Offener Brief an die EU-Staats- und Regierungschefs

Faites que ce gilet ne soit plus nécessaire. Offrez à ceux qui fuient une alternative humaine, digne et sécurisée.

4 Min.

Kopien gehen an die Schweiz, an Serbien, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, sowie an den Präsidenten der Europäischen Kommission. EU-Aussengrenzen töten. Schaffen Sie sichere und legale Fluchtmöglichkeiten!

Wir senden Ihnen heute diesen Brief zusammen mit einer Rettungsweste. Sie gehörte einem von 15.000 Menschen, die Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) seit Mai aus dem Meer gerettet hat. Für einen Mann, eine Frau oder ein Kind  war diese qualitativ nicht besonders hochwertige Weste die einzige Sicherheit beim Versuch, Europa auf dem Seeweg zu erreichen. Auf diesen Schwimmwesten stehen oft handgeschriebene Gebete, die um eine sichere Überfahrt bitten, oder Telefonnummern von Verwandten und Freunden, die zu kontaktieren sind, falls  der Träger nicht lebend ankommt. Die Menschen, die sich auf diese Reise begeben, sind sich der Risiken voll bewusst. Dass sie sich selbst und ihre Familien derart in Gefahr bringen, zeigt uns, wie  verzweifelt sie sind.
Entlang der Route behandeln unsere Teams die gesundheitlichen  Folgen der Reise. Wir behandeln Menschen, die unterkühlt oder dehydriert sind, aber auch Personen mit akuten Erkrankungen wie  Blutvergiftungen und Lungenentzündungen oder mit Verletzungen nach Missbrauch und Gewalt. Wir versuchen die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, die in Griechenland, Italien, der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien und Serbien festsitzen. Aber mit unserer Arbeit können wir nur versuchen die Lücken zu füllen, die entstehen, weil Staaten entweder unwillig oder unfähig sind, ihre Verantwortung wahrzunehmen.
Millionen Menschen sind auf der Flucht vor Krieg, Unterdrückung und Folter. Viele weitere fliehen vor Armut, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen. Sie alle  möchten ein besseres Leben in mehr Sicherheit. Doch es gibt immer weniger Fluchtmöglichkeiten: Länder, die viele Flüchtlinge aufnehmen, wie etwa der Libanon, die Türkei oder Jordanien, sind völlig überlastet. Die Welt ist mit der schlimmsten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert. Es gibt keine Anzeichen für eine Beruhigung des Konflikts in Syrien. Doch Europa macht die Grenzen dicht.
Kategoriosierungen wie „Migranten“, „Flüchtlinge“ oder „Asylbewerber“ werden der Realität nicht gerecht, die die Menschen auf die lange und gefährliche Reise treibt. Jede Person kann eine eigene Geschichte darüber erzählen, wieso sie ihr Leben riskiert, um Europa zu erreichen. Menschen, die medizinische Versorgung, Essen, Wasser und Unterkunft brauchen, sollten dies unabhängig von ihrem rechtlichen Status erhalten.
Wenn Ihre Minister am Montag, 14. September 2015 zu einem weiteren Gipfeltreffen zur sogenannten „Migrationskrise“ zusammenkommen, bedenken Sie bitte, dass Entscheidungen, die auf vergangenen Gipfeln getroffen wurden, nicht im Geringsten zur Verbesserung der Lage geführt haben. Einige Massnahmen haben die Situation sogar noch verschärft: Zäune und erzwungene Fingerabdrücke zwingen die Menschen bloss auf noch gefährlichere Routen. Noch immer sterben Menschen im Mittelmeer, in den Laderäumen von Lastwagen und in provisorischen Lagern im Herzen Europas, in denen Menschen unter inakzeptablen Bedingungen leben.
Es ist an der Zeit, diese Abschreckungspolitik zu beenden. Sie hat dazu geführt, dass sich ein Flüchtlingszustrom, der vorhersehbar und auch handhabbar war, zu einer menschlichen Tragödie an Europas Stränden, Grenzen, Bahnhöfen und Autobahnen ausgeweitet hat. Sie hebelt das Recht um Asyl zu beantragen aus. Der derzeitige Ansatz führt zu Todesfällen, Verletzten und Chaos.
Europa steht vor einer wachsenden Zahl von Menschen, die Hilfe und Schutz suchen. Diese Menschen sind nur ein Bruchteil der Millionen, die vor unerträglichem Leid flüchten. Welche Hürden und Zäune es auch immer gibt, sie werden weiterhin kommen, denn sie haben keine andere Wahl. Angesichts dieser Situation ist die gegenwärtige Politik unhaltbar. Europa kann eine Verschlimmerung der Situation auf dem Kontinent nur vermeiden, wenn Schlepper durch die Schaffung sicherer, legaler und freier Alternativen ersetzt werden.
Wir bitten Sie daher dringend, sichere Fluchtwege zu schaffen. Die legale Überquerung von Grenzen nach und innerhalb Europa muss für Asylbewerber ermöglicht werden – zu Wasser und zu Land; die Transportmöglichkeiten müssen verbessert werden. Es müssen verschiedene legale Wege nach Europa und effiziente Lösungen zur Umverteilung von Asylwerbern von einem EU Land ins andere gefunden werden. An den Eintrittspunkten, innerhalb Europas und entlang der Migrationsrouten braucht es wirksamen Zugang zu kohärenten Asylverfahren. Schnelle Registrierung und Zugang zu vorübergehendem Schutz sollte schon bei der Ankunft angeboten werden. Denn jeder, der ankommt, hat ein Recht auf würdevolle Aufnahmebedingungen.
Machen Sie Rettungswesten wie diese überflüssig: Sorgen Sie bitte für sichere und menschenwürdige Alternativen.

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