Südsudan: Bevölkerung bereitet sich auf erneute Überschwemmungen vor

MSF South Sudan Climate Crisis

Südsudan5 Min.

Dröhnend fährt ein Traktor von Ärzte ohne Grenzen über die ausgetrocknete Landschaft in Dentiuk im Bundesstaat Upper Nile. Er nähert sich einem kleinen Dorf. Im Schlepptau hat er ein Holzkanu. «Bist du sicher, dass wir am richtigen Ort sind?», fragt der Fahrer.

«Es sieht vielleicht nicht so aus, aber wenn der Regen kommt, steht hier alles unter Wasser. Dann ist ein Boot die einzige Möglichkeit, um vorwärtszukommen», sagt Jorge, Leiter des Logistikteams von Ärzte ohne Grenzen. «Zum Glück wurden die Häuser in diesem Dorf etwas weiter oben gebaut.»

Das Dorf ist eine von elf Ortschaften in Upper Nile, die von Ärzte ohne Grenzen mit Kanus ausgestattet wurden, um während der Regenzeit Kranke und werdende Mütter zu transportieren. Normalerweise dauert die Regenzeit von Juni bis Oktober.

Dieses Jahr hat sie noch nicht begonnen, aber saisonale Wettervorhersagen und die Prognosen im Zusammenhang mit dem Klimawandel deuten darauf hin, dass schwierige Zeiten bevorstehen. Im Mai sagten die Vereinten Nationen voraus, dass die heftigen Regenfälle im Einzugsgebiet des Viktoriasees in Verbindung mit dem später im Jahr erwarteten El Niño in Teilen des Südsudans zu schweren Überschwemmungen führen dürften.

Schon lange wird der Südsudan von Überschwemmungen heimgesucht. Der Klimawandel verschärft die Lage zusätzlich, so dass der junge Staat in den vergangenen vier Jahren mit besonders heftigen Wassermassen zu kämpfen hatte. Während der Regenzeit wurden ganze Dörfer weggeschwemmt; die Fluten zerstörten die Ernte, beschädigten die Infrastruktur, das Vieh ertrank. Hunderttausende von Menschen mussten ihr Zuhause verlassen.

Letztes Jahr stand ein so grosser Teil des Landes wie noch nie unter Wasser, an gewissen Orten ist das Wasser noch immer nicht zurückgegangen. In Bentiu im Bundesstaat Unity ist das Vertriebenencamp de facto eine Insel, die von Dämmen geschützt wird. Einige Dörfer in Old Fangak im Bundesstaat Jonglei stehen noch immer unter Wasser.

Mary Abur Thon, 26, wurde im August durch Überschwemmungen aus ihrem Zuhause in Peliarowei, Bundesstaat Upper Nile, vertrieben. Mit ihrem Mann, ihren zwei Kindern und weiteren Familienangehörigen floh sie nach Akoka County, wo die Lage etwas besser war. «Eines Nachts stand das Wasser nach heftigen Regenfällen so hoch, dass sich die Kinder nicht mehr fortbewegen konnten», erzählt sie. «Wir hatten kein Essen mehr, das ganze Land war mit Wasser bedeckt. Wir waren tagelang zu Fuss unterwegs, um hierherzukommen. Auch dieser Ort war überflutet, aber nicht so schlimm.»

MSF South Sudan

Mary Abur Thon, 26 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern, steht vor ihrem Haus im Dorf Aree im Bezirk Akoka im Bundesstaat Oberer Nil. Mary und ihre Familie wurden im August 2022 durch Überschwemmungen aus ihrer Heimat Peldiarowei im Bundesstaat Oberer Nil vertrieben. Sie leben jetzt gemeinsam im Dorf Aree.

© Paul Odongo/MSF

Für die lokale Bevölkerung sind die Überschwemmungen verheerend: Sie hindern sie daran, an Nahrung zu kommen, und zwingen sie, zusammen mit vielen anderen an Orten auszuharren, wo sie von jeglicher Infrastruktur abgeschnitten sind. Ohne Moskitonetz und umgeben vom stehenden Wasser, in dem die Moskitos brüten, müssen sie draussen schlafen. Dadurch sind sie einem hohen Risiko ausgesetzt, an Malaria zu erkranken – schon jetzt die Haupttodesursache im Südsudan. Das durch die Fluten verunreinigte Wasser kann zudem Krankheiten wie Cholera und akuten wässrigen Durchfall verursachen. Da die Menschen auf engstem Raum zusammenleben, breiten sich ansteckende Krankheiten leicht aus. Ganze Dorfgemeinschaften sind von Gesundheitsversorgung abgeschnitten, wodurch viele Menschenleben gefährdet sind.

Für Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen ist es äusserst schwierig, zu den Hilfsbedürftigen zu gelangen, da Strassen und Brücken weggeschwemmt werden und Flugfelder unter Wasser stehen.

Vor diesem Hintergrund hat Ärzte ohne Grenzen die Bevölkerung dabei unterstützt, sich auf die Regenzeit vorzubereiten, und gleichzeitig sichergestellt, dass medizinische Versorgung weiterhin zugänglich ist.

«Wenn Menschen krank werden, können wir sie nur noch per Boot an einen Ort wie Malakal [Hauptstadt des Bundesstaates Central Upper Nile] bringen», sagt Angau Biech, der Gemeindevorsteher im Dorf Aree in Akoka County, das kürzlich von Ärzte ohne Grenzen ein Kanu erhielt. «Vorher mussten wir die Boote mieten. Jetzt ist es für uns viel einfacher, Leute auf die andere Seite des Flusses zu bringen. Dort werden sie dann von Ärzte ohne Grenzen in Empfang genommen.»

Die Organisation hat auch an verschiedenen Orten im ganzen Land medizinisches Material deponiert, so auch in ihren Projekten im Bundesstaat Upper Nile, wo der Fokus auf besonders gefährdeten Gebieten liegt. Medikamente zur Behandlung von Malaria, wasserbedingten und ansteckenden Krankheiten sowie medizinisches Bedarfsmaterial liegen dort gut geschützt bereit. Auf diese Weise hoffen die Teams von Ärzte ohne Grenzen, Krankheitsausbrüche rechtzeitig einzudämmen und eine Ausbreitung zu verhindern. 

Eine weitere Massnahme, insbesondere in entlegenen Gebieten, sind Schulungen: Dabei lernen ausgewählte Gemeindemitglieder Erste Hilfe, aber auch weiterführende Pflegemassnahmen, einschliesslich der Unterstützung schwangerer Frauen während der Wehen und Hilfe bei der Entbindung.

«Setzen die Wehen einmal ein, kann man sie nicht aufhalten. Doch häufig dauert es mehrere Stunden, um die nächste Gesundheitseinrichtung zu erreichen – und noch viel länger in Zeiten starker Regenfälle», erklärt Dinatu, unsere leitende Hebamme in Malakal. «Wir vermitteln traditionellen Geburtshelferinnen zusätzliche Kenntnisse, damit sie werdende Mütter auch auf dem Weg in die nächste Klinik unterstützen können.»

Betrachtet man das Ausmass der Überschwemmungen der letzten vier Jahre, sieht es ganz danach aus, dass solche Fluten im Südsudan zur Regel werden. Die Bewältigung der zahlreichen komplexen Herausforderungen, die sich daraus ergeben, erfordert gemeinsame Anstrengungen von Behörden, Geldgeber:innen und Hilfsorganisationen. So kann sichergestellt werden, dass die Menschen Zugang zu medizinischer Versorgung haben; gleichzeitig ermöglicht es, sich auf die Folgen des Klimawandels in der Region vorzubereiten und entsprechende Massnahmen zu treffen.