Ebola: Es ist nicht die Aufgabe von MSF, Regierungen zu ersetzen

Dans la lutte contre un virus aussi dangereux que Ebola, les gouvernements se doivent de sortir de leur zone de confort traditionnelle.

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Charles Goerens, EU-Parlamentarier und Berichterstatter über Ebola im Entwicklungsausschuss des Europäischen Parlaments, erklärte unlängst, die Ebola-Epidemie sei «die erste grosse internationale Krise, bei der die Führung einer NGO überlassen werden sollte – in diesem Fall Médecins Sans Frontières.»

Diese Aussage überraschte uns, zumal wir wiederholt mehr Leadership durch die internationale Gemeinschaft, einschliesslich der Europäischen Union, gefordert hatten. Der Aufruf von einem Abgeordneten, der die ungenügende Reaktion der europäischen Staaten auf die Epidemie im Übrigen öffentlich kritisiert hatte, ist für uns ein Symptom des Scheiterns der öffentlichen Mechanismen des Krisenmanagements; kollektives Handeln ist unter diesen Umständen nicht möglich.
Bei Katastrophen – seien dies Epidemien, Naturkatastrophen oder andere Ereignisse mit ähnlichen Auswirkungen – ist es zuallererst Aufgabe der betroffenen Staaten, den Opfern schnellstmöglich zu helfen und die Auswirkungen auf die Gesellschaft einzudämmen. Die Behörden stehen als erste in der Pflicht, die Nothilfe in die Wege zu leiten und zu koordinieren. Sind mehrere Länder oder gar die Weltbevölkerung betroffen, stehen ebenfalls eindeutig die Regierungen respektive die Staatengemeinschaft in der Verantwortung. Das gemeinsame Handeln muss hierbei durch Gremien wie die Vereinten Nationen abgestimmt werden. Bliebe eine kritische Gesundheitskrise und somit die Gefährdung der Gesundheit ganzer Landesbevölkerungen ohne Reaktion, so hätten die Staatengemeinschaft und die internationalen Organisationen in ihren Aufgaben versagt. Ein derartiges Vakuum auf politischer Ebene wäre höchst beunruhigend und vollkommen inakzeptabel.
Im Kampf gegen ein so gefährliches Virus wie Ebola, das mehrere Länder und Hunderttausende Menschen betrifft, müssen die Regierungen aus ihrer üblichen Komfortzone heraustreten. Sie können sich nicht auf «Schadensbegrenzung» beschränken. Es ist Aufgabe der Vereinten Nationen, die betroffene Bevölkerung – die «Menschheit» – durch eine wirksame internationale Zusammenarbeit gegen tödliche Gefahren zu schützen.
In den vergangenen Monaten waren wir in Westafrika Zeugen der Abwesenheit von Instrumenten und Mechanismen, mit denen bei einer internationalen Gesundheitskrise schnell, wirksam und angemessen Hilfsmassnahmen umgesetzt werden könnten. Trotz wiederholter Warnungen und der – viel zu späten – Erklärung des Notstands durch die betroffenen Länder und die WHO, beginnt die internationale Gemeinschaft erst jetzt, einzelne Elemente angemessener Hilfsleistungen zu konkretisieren. Die Einrichtung der UN-Sondermission zur Bekämpfung von Ebola (UNMEER) – die erste Sondermission der UN für einen Gesundheitsnotfall – wurde kurzfristig improvisiert. Die Zukunft wird weisen, ob sie in der Lage ist, die Erwartungen von Millionen von Westafrikanern zu erfüllen. Doch die menschlichen Kosten für das anfängliche Ausbleiben einer kollektiven Reaktion sind bereits hoch und werden noch steigen.
Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) kann zwar als unabhängige medizinische und humanitäre Organisation mit ihrer Arbeit vor Ort einen wesentlichen Beitrag zum medizinischen und operationellen Krisenmanagement leisten. Sie kann ihre Expertise zur Verfügung stellen, ihre Erfahrungen teilen und sich an der Ausarbeitung von Strategien zur bestmöglichen Eindämmung der Epidemie beteiligen. Zudem kann sie andere Akteure dazu aufrufen, ihre Hilfsanstrengungen zu intensivieren. MSF kann aber nicht – und darf auch nicht – an die Stelle von Regierungen treten und deren politische Verantwortung übernehmen, wenn es um Fragen der internationalen Volksgesundheit geht.
Ironischerweise blieben sogar die elementarsten Anfragen von MSF an die Europäische Union und an einige andere Länder – wie beispielsweise das medizinisch begleitete Ausfliegen infizierter humanitärer Helfer – während Monaten unbeantwortet. So haben sich Hunderte Ärzte und Pflegefachkräfte in die Einsatzgebiete begeben, ohne zu wissen, ob sie im Fall einer Kontaminierung zurückgeführt werden könnten. Wenn bereits vergleichsweise einfache Anfragen monatelang auf einen Entscheid warten müssen, wie können dann in drei Ländern innert kürzester Zeit Tausende Spitalbetten, Hunderte Ambulanzen und verschiedenste andere medizinische und nichtmedizinische Dienstleistungen bereitgestellt werden? Die Entsendung zusätzlicher Ressourcen wird in Westafrika voraussichtlich erst gegen Ende des Jahres Wirkung zeigen. Fehlende Vorbereitung, mangelnde Reaktionsfähigkeit und – zumindest zu Beginn – fehlender politischer Wille: Das System hat gänzlich versagt!
Dennoch sehen wir durchaus ermutigende Zeichen. Die Anstrengungen in Monrovia, der Hauptstadt Liberias, und auch in Sierra Leone zeigen erste positive Ergebnisse. Diese Fortschritte sollten es ermöglichen, die Behandlung der Ebola-Opfer zu dezentralisieren, Hilfsaktionen auch in ländlichen Gebieten weiter auszubauen und schliesslich auch den Wiederaufbau eines wirksamen Gesundheitssystems zur Bewältigung all der anderen Krankheiten voranschreiten zu lassen.
Auch könnte die schnelle Bereitstellung eines wirksamen Impfstoffes die Lage in einigen Monaten deutlich entschärfen. Millionen Menschen könnten einen Impfschutz erhalten, wodurch der Epidemie aller Voraussicht nach Einhalt geboten werden könnte. Die Etappen bei der Entwicklung von Impfstoffen sind meist langwierig und aufwendig, doch angesichts dieser beispiellosen Krise hat man sich bemüht, das Verfahren zu beschleunigen. Unnötige Verzögerungen zwischen dem Nachweis der Wirksamkeit und der Bereitstellung des Impfstoffs in grossen Mengen könnten den Prozess noch zusätzlich beschleunigen.
Ein solcher Impfstoff muss bezahlbar, in genügender Menge produziert und in einer Form verfügbar sein, die sich für Massenimpfungen eignet. Dasselbe gilt für eine mögliche medikamentöse Behandlung, mit der – sollte sie wirksam sein – die Sterblichkeit stark gesenkt werden könnte. Die Forschung und Entwicklung für diese Mittel darf nicht in den üblichen, von Marktmechanismen bestimmten Zyklen verlaufen, sondern sie muss dem dringenden Bedarf der betroffenen Bevölkerung untergeordnet werden. In Ausnahmesituationen müssen Ausnahmeverfahren zum Zug kommen, damit medizinische Innovation den am meisten Gefährdeten schnellstmöglich zugutekommt. Hier kann die internationale Gemeinschaft viel bewirken, sofern Leadership und politischer Wille stark genug sind und zielführend eingesetzt werden.
Und welche Rolle hat MSF? Unsere Organisation verfügt weder über die Legitimierung, noch über die Kompetenzen oder den Willen, bei der Ebola-Krise in Westafrika eine politische Führungsrolle zu übernehmen. Wir werden uns weiterhin um unsere Patienten kümmern, denn dies ist unsere vorderste Aufgabe – und die Herausforderungen sind nach wie vor enorm. Wir weigern uns, ein Alibi für den mangelnden politischen Willen zur Nothilfe in Westafrika zu sein. Wir werden auch nicht daran teilhaben, die unzulängliche Vorbereitung und Reaktionsfähigkeit der internationalen Gemeinschaft zu verschleiern. Nach dem langsamen, politischen Abbau der internationalen Nothilfe in den letzten Jahren werden wir für eine massive Verbesserung öffentlicher Instrumente kämpfen, damit in Zukunft angemessen auf derartige Gesundheitskrisen reagiert werden kann. Aber letztendlich ist und bleibt unser Platz am Krankenbett unserer Patienten.
Dr. med. Thomas Nierle,
Bruno Jochum
Zuerst am 31. Oktober 2014 in der Zeitung Le Temps veröffentlicht

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