Italien: MSF versorgt aus Libyen evakuierte Geflüchtete

Moussa Zarre, interkultureller Mediator bei MSF, spricht mit evakuierten Personen.

Libyen6 Min.

Eine Gruppe von Geflüchteten und Migrant:innen ist mit einem humanitären Flug von Libyen nach Italien evakuiert worden. In den Internierungslagern in dem nordafrikanischen Land waren alle der 27 Menschen Folter, Missbrauch oder anderer Gewalt ausgesetzt. Mitarbeitende von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) kümmern sich in Italien wie bereits in Libyen um die medizinische Versorgung der Geflüchteten und Migrant:innen.

Unter den Evakuierten befinden sich Männer, Frauen und Kinder. Etwa die Hälfte von ihnen wurde in Wohnungen von Ärzte ohne Grenzen im sizilianischen Palermo untergebracht. Sie werden vom Personal der interdisziplinären Klinik für Überlebende von Gewalt und Folter medizinisch versorgt. Die Klinik wird von Ärzte ohne Grenzen in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern und den örtlichen Gesundheitsbehörden von Palermo betrieben. Die andere Hälfte der Gruppe wurde in anderen Aufnahmeeinrichtungen in Italien untergebracht und wird bei Bedarf von Teams von Ärzte ohne Grenzen weiter betreut.

Inhaftiert und misshandelt

«Diese Menschen waren monate- oder jahrelang in Haft. Sie haben auf engstem Raum und unter erbärmlichen Bedingungen gelebt und sind Opfer von Misshandlungen geworden. Nun haben sie endlich die Möglichkeit, in ihren eigenen vier Wänden zu leben und ein normales Leben zu beginnen», sagt Giorgio Calarco, Medizinischer Teamleiter von Ärzte ohne Grenzen in Palermo.

Die Evakuierten, die hauptsächlich aus Eritrea, dem Sudan und Somalia kommen, sind am 30. Juni in Italien gelandet. Der humanitäre Flug wurde von der Gemeinschaft Sant'Egidio, der UNO-Flüchtlingshilfe, der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Italien, der Evangelischen Waldenser Kirche und dem italienischen Innen- und Aussenministerium organisiert.

«Wir sind froh, dass wir einige unserer Patient:innen, die wir bereits in Libyen begleitet haben, evakuieren konnten. Wir wollen ihnen eine spezielle Versorgung anbieten, damit sie sich erholen können», sagt Edmond Tarek Keirallah, Koordinator von Ärzte ohne Grenzen in Palermo.

Die Zahl der humanitären Korridore aus Libyen ist nach wie vor begrenzt. Aus diesem Grund fordern wir die Stärkung der Evakuierungskanäle, um unsere Patient:innen aus Libyen in sichere Länder zu bringen und weiterhin medizinisch versorgen zu können.

Edmond Tarek Keirallah, Koordinator von Ärzte ohne Grenzen in Palermo

Wie der kürzlich von Ärzte ohne Grenzen veröffentlichte Bericht «Out of Libya» unterstreicht, sitzen rund 600 000 Geflüchtete und Migrant:innen in Libyen fest.  Es ist äusserst schwierig, sie zu schützen und sie auf legalem Wege zu evakuieren.

Ärzte ohne Grenzen in Palermo

In Palermo betreibt Ärzte ohne Grenzen in Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen und Gesundheitsbehörden eine interdisziplinäre Klinik für die Rehabilitation von Geflüchteten und Migrant:innen, die vorsätzliche Gewalt und Folter überlebt haben. Das Projekt wurde im Februar 2021 ins Leben gerufen. Das interdisziplinäre Team aus Ärzt:innen, Psycholog:innen, interkulturellen Mediator:innen und Expert:innen behandelt psychologische, medizinische, soziale und rechtliche Probleme umfassend und ganzheitlich. Bislang hat das Projekt in Palermo mehr als 750 Menschen durch Sensibilisierungs- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen erreicht und 110 Patient:innen betreut.

Ärzte ohne Grenzen in Italien

Ärzte ohne Grenzen ist seit 1999 in Italien tätig und unterstützt Geflüchtete und Migrant:innen, die auf dem Seeweg in Italien ankommen, in Aufnahmezentren und informellen Unterkünften, um in Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden medizinische, humanitäre, psychologische und sozialmedizinische Hilfe zu leisten.

In Rom betreibt Ärzte ohne Grenzen derzeit in Zusammenarbeit mit den örtlichen Gesundheitsbehörden ein Gesundheitsprojekt für Migrant:innen. In der Region Kalabrien leistet Ärzte ohne Grenzen medizinische und psychologische Hilfe für ankommende Geflüchtete und sorgt für eine Kontinuität der Versorgung in den Aufnahmezentren. Ärzte ohne Grenzen führt auch Such- und Rettungsaktionen im Mittelmeer an Bord des Schiffes Geo Barents durch.

Ärzte ohne Grenzen in Libyen

Ärzte ohne Grenzen ist seit 2011 in Libyen tätig. Seit 2016 arbeitet die Organisation in von der Regierung betriebenen Internierungslagern, in denen Geflüchtete und Migrant:innen willkürlich und auf unbestimmte Zeit festgehalten werden, und bietet den Inhaftierten eine medizinische Grundversorgung und psychosoziale Unterstützung. Derzeit arbeiten Teams  von Ärzte ohne Grenzen in Haftanstalten in Tripolis, aber auch mit Geflüchteten und Migrant:innen, die ausserhalb der Internierungslager leben, hauptsächlich in Tripolis, Zuwara, Misrata und Beni Walid. In Zuwara bietet Ärzte ohne Grenzen eine medizinische Grundversorgung in einem Gesundheitszentrum an. In Beni Walid bieten die Teams allgemeine Gesundheitsversorgung an und unterstützen die medizinische Überweisung von Geflüchteten und Migrant:innen, die Opfer von Folter und Menschenhandel geworden sind.