Libanon: «Ich muss mich entscheiden, ob ich den Kindern Essen kaufe oder sie zum Arzt bringe»

Eine Pflegefachfrau von Ärzte ohne Grenzen im Libanon spricht mit einer Patientin.

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Die Wirtschaftskrise im Libanon macht benachteiligten Bevölkerungsgruppen das Leben noch schwerer.

Die Wirtschaftskrise im Libanon trifft die Schwächsten am stärksten. So zum Beispiel in Wadi Khaled im Nordlibanon, einer Region mit einer besonders niedrigen Impfabdeckung. Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières führt hier deshalb Routineimpfungen durch.

«Ich muss mich entscheiden, ob ich den Kindern Essen kaufe oder sie zum Arzt bringe», erzählt Aahd, während sie ihren einjährigen Jungen fest im Arm hält. Sie hat Angst, dass er vom offenen Balkon ihres unfertigen Hauses fallen könnte. Aahd lebt mit ihrer Familie in Wadi Khaled, einem der ärmsten und benachteiligsten Gebiete im nördlichen Distrikt Akkar, der an Syrien grenzt.

Die Familie ist eine von vielen, die schon vor der schweren Krise des Landes kaum über die Runden kamen. Nun reicht es nicht einmal mehr, um die Grundbedürfnisse abzudecken. «Mein Mann arbeitet zwischendurch auf den Feldern und unser Einkommen reicht gerade knapp für Essen, Wasser und Strom. In guten Zeiten beträgt unser monatliches Einkommen etwa 35 000 libanesische Pfund (ca. USD 24). Früher reichten 10 000 Pfund für etwa drei Mahlzeiten, jetzt noch knapp für eine. An vielen Tagen müssen meine Kinder hungrig ins Bett gehen», sagt Aahd. 

Man fühlt sich sehr hilflos, wenn man seine Kinder nicht einmal grundlegend versorgen kann. Wenigstens sind sie nun dank einer einfachen Spritze langfristig vor Krankheiten geschützt.

Aahd, Bewohnerin von Wadi Khaled

Immer mehr Menschen im Libanon sind gezwungen, bei ihren Ausgaben Prioritäten zu setzen. Die medizinische Versorgung bleibt dabei auf der Strecke – ausgerechnet in einem Land, in dem Gesundheitsversorgung stark privatisiert ist. Um kein Geld für Gesundheitsleistungen ausgeben zu müssen, warten die Leute viel zu lange, bis sie medizinische Hilfe aufsuchen. Häufig ist ihr Zustand dann schon so ernst, dass präventive Behandlungen nicht mehr ausreichen und sie hospitalisiert werden müssen. Die dabei verursachten Kosten können sie sich schon gar nicht leisten. 

«Während die Armut im Libanon zunimmt, unterlassen es viele Menschen immer häufiger, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen und probieren, Krankheiten selbst in den Griff zu kriegen», erklärt Marcelo Fernandez, Einsatzleiter bei Ärzte ohne Grenzen im Libanon. «Diesen Trend stellen wir auch in Wadi Khaled fest. Am stärksten trifft es bereits verletzliche Personengruppen.» 

Wöchentliche Impfungen von Ärzte ohne Grenzen

Die prekäre gesundheitliche Lage in Wadi Khaled kommt besonders bei der Anzahl nicht ausreichend geimpfter Kinder zum Ausdruck.  In einem Land, in dem es immer wieder zu Masernausbrüchen kommt und selbst Polio noch eine Bedrohung darstellt, ist dies sehr besorgniserregend. «Es gibt keine offiziellen Zahlen zur Impfabdeckung in Wadi Khaled. Doch die Anzahl Kinder, die in unsere Klinik kommen und nicht gegen Hepatitis B geimpft sind – eine Impfung, die normalerweise bei der Geburt verabreicht wird – weist auf eine niedrige Impfquote hin», erklärt Rana Hammoud, Pflegefachfrau an unserer örtlichen Klinik. 

Unsere Teams unterstützen deshalb das Impfprogramm des Gesundheitsministeriums und führen Routineimpfungen durch. Seit 2021 hat Ärzte ohne Grenzen in diesem Rahmen über 5000 Kinder vollständig immunisiert. 

Für mich war das Angebot von Ärzte ohne Grenzen die einzige Möglichkeit, meine Kinder impfen zu lassen.

Aahd, Bewohnerin von Wadi Khaled

«Die wenigen Gesundheitseinrichtungen bei uns in der Gegend werden von lokalen oder internationalen Hilfsorganisationen betrieben und nicht überall werden alle Leistungen angeboten», fährt Aahd fort.

Um zu verhindern, dass für die Menschen hohe Reisekosten entstehen und ihnen die Impfungen im wahrsten Sinn des Wortes näherzubringen, führen unsere Teams in den Dörfern von Wadi Khaled wöchentliche Impfkampagnen durch. Parallel dazu finden auch Veranstaltungen rund um das Gesundheitsbewusstsein statt, um Vorurteile zu bekämpfen und die Menschen für Routineimpfungen zu motivieren.