Irak: Gesundheitsversorgung für Mütter noch immer unzureichend in Mossul

Rahma Adla Abdallah, der leitenden Hebammen.

Irak7 Min.

Es regnet an diesem Morgen im Viertel Al-Nahwaran in Mossul, der zweitgrössten Stadt des Irak. Eine Gruppe von Frauen steht vor einer kleinen medizinischen Einrichtung Schlange. Das feuchte Wetter hat sie nicht davon abgehalten, hierherzukommen. Die runden Bäuche von einigen unter ihnen erklären, wieso.

Maram, eine junge Mossulerin, steht vor der Geburtsabteilung und wartet geduldig, bis sie an die Reihe kommt. Sie ist 20 und im dritten Monat schwanger. Es ist ihr drittes Kind, und sie kommt zu ihrer ersten Vorsorgeuntersuchung. «Ich bin hier, weil meine Verwandten mir von dieser Geburtsklinik erzählt haben», sagt sie. «Meine Schwägerin war bereits Patientin hier und hat mir die Klinik empfohlen.» Neuigkeiten zirkulieren schnell in Mossul und Umgebung, und immer mehr Frauen haben hier in den letzten Monaten Geburtshilfe und damit verbundene Untersuchungen in Anspruch genommen. 

Die am Westufer des Tigris gelegene Geburtsabteilung von Al-Amal bietet Routinebehandlungen in den Bereichen Geburtshilfe und Schwangerschaftsvorsorge, Neugeborenenpflege sowie Aktivitäten der Gesundheitsförderung, Familienplanung und psychologische Betreuung. «Wir haben diese Geburtsabteilung zuerst eröffnet, da es in der Stadt an gesundheitlicher Versorgung insgesamt, aber insbesondere in den Bereichen sexuelle und reproduktive Gesundheit mangelte», erklärt Yousif Loay Khudur, stellvertretender Projektkoordinator bei Ärzte ohne Grenzen (MSF). «Auch drei Jahre nach der Eröffnung kommen noch immer viele Frauen hierher: Das Gesundheitssystem der Stadt ist von einem normalen Betrieb einfach noch zu weit entfernt.» 

Der Krieg ist vorbei, doch für den Wiederaufbau braucht es Zeit

Im Juni 2014 fiel Mossul in die Hände des Islamischen Staats. Im Oktober 2016 starteten die irakischen Sicherheitskräfte und eine internationale Koalition eine Militäroffensive, um die Stadt zurückzuerobern. Die Schlacht um Mossul dauerte 250 Tage und gehört heute zu den Häuserkämpfen mit den meisten Toten seit dem Zweiten Weltkrieg. Im Juli 2017 erklärten die irakischen Behörden offiziell, Mossul wieder unter Kontrolle gebracht zu haben. Fünf Jahre später sind zahlreiche medizinische Einrichtungen, die von den Kämpfen in Mitleidenschaft gezogen wurden, noch immer nicht vollständig aufgebaut worden und befinden sich ausser Betrieb. Bei medizinischem Material sind Lieferengpässe weiterhin gang und gäbe. Für Tausende Familien in Mossul und Umgebung ist daher eine hochwertige und erschwingliche Gesundheitsversorgung weiterhin nur schwer erreichbar. Besonders hart trifft es schwangere Frauen und ihre Babys.

«Vor 2014 war das Mossuler Gesundheitssystem nicht perfekt, aber es funktionierte», fährt Khudur fort. «Die Frauen entbanden für gewöhnlich zu Hause oder in einem Spital in der Stadt. Aber während der militärischen Einsätze von 2016 und 2017 wurden zahlreiche medizinische Einrichtungen beschädigt oder ganz zerstört – und die Ausrüstung gestohlen. Der Wiederaufbau der Gesundheitszentren kam hier nur schleppend in Gang. Obwohl die Schlacht um Mossul nun schon fast fünf Jahre zurückliegt, spüren wir die Nachwirkungen noch immer. Die meisten Spitäler und Gesundheitseinrichtungen befinden sich noch im Wiederaufbau oder in Renovierung.»

Doch die Babys können nicht warten, bis die Bauarbeiten zu Ende sind.

Yousif Loay Khudur, Projektkoordinator bei MSF
Maram, eine junge Mossulerin, steht vor der Geburtsklinik und wartet geduldig, bis sie an die Reihe kommt.

Maram, eine junge Mossulerin, steht vor der Geburtsklinik und wartet geduldig, bis sie an die Reihe kommt.

© Elisa Fourt/MSF

Nach der Schlacht um Mossul war der Bedarf an medizinischer Versorgung enorm. MSF hat deshalb 2017 im Spital von Nablus (West-Mossul) eine Geburtsabteilung eröffnet, um Frauen und Kindern sichere, hochwertige und unentgeltliche Betreuung in den Bereichen Geburtshilfe und Neonatologie zur Verfügung zu stellen. Im Juli 2019 eröffnete ein zweites Team von MSF die Entbindungsstation von Al-Amal im allgemeinen Gesundheitszentrum von Al-Rafadain, ebenfalls im Westen von Mossul. Letztes Jahr betreuten die Teams von MSF in diesen zwei Einrichtungen 15 000 Geburten.

Physische und psychische Gesundheit der Frauen fördern

Rafida ist 15 und hat vor Kurzem ihr erstes Kind in der Geburtsabteilung von Al-Amal zur Welt gebracht. Über Nachbarn und Bekannte hatte sie von der Abteilung gehört. Sie hält ihren Sohn Layth auf dem Arm und ist dankbar für die Betreuung, die sie erhalten hat. Nicht weniger als 35 Hebammen und leitende Hebammen arbeiten Tag und Nacht, sieben Tage die Woche in der Klinik, um den Frauen bei der Entbindung beizustehen.
«An einem normalen Tag betreuen wir durchschnittlich 10 bis 15 Geburten, an intensiveren Tagen sogar 20 bis 25», erklärt Rahma Adla Abdallah, eine der leitenden Hebammen. «Leider schaffen wir es immer noch nicht, den Bedarf ganz zu decken. Wir können die meisten Frauen aufnehmen, gleichzeitig müssen auch bestimmte Aufnahmekriterien erfüllt sein, damit wir mit den vorhandenen Ressourcen einen höchstmöglichen Pflegestandard gewährleisten können.»
Rahma Adla Abdallah und ihre Kolleginnen sind bemüht, so vielen Frauen wie möglich zu helfen. Die Hebammen leisten nicht nur Geburtshilfe, sondern bieten auch vor- und nachgeburtliche Untersuchungen sowie Familienplanung an, wofür Frauen aus der ganzen Stadt kommen. 
Psychologische Betreuung ist ein weiterer wichtiger Arbeitsbereich in den Geburtskliniken. «Die Frauen hier brauchen nicht nur medizinische Versorgung, sie benötigen auch Zugang zu psychologischer Unterstützung», betont Abdallah. «Manche unserer Patientinnen haben beispielsweise sexualisierte Gewalt erlebt, doch nur wenige sprechen darüber.» Auch das irakische Gesundheitsamt hat in der Stadt Anlaufstellen zur medizinischen Betreuung von Opfern sexualisierte Gewalt eingerichtet.

Der Weg zu einem angemessenen Versorgungsangebot in Mossul ist noch weit.

Rahma Adla Abdallah, der leitenden Hebammen
Rahma, leitende Hebamme, und ihre Kolleginnen Nadwa, Zaman und Marwa

Rahma, leitende Hebamme, und ihre Kolleginnen Nadwa, Zaman und Marwa

© Elisa Fourt/MSF

Zugang zu Geburtshilfe für alle werdenden Mütter

Die Stigmatisierung von Problemen wie sexualisierter Gewalt ist nur eines der vielen Hindernisse für die Inanspruchnahme von medizinischer Versorgung in Mossul. Was den Bereich sexuelle und reproduktive Gesundheit betrifft, sind die Gründe vielfältig. «Das Umfeld hier ist sehr problematisch», erklärt Bashaer Aziz, eine weitere leitende Hebamme der Geburtsklinik von Al-Amal. «Sehr viele Frauen können keine medizinische Hilfe in Anspruch nehmen, weil sie entweder nicht das Geld dafür haben oder mit anderen Problemen konfrontiert sind: So können manche zum Beispiel aufgrund des erst vor Kurzem beendeten Konflikts oder wegen ihrer Flucht keine offiziellen behördlichen Papiere vorweisen. Die Patientinnen, die zu uns kommen, sind daher umso dankbarer für die hochwertige medizinische Betreuung und Geburtshilfe, die sie erhalten. Sie haben schlicht keine andere Anlaufstelle, weil ihnen die finanziellen Mittel für ein Spital oder eine Privatklinik fehlen.»

Einen Ort für eine sichere Geburt zu finden, ist nur eine der unzähligen Herausforderungen für werdende Mütter in Mossul. Ein weiteres Problem ist, sich und ihre Kinder richtig zu ernähren. «Manche der Frauen, die zu uns kommen, haben schon eine Weile nichts mehr gegessen», fügt Rahma Adla Abdallah hinzu. «In vielen Fällen ist es unmöglich zu sagen, in welchem Monat sie schwanger sind. Mitunter kommen sie mit ihren Kindern, die abgemagert oder untergewichtig sind. Unsere Arbeit hier besteht also darin, Ratschläge abzugeben und ihnen so gut es geht zu helfen.» Rahma Adla Abdallah und Bashaer Aziz sind sich einig, dass die Geburtsabteilung von MSF im Viertel eine wichtige Rolle spielt.

Mahaya, 50, begleitet ihre Schwiegertochter zur Entbindung und ist derselben Meinung. Die beiden sind aus Tel Afar angereist, eine Stunde mit dem Auto. «Bevor es diese Geburtsklinik gab, blieb uns gar nichts anderes übrig, als zu Hause zu gebären», gesteht sie. «Eine Hebamme kam nach Hause, entband, und das war's. Wir hatten nicht einmal ein Spital, in das wir gehen konnten. Diese Geburtsklinik macht uns das Leben um einiges einfacher.»

Nach ihrem Dienst verbringt Rahma Adla Abdallah gerne noch etwas Zeit bei den Wöchnerinnen. Sie nimmt eines der an diesem Tag geborenen Babys auf den Arm, ein Mädchen namens Rivan. Obwohl die Kleine erst wenige Stunden alt ist, sind ihre Augen schon weit geöffnet. Das Baby schaut seine Mutter an: Die 19-jährige Bouchra ruht sich im Bett neben ihr aus. «Es war eine schwierige Geburt, aber zum Glück ist alles gut gegangen, und die Hebammen haben mir sehr geholfen», berichtet sie. «Rivan ist mein erstes Kind und ich bin froh, sie zu haben. Die Zukunft sieht hoffentlich immer besser aus. Auch hoffe ich, noch weitere Kinder zur Welt zu bringen. Dazu würde ich dann sofort wieder hierherkommen», sagt sie lächelnd.