Region Mambasa: MSF behandelt täglich bis zu vier vergewaltigte Frauen

«Il y a certes un aspect criminel et judiciaire aux violences sexuelles, mais pour nous c’est avant tout une urgence médicale.»

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Im Februar 2016 startete MSF ein Projekt zur medizinischen und psychologischen Versorgung von Opfern sexueller Gewalt, das auch die Behandlung sexuell übertragbarer Infektionskrankheiten umfasst, eines der häufigsten Krankheitsbilder in der Region Ituri, im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo.

Auf der endlosen roten Lehmstrasse fährt das Fahrzeug von Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) durch ganze Schwärme weisser, gelber und orangefarbener Schmetterlinge. Zu beiden Seiten erstrecken sich Wälder, die so dicht bewachsen sind, dass die Sicht kaum einen Meter weit reicht. Wir sind nicht weit vom Okapi-Naturschutzgebiet entfernt. Hinter den mächtigen Bäumen verbergen sich nicht nur die vom Aussterben bedrohten Okapis und Elefanten, sondern auch die Dörfer der ersten Bewohner dieser Region, der Pygmäen, sowie legale und illegale Gold- und Diamantminen, Holzbetriebe, Mai-Mai-Milizen, Wilderer und viele weitere bewaffnete Gruppen.
Kilometer um Kilometer legen die MSF-Teams auf den Strassen zwischen Mambasa, Nia-Nia, Bella und PK51 zurück, um in den einzelnen Dörfern Opfer sexueller Misshandlung und Menschen mit sexuell übertragbaren Infektionskrankheiten (STI) zu behandeln.

Hohe Dunkelziffer

«Allein im März haben unsere Teams 123 Opfer sexueller Gewalt und 907 STI-Erkrankungen versorgt. Diese Zahlen sind gigantisch!» erklärt Mame Anna Sane, medizinischer Projektleiter. «Dies bedeutet, dass täglich nahezu vier Personen vergewaltigt werden, und dabei handelt es sich allein um jene, die sich im Gesundheitszentrum behandeln lassen. Das Thema ist quasi tabu und viele suchen erst gar keine Hilfe. Deshalb liegt die Dunkelziffer sicherlich weitaus höher.»
Seit Februar 2016 unterstützen drei Teams aus jeweils einer Pflegefachperson, einem Gesundheitspromoter und einem Psychologen neun Zentren in der Region, indem sie die lokalen Mitarbeiter in der medizinischen und psychologischen Betreuung dieser Patienten schulen. Sie stellen die für die Behandlung nötigen Medikamente bereit und leisten wichtige Aufklärungsarbeit, um zu erreichen, dass betroffene Menschen innerhalb von 72 Stunden nach dem Missbrauch Hilfe aufsuchen und Personen mit ersten Anzeichen einer STI-Infektionskrankheit ärztlich versorgt werden. Denn gewisse Prophylaxen haben nach Ablauf dieser Frist keine Wirkung mehr.

Opfer werden stigmatisiert

Diese Sensibilisierung trägt bereits Früchte, und so manches Opfer kommt schneller als früher in das Zentrum. Ein Beispiel ist diese 70-jährige Frau, die nach einer Vergewaltigung von ihren Nachbarn ins Gesundheitszentrum von Biakato gebracht wurde. Sie schlief in ihrem Haus neben den Feldern, als drei bewaffnete Männer gegen 21 Uhr ihre Tür einschlugen. Sie wurde in den Wald geschleppt und der Reihe nach von den Männern geschlagen und vergewaltigt. Dort fand man sie schliesslich nackt und bewusstlos. Zwei Tage nach ihrer Vergewaltigung erhielt sie im Gesundheitszentrum alle nötigen Prophylaxen, um sie vor einer sexuell übertragbaren Infektionskrankheit zu schützen. Ihre Verletzungen wurden behandelt und sie wurde psychologisch betreut. Ihre Tochter begleitet sie, was leider nicht immer der Fall ist.
In der Entbindungsstation im Gesundheitszentrum von Biakato liegt zum Beispiel die 37-jährige Marie *. Sie hat gerade einen kleinen Jungen zur Welt gebracht und ist ganz allein. Marie wurde von Mai-Mai-Milizen entführt, als sie in einem der nahegelegenen Steinbrüche Getränke verkaufen wollte. Über ein Jahr lang wurde sie gefangen gehalten und konnte erst fliehen, als das Camp von kongolesischen Streitkräften angegriffen wurde. Allerdings wurde sie bei ihrer Rückkehr von ihrem Ehemann verstossen, denn nach den wiederholten Vergewaltigungen, die sie erlitten hatte, war sie im vierten Monat schwanger.

Ein medizinischer Notfall

«Unsere Hauptarbeit besteht darin, die Menschen zum Umdenken hinsichtlich sexueller Gewalt zu bewegen und bestehenden Tabus entgegenzuwirken, damit alle Opfer die nötige Behandlung bekommen können», führt Mame Anna Sane weiter aus, «und zwar nicht nur bei der Bevölkerung, sondern auch bei den Behörden. Selbstverständlich hat sexuelle Gewalt einen kriminellen Aspekt, der unter Strafe gestellt werden muss. Uns geht es allerdings in erster Linie um den medizinischen Notfall.»
Das MSF-Projekt in Mambasa wurde zunächst auf einen Zeitraum von sechs Monaten festgelegt. Danach sollen die Aktivitäten bewertet und entsprechend angepasst werden. Allerdings liegt der Bedarf bereits heute weit über den anfänglichen Prognosen.
* Pseudonym

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