«Manchmal frage ich mich, ob ich dumm bin, hierzubleiben»

Je ne veux pas perdre espoir. J’espère que mes enfants connaîtront une meilleure patrie, une meilleure vie.

3 Min.

Ein im Nordosten Syriens tätiger Gynäkologe erzählt, wie die meisten seiner Kollegen aus dem Land geflohen sind. Trotz der Einsamkeit, Unsicherheit und regelmässigen Stromausfällen will er weitermachen.

In Syrien ist ein männlicher Gynäkologe kein Problem. Anders sieht die Lage bei den Flüchtlingen aus dem irakischen Sindschar aus: Die Frauen weigern sich häufig, sich von einem Mann untersuchen zu lassen – lieber würden sie sterben.
Bevor MSF den Operationssaal im Spital Derik saniert hat, waren die Arbeitsbedingungen schwierig und wir hatten nur wenige Instrumente. Nun gibt es jedoch eine neue Entbindungsstation, und ich bin einer von acht MSF-Gynäkologen, die dort arbeiten. Ich bin auch auf Bereitschaft für Notfälle in den Kliniken, die MSF in der Umgebung betreibt.
Vor dem Krieg hatten wir viele ausgezeichnete Ärzte hier, aber inzwischen sind viele ins Ausland gegangen, die meisten nach Deutschland oder in das irakische Kurdistan. Einer der Gründe dafür ist die unsichere Lage. Ich kannte einen Chirurgen am Spital in Hassake, ein ausgezeichneter Arzt, der rund um die Uhr arbeitete. Eines Tages hielt ihm ein Angehöriger eines Patienten eine Pistole an den Kopf. Er überlebte zwar, doch obschon er die Behörden darüber in Kenntnis setzte, wurde nichts unternommen. Ein anderer Arzt wurde von einer Gang entführt, die ihn nach Deir Ezzor brachten, wo er einen chirurgischen Eingriff vornehmen musste. Zum Glück liessen sie ihn frei, als er fertig war.
Ich fühle mich einsam hier, in beruflicher Hinsicht. So viele meiner Kollegen sind weggegangen. Wir bleiben in Kontakt per Internet, und manchmal rufe ich sie an, um mit ihnen über komplizierte Fälle zu diskutieren. Doch es ist nicht dasselbe.
Manchmal werde ich wütend, manchmal frage ich mich auch, ob ich dumm bin, dass ich hierbleibe. Aber die Situation hier ist schwierig, und wenn man ein Leben retten kann, gibt das ein gutes Gefühl. Ich will nicht urteilen – ich weiss nicht, was richtig und was falsch ist – aber vorerst bleibe ich hier.
Der Konflikt hat verschiedene Auswirkungen für die Frauen. Bevor wir bei einer Frau einen chirurgischen Eingriff vornehmen, brauchen wir die Unterschrift ihres Ehemanns oder eines anderen männlichen Familienangehörigen. Wenn also eine unbegleitete Frau einen Kaiserschnitt benötigt, haben wir ein Problem. Allgemein haben das Leben in ständiger Angst und die allgegenwärtige Gewalt grosse Auswirkungen auf die Gesundheit der Frauen. Bei einigen treten psychische Beschwerden auf. Die Ernährung ist ein weiteres Problem, da viele Frauen sich nichts Richtiges zu essen leisten können.
Ich habe zwei Jahre in Hassake gearbeitet, aber die Sicherheitslage war sehr volatil. Dort traf ich auf einen Rettungssanitäter, der Frauen Zugang zu medizinischer Hilfe verschaffte, die von bewaffneten Männern vergewaltigt worden waren.
Die Arbeit in Hassake war eine grosse Herausforderung, das Equipment war sehr dürftig und man wusste nie, wann es wieder einen Stromausfall geben würde. Eines meiner schlimmsten Erlebnisse hatte ich während einer Geburt. Die Nabelschnur kam zuerst raus, und wir wussten, dass wir innerhalb kürzester Zeit einen Kaiserschnitt durchführen müssten, wenn wir das Kind nicht verlieren wollten. Aber dann entdeckten wir, dass es im ganzen Spital keinen Sauerstoff mehr gab. Während meine Kollegen fieberhaft das ganze Gebäude durchsuchten, stand ich hilflos daneben und hörte, wie der Herzschlag des Babys allmählich langsamer wurde. Ich versuche immer noch, dieses Bild zu vergessen.
Ich will die Hoffnung nicht aufgeben. Ich hoffe, dass sich die Lage in meinem Land bessern wird. Ich hoffe, dass wenigstens meine Kinder ein besseres Heimatland und ein besseres Leben haben werden.

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