Masernepidemien in der DR Kongo: Ein ewiger Kampf?

Impfeinrichtung im Gesundheitsbezirk Bangabola. Demokratische Republik Kongo, Mai 2022.

Demokratische Republik Kongo6 Min.

Alle zwei bis drei Jahre treffen Masernausbrüche in der Demokratischen Republik Kongo zehntausende und manchmal sogar hunderttausende Kinder. Das vergangene Jahr war keine Ausnahme: Mehr als 148 600 Menschen sind an Masern erkrankt, rund 1800 starben. Wie erklärt sich diese permanente Notsituation? Und vor allem, was kann Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF) dagegen tun?

Hört man von Notsituationen in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo), denkt man nicht als Erstes an Masern. Tatsache ist jedoch, dass die Krankheit immer wieder viel Leid verursacht und besonders für Kleinkinder eine grosse Gefahr darstellt. Nicht erstaunlich also, dass die Krankheit seit Jahren der häufigste Grund für unsere Noteinsätze in der DR Kongo ist.

«Wir haben fünf Notfallteams, die praktisch im Dauereinsatz sind, um auf Masernausbrüche überall im Land zu reagieren. Kaum ist ein Ausbruch unter Kontrolle, tritt irgendwo wieder ein anderer auf. 2022 leiteten wir 45 Notfalleinsätze im Zusammenhang mit Masern – das sind mehr als drei Viertel unserer Notfalleinsätze in der DR Kongo», erläutert Dr. Louis Massing, medizinischer Experte für unsere Teams im Land.

Der grösste bisher verzeichnete Masernausbruch in der DR Kongo fand von 2018 bis 2020 statt. Fast 460 000 Kinder haben sich in diesem Zeitraum mit der Krankheit angesteckt, 8000 sind daran gestorben. Die Gesundheitsbehörden haben gross angelegte Impfkampagnen organisiert, bei denen wir als internationale Akteure mitgeholfen haben. Dies führte dazu, dass die Zahl der Erkrankungen 2021 stark zurückging.

«Doch im vergangenen Jahr erreichten die Zahlen fast in der Hälfte aller Bezirke des Landes wieder Werte wie während einer Epidemie», stellt Massing fest.

Allein im Januar 2023 wurden landesweit fast 20 000 Masern-Verdachtsfälle gemeldet. Unsere Teams waren dieses Jahr bereits bei Masernausbrüchen in den Provinzen Tshopo, Maniema, Sud-Kivu, Nord-Kivu, Lomami und Lualaba im Einsatz.

Dr. Louis Massing, unser medizinische Experte in der DR Kongo

«Es darf kein schwaches Glied in der Kette geben»

Masern gehören zu den ansteckendsten Krankheiten, aber die Impfung, in zweifacher Dosis verabreicht, bietet praktisch einen vollständigen Schutz. Eine Person, die das Virus in sich trägt, kann bis zu 90 Prozent aller ungeimpften Menschen in ihrer Umgebung anstecken – eine möglichst hohe Durchimpfung ist demnach entscheidend. Dies bedingt jedoch massive Investitionen in die Durchführung von Routine- und Auffrischimpfungen sowie in Überwachungsmassnahmen.

«Beim Kampf gegen Masern verhält es sich wie bei einer Kette, die das Virus umschliesst. Ist nur ein einziges Glied beschädigt, kann das Virus entkommen», so Massing. «Als Erstes muss das Land sicherstellen, dass genügend Impfstoffe vorhanden sind, um Engpässe in den Gesundheitseinrichtungen zu vermeiden. Ausserdem muss für den Transport in die entsprechenden Einrichtungen gesorgt werden. Dort muss eine wirksame Kühlkette sichergestellt werden, damit die Impfstoffe korrekt gelagert werden können. Es braucht Personal vor Ort, um die Kinder während der Sprechstunden zu impfen. Dazu müssen die Familien in der Lage sein, überhaupt ins Gesundheitszentrum zu kommen. Regelmässige Kampagnen zur Auffrischimpfung sind nötig, damit kein Kind durch die Maschen fällt. Angesichts der hohen Ansteckungsfähigkeit von Masern darf es kein schwaches Glied geben.»

Doch genau das ist in der DR Kongo nicht gegeben. Zu gross sind die strukturellen Herausforderungen: Die hohe Geburtenrate bedeutet, dass jeden Tag zahlreiche Neugeborene geschützt werden müssen. Gewisse Regionen sind aufgrund geografischer Faktoren oder der unsicheren Lage nur schwer zugänglich.

Dies hat zur Folge, dass die Durchimpfungsrate trotz notfallmässig durchgeführter Impfkampagnen ungenügend ist. Auch wenn die Zahlen je nach Quelle stark variieren, haben laut Schätzungen von UNICEF und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2021 nur 55 Prozent aller Kinder eine Impfdosis gegen Masern erhalten. Um die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern, wäre eine Durchimpfung mit zwei Dosen von mindestens 95 Prozent erforderlich.

Gewisse Gebiete sind nur per Einbaum erreichbar, manche nur zu Fuss durch den Regenwald. Nicht selten sind unsere Teams die einzigen, die gewisse Dörfer überhaupt erreichen. Die lokalen Behörden haben nicht die nötige Ausrüstung, das Benzin oder das Personal dazu.

Alexis Mpesha, Logistikleiter eines Notfallteams


Manche Eltern, die ihre Kinder impfen lassen möchten, werden von den langen Reisewegen und den hohen Kosten davon abgehalten. «Gesundheitsversorgung ist teuer und unsere Mittel sind begrenzt», bestätigt Anne Epalu, die aus dem Dorf Bangabola kommt. Dort haben unsere Teams 2022 einen Masernausbruch bekämpft. «Einige Kinder sterben, nur weil die Eltern sich die Behandlung nicht leisten können.»

Impfmassnahmen müssen dringend verstärkt werden

2022 haben unsere Teams in 14 Provinzen der DR Kongo mehr als zwei Millionen Kinder geimpft und mindestens 37 000 an Masern erkrankte Personen behandelt. Wird in einem Gebiet ein rascher Anstieg der Masernfälle festgestellt und die Ressourcen auf lokaler Ebene sind begrenzt, unterstützt Ärzte ohne Grenzen das Gesundheitsministerium bei der Durchführung von Impfkampagnen und der Einrichtung von Behandlungsräumen. Daneben haben wir in mehreren Provinzen das ganze Jahr über Teams im Einsatz, die logistische Unterstützung bei Routineimpfungen in Gesundheitseinrichtungen anbieten.

Unsere Impfkampagnen in der DR Kongo 2022

Unsere Impfkampagnen in der DR Kongo im Jahr 2022

© MSF

Um eine höhere Durchimpfung zu erreichen und den verheerenden Ausbrüchen ein Ende zu setzen, sind deutlich mehr Anstrengungen und Investitionen seitens der Gesundheitsbehörden und ihrer Partner erforderlich.

«So muss insbesondere die zweite Impfdosis fester Bestandteil der Routineimpfungen werden», betont Dr. Louis Massing. «Dies wurde kürzlich von den Behörden beschlossen und kann bereits viel bewirken. Bei jeder kinderärztlichen Sprechstunde Auffrischimpfungen anzubieten, könnte ebenfalls zu einer deutlich höheren Impfabdeckung im ganzen Land beitragen.»

Unterdessen müssen die bereits seit Ende 2022 geplanten gross angelegten Kampagnen zur Auffrischimpfung umgehend im ganzen Land umgesetzt werden. Denn die immer wieder auftretenden Ausbrüche bedrohen jeden Tag das Leben zahlreicher Kinder.

«Bis dahin unterstützen unsere Teams weiterhin nach Kräften die Bekämpfungsmassnahmen der Gesundheitsbehörden. Dies setzt voraus, dass die Impfstoffe im ganzen Land in ausreichender Menge vorhanden sind», schliesst Massing.