Irak: Vom Flüchtling zum Helfer

Irak, Grenzübergang Sahela, 1. November 2019

Irak4 Min.

Jamal und Jalal kommen ursprünglich aus dem Distrikt Sinjar im Nordwesten Iraks, der Mittelpunkt für die Minderheit der Jesiden geworden ist. Die beiden Gesundheitshelfer wurden von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) rekrutiert, um bei einem Notfall im Irak innerhalb von 48 Stunden einsatzbereit zu sein.

Das Lager in Bardarash wurde am 16. Oktober 2019 als Reaktion auf die Flüchtlingswelle, die durch die türkische Militäroffensive in Syrien verursacht wurde, eröffnet. Jalal und Jamal waren Teil des ersten medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen vor Ort. Mehr als 13 000 Personen aus Syrien leben nun in diesem Lager, das 2013 für Menschen errichtet wurde, die vor den Kämpfen in Mossul flüchteten. 

Die Aufgabe von Jalal und Jamal ist es, den Bedarf an psychologischer Hilfe im Lager zu ermitteln. Bis eine fixe Beratungsstelle in Betrieb ist, bieten die beiden Gesundheitshelfer den Lagerbewohner*innen psychologische Erste Hilfe an.

«Dazu gehen wir im Lager von Zelt zu Zelt, um mit den Familien zu sprechen und Symptome zu erkennen, die auf ein Trauma hinweisen könnten», erklärt Jamal. «Wir waren selbst Flüchtlinge und wissen, was die Menschen durchmachen. Die Sprache der syrischen Kurden ähnelt zudem stark der Sprache in unserer Region. Das erleichtert die Kommunikation und verbindet.» 

Irak, Grenzübergang Sahela, 1. November 2019

Nwhat Abdul Hamid, 9 Jahre, kommt aus der kurdischen Stadt Darbasiya in Syrien. Sie sitzt im Bus der internationalen Organisation für Migration (IOM), der am 1. November 2019 den Grenzübergang Sahela zwischen dem Irak und Syrien passiert.

© Moises Saman / Magnum Photos for MSF

 

Jamal und Jalal erlebten am eigenen Leib, wie es ist, Flüchtling zu sein, als ihre Heimat 2014 vom Islamischen Staat erobert wurde. «Wir sind in die Berge geflohen», erzählt Jalal. «Danach haben wir gemeinsam mit Angehörigen von mir die syrische Grenze überquert und haben in Dohuk, im irakischen Kurdistan, Zuflucht gesucht. Von dort aus konnte ich im Fernstudium an der Universität von Mossul weiter studieren, während die Stadt besetzt war.»

Jalal schloss sein Studium als Zweitbester ab, obwohl seine Tage minutiös durchgetaktet waren. «Von acht Uhr morgens bis 14 Uhr hatte ich Unterricht. Danach gab ich den Kindern in den Flüchtlingslagern Englischunterricht, da sie in dieser Zeit nicht zur Schule gehen konnten. Die Wochenenden und Ferien verbrachte ich ebenfalls in den Lagern, wo ich Ausbildungen in Erster Hilfe gab und die Englischkurse fortsetzte.» 

2018 ist er zurück in Sinuni (im Distrikt Sinjar), um seine Identitätskarte zu verlängern. Dort erfährt er, dass Ärzte ohne Grenzen ein Projekt im Bereich psychische Gesundheit eröffnet. Von da an arbeitet Jalal als medizinischer Übersetzer und Jamal als lokaler Gesundheitsassistent. Mit ihrer Arbeit wollen beide der Bevölkerung, die von der Zeit unter der Herrschaft des IS stark traumatisiert ist, zur Seite stehen.

Irak, Flüchtlingslager in Bardarash, 6. November 2019

Jamilla Muslim Qawas, 58-jährige kurdische Flüchtlingsfrau aus Kobane in Syrien, in einem Behandlungszimmer in einer von MSF geleiteten Klinik im Lager von Bardarah. Sie kam aufgrund von Rücken- und Beinschmerzen in die Klinik.

© Moises Saman / Magnum Photos for MSF

Die Familien, die vor den Konflikten im Nordosten Syriens geflüchtet sind, leben nun in Hunderten von Zelten, die auf einer grossen Ebene auf Betonplatten der prallen Sonne ausgesetzt sind. «Wir erklären den Menschen, dass sie hier genauso eine Zukunft haben wie anderswo, und dass wir und andere NGOs sie in verschiedenen Bereichen unterstützen», sagt Jamal. «Vor allem hören wir ihnen zu.» Bei dieser Gelegenheit betreiben wir auch Prävention zur Förderung der psychischen Gesundheit und zeigen ihnen Atemübungen und Techniken zur Selbstmassage, die sie in Stresssituationen anwenden können. Nach jedem Gespräch erhalten die Familien eine Broschüre, in der typische Anzeichen für psychische Erkrankungen beschrieben sind. Das soll dabei helfen, dass Betroffene, die bei sich solche Anzeichen feststellen, professionelle Hilfe aufsuchen.

«Die Menschen haben genauso viele Fragen an uns wie wir an sie», lächelt Jalal. «Selbst wenn wir nicht auf alle eine Antwort haben, hilft es ihnen schon sehr, jemanden zu haben, dem sie ihre Geschichte erzählen und ihre Sorgen und Nöte anvertrauen können. Und wir erkennen dabei, ob jemand weiterführende Unterstützung braucht.» 

Ein paar Tage später kommt ein neues Team, um Jamal und Jalal abzulösen. Sie können dann nach Sinuni zurückkehren und wieder ihrer regulären Tätigkeit nachgehen. Für sie steht aber fest, dass sie bei Bedarf wiederkommen. Auf die Frage, wie er selbst mit der Müdigkeit und dem vollen Programm umgeht, hat Jalal stets die gleiche Antwort: «Ich werde es nicht müde, den Leuten zu helfen.»