaza.

Palästinensische Autonomiegebiete4 Min.

In Gaza steht MSF vor grossen Herausforderungen bei der Behandlung von Knocheninfektionen. Diese sind eine Folge der Schussverletzungen, welche die Betroffenen während der Demonstrationen im vergangenen Jahr durch die israelische Armee erlitten haben. Die Behandlung dieser komplizierten Verletzungen dauert Monate, wenn nicht sogar Jahre. Hinzu kommt, dass viele der Erreger Resistenzen gegen Antibiotika entwickelt haben. Doch die Behandlungsmöglichkeiten in Gaza sind beschränkt, der Bedarf an Personal, Medikamenten und Ausstattung hoch. Die Betroffenen müssen neben den körperlichen Leiden auch mit psychischen Belastungen umgehen.

Ayman muss im Spital isoliert untergebracht werden, für mindestens sechs Wochen. So soll die Gefahr einer Ausbreitung resistenter Bakterien so gering wie möglich gehalten werden. Wer seinen Raum betreten möchte, muss Schutzkleidung tragen und sich die Hände reinigen. Die Patienten auf der Isolierstation dürfen ihr Zimmer nur im Schutzkittel verlassen. Ayman sagt, er fühle sich wie im Gefängnis.

Auf einer normalen Krankenstation könnte ich es ein Jahr lang aushalten, aber hier … Ich denke nur daran, wann ich endlich rauskomme.

Ayman

Unseren Schätzungen zufolge ist Ayman einer von rund 1000 Menschen in Gaza, die an schweren Knocheninfektionen leiden. Seit einem Jahr kommt es bei Demonstrationen immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Mehr als 7400 Palästinenser sind dabei seit Beginn der Proteste 2018 durch Schüsse mit scharfer Munition verletzt worden. Ungefähr die Hälfte von ihnen hat offene Frakturen erlitten, bei denen Knochen nahe der Wunde gebrochen sind.

Hohe Infektionsgefahr, limitierte Behandlungsmöglichkeiten

Schusswunden sind generell sehr anfällig für Infektionen. Bei einer solchen Verletzung durchbricht ein schmutziger Fremdkörper die Haut. Darum muss man die Wunde unbedingt reinigen, wenn man die Gefahr einer Infektion eindämmen möchte. Bei den Verletzungen, mit denen wir es in Gaza zu tun haben, sind die Wundern teilweise sehr gross, es sind Knochen gesplittert und nicht selten kommt es zu Komplikationen bei der Behandlung. Aus diesen Gründen sind viele Wunden noch lange nach der Verletzung offen.

«Bei einem offenen Bruch muss man unbedingt verhindern, dass sich die Wunde infiziert, was bei dieser Art von Verletzung leicht geschieht», erklärt Aulio Castillo, der Leiter des medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) in Gaza. «Leider hat sich bei vielen unserer Patienten mittlerweile eine chronische Infektion entwickelt. Denn es handelt sich um schwere Verletzungen und die medizinischen Möglichkeiten hier sind stark eingeschränkt.» Der Bedarf an speziell ausgebildetem Personal, Medikamenten und Platz sei gross, so Castillo. 

Oft zeigen unsere Tests, dass die Betroffenen mit antibiotikaresistenten Bakterien infiziert sind. Es wäre überall auf der Welt schwierig, sie zu behandeln.

Aulio Castillo, Leiter des medizinischen Teams von MSF in Gaza

Gefährliche Antibiotikaresistenzen

Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien sind ein weltweites Problem. Es wäre überall auf der Welt schwierig, sie zu behandeln. In Gaza ist es aber noch schwieriger. 

«Gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium haben wir ein bestehendes Labor ausgebaut. Dort kann man jetzt Knochenproben untersuchen. So können wir herausfinden, welche Antibiotika wirksam sein könnten», erklärt Castillo. In Gaza ist dieses Labor einzigartig. Vor seiner Eröffnung musste jede Probe zur Untersuchung nach Israel geschickt werden. 

«Ich möchte wieder als Tortenbäcker arbeiten!»

Für Ayman heisst es erst einmal warten. Seine Antibiotika werden ihm rund um die Uhr im Vier-Stunden-Takt intravenös verabreicht. Sein Zustand wird permanent vom Team überwacht, um sicherzustellen, dass die Infektion wirksam bekämpft wird und keine unerwünschten Nebenwirkungen auftreten. Vor ihm liegt eine lange Zeit der Ungewissheit. Wehmütig erinnert er sich an sein Leben vor der Verletzung. «Ich möchte wieder als Tortenbäcker arbeiten», sagt er. Doch dafür braucht er weitere chirurgische Behandlungen. Und die können erst durchgeführt werden, wenn die Infektion abgeklungen ist. 

Ayman, ein Patient im Spital Khan Younis in Gaza. Er wird wegen einer Infektion am Bein behandelt.

Ayman in seinem Zimmer, wo er während seiner gesamten Behandlung isoliert war.

© Jacob Burns/MSF

Um den Menschen die lange Behandlungsphase zu erleichtern, beschäftigt Ärzte ohne Grenzen auch Mitarbeitende, die psychosoziale Unterstützung anbieten. «Wenn die Leute hören, dass sie isoliert stationiert werden, sind sie erst einmal geschockt oder weinen sogar», so Sozialarbeiter Amal Abed. Das Team nimmt sich deshalb viel Zeit für die Betroffenen, um ihnen die Situation zu erklären, und warum es wichtig ist, sich an die Sicherheitsvorschriften, die beispielsweise bei einer isolierten Unterbringung zu berücksichtigen sind, zu halten.

Ärzte ohne Grenzen versucht ausserdem, Kontakt zwischen den verschiedenen Patientinnen und Patienten, die isoliert werden müssen, zu ermöglichen. «Wir müssen zwar die Sicherheitsvorschriften einhalten», erklärt Abed, «aber wir holen sie gern aus ihren Zimmern, um gemeinsam zu singen, zu tanzen oder etwas Neues zu lernen.»