Libyen: Unmenschliche Bedingungen in Internierungslager in Tripolis

3. September 2018, Libyen

Libyen5 Min.

Fast ein Viertel der Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten im Internierungslager Sabaa in Tripolis sind akut mangelernährt oder untergewichtig. Das ist das Ergebnis eines Berichts von Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen, für den die Teams zweimal alle Gefangenen auf Mangelernährung untersucht haben. Die Inhaftierten berichten, sie bekämen oft tagelang kein Essen. In dem Internierungslager der libyschen Einheitsregierung, die von der EU unterstützt wird, werden derzeit mehr als 300 Menschen willkürlich festgehalten, darunter mehr als 100 Kinder und Jugendliche. Einige der Gefangenen waren in einem kleinen Raum zusammengepfercht worden, in dem jede Person weniger als einen Quadratmeter Platz hatte. Ärzte ohne Grenzen fordert die libyschen Behörden und die internationale Gemeinschaft auf, die unmenschlichen und krankmachenden Bedingungen in den libyschen Haftanstalten umgehend zu beenden.

EU-Staaten sind mitverantwortlich

«Die EU-Staaten haben die private Seenotrettung im Mittelmeer nahezu lahmgelegt und die libysche Küstenwache massiv ausgebaut und mit Booten, Ausrüstung und Geld unterstützt», sagt Philipp Frisch von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland. «Unsere Teams sehen, dass Menschen, die mit europäischem Geld nach Libyen zurückgezwungen werden, nicht einmal ausreichend zu essen bekommen. Das ist ein Skandal. Wir fordern die Bundesregierung dringend auf, sämtliche Unterstützung für die libysche Küstenwache auszusetzen, solange diese Schutzsuchende in eine so katastrophale Situation bringt, und sich stattdessen für den Schutz von Menschen in Libyen einzusetzen. Solange Europa es ermöglicht, dass auf See gerettete Menschen in unmenschliche Haftbedingungen in Libyen zurückgezwungen werden, trägt es skrupellos zu diesem Leiden bei.»

Mangelernährung und menschenunwürdige Haftbedingungen

Der Bericht zeigt, dass zwei Prozent der Inhaftierten in Sabaa an schwerer Mangelernährung leiden und dringend medizinische Behandlung brauchen. Bei fünf Prozent wurde moderate Mangelernährung festgestellt, weitere 16 Prozent sind untergewichtig. Kinder und Jugendliche sind signifikant häufiger mangelernährt als Erwachsene. Diese werden von zahlreichen Schilderungen der Gefangenen bestätigt, die erzählen, dass sie nur alle zwei bis drei Tage eine Mahlzeit erhalten. Neuankömmlinge müssen bis zu vier Tage auf Essen warten.

3. September 2018, Libyen

Die willkürlich in Internierungslagern festgehaltenen Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten erhalten ausschliesslich Reis oder Teigwaren als Mahlzeiten.

© Sara Creta/MSF

Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht

Am 21. Februar hat Ärzte ohne Grenzen aufgrund der Notlage selbst Nahrungsmittel in Sabaa verteilt. An diesem Tag entdeckten die Mitarbeitenden 31 Menschen, die in einem kleinen Raum von nur 4,5 mal 5 Metern eingesperrt waren. Pro Person standen nur 0,7 Quadratmeter Fläche zur Verfügung. Die Menschen konnten sich nicht einmal hinlegen. Der Raum hatte keine Toiletten. Die Menschen waren gezwungen, in Eimer und Plastikflaschen zu urinieren. Trotz wiederholter Interventionen von Ärzte ohne Grenzen, sie in einen geeigneteren Raum zu verlegen, wurden die Menschen in dieser Zelle mehr als eine Woche lang festgehalten.

Wenn Lebensmittel, Schlafstellen und lebenswichtige Güter nicht in angemessener Form bereitgestellt werden können, dann müssen diese Menschen von den libyschen Behörden unverzüglich freigelassen werden.

Karline Kleijer, Leiterin der Projektabteilung von MSF

«In diesem Internierungslager sind die grundlegenden Überlebensnotwendigkeiten nicht gewährleistet», sagt Karline Kleijer, Leiterin der Projektabteilung von Ärzte ohne Grenzen. «Wenn Lebensmittel, Schlafstellen und lebenswichtige Güter nicht in angemessener Form bereitgestellt werden können, dann müssen diese Menschen von den libyschen Behörden unverzüglich freigelassen werden.»

Forderungen von Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen

Ärzte ohne Grenzen protestiert energisch gegen die willkürliche Inhaftierung von Flüchtlingen, Migrantinnen, Migranten und Asylsuchenden in Libyen und gegen die Politik der EU-Staaten. Die Organisation fordert von den libyschen Behörden und der internationalen Gemeinschaft:

  1. Jeder, der in Sabaa oder einem anderen Internierungslager in Libyen gefangen gehalten wird, muss regelmässig ausreichende Mengen an Nahrungsmitteln erhalten.
  2. Alle Kinder und Jugendlichen müssen sofort freigelassen werden. Für ihr Wohlbefinden muss gesorgt werden.
  3. Solange nicht sichergestellt ist, dass die Gefangenen in Sabaa ausreichend Nahrungsmittel und Platz zur Verfügung haben, müssen auch die Erwachsenen freigelassen oder zumindest in andere Lager verlegt werden. Keine weiteren Menschen dürfen dorthin gebracht werden. 
  4. Die Bedingungen in libyschen Internierungslagern müssen künftig libyschen und internationalen Standards gerecht werden.

 

Teams von Ärzte ohne Grenzen leisten seit mehr als zwei Jahren medizinische Hilfe für Flüchtlinge, Migranten und Asylsuchende, die in Internierungslagern in Tripolis, Khoms, Sliten und Misrata festgehalten werden. Die Verantwortung für diese Lager liegt formal bei der Behörde zur Bekämpfung illegaler Migration (Directorate for combatting illegal migration, DCIM), die dem libyschen Innenministerium unterstellt ist. Die Gefangenen in diesen Lagern haben keinen gesicherten Zugang zu medizinischer Versorgung. Diese wird von einigen wenigen humanitären Organisationen, darunter Ärzte ohne Grenzen, sowie von UN-Organisationen geleistet, die trotz der weit verbreiteten Gewalt und Unsicherheit in Libyen in geringem Umfang im Land tätig sein können.

Medizinisches Personal von Ärzte ohne Grenzen behandelt Gefangene mit Gesundheitsproblemen und überweist Menschen in lebensbedrohlichen Zuständen in Spitäler. Die Gesundheitsprobleme der Patienten werden von den unmenschlichen Lebensbedingungen in den Internierungslagern verursacht oder verschlimmert. Dazu zählen Atemwegs- und Durchfallerkrankungen, Krätze und Tuberkulose. Viele Patienten leiden zudem unter Angstzuständen und Depressionen oder zeigen Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung. Teams von Ärzte ohne Grenzen sehen auch häufig Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen, die durch die Internierung in den Lagern verschlimmert werden und die einer stationären Behandlung bedürfen.