Nord-Kivu: Mehr als eine Million Menschen fliehen vor Kampfhandlungen – der Hilfsbedarf ist enorm

Blick auf die von Ärzte ohne Grenzen unterstützte Kinderstation im Spital von Kayna. Nord-Kivu, Demokratische Republik Kongo, April 2023

Demokratische Republik Kongo3 Min.

Seit Anfang März 2023 sind rund 150'000 Menschen in Nord-Kivu auf der Flucht. Schuld daran sind gewaltvolle Zusammenstösse in der Umgebung von Kibirizi. Damit flammt ein Konflikt wieder auf, der bereits seit März 2022 schwelt und bei dem sich die M23-Bewegung, die kongolesische Armee und verschiedene bewaffnete Gruppen gegenüberstehen. Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) versorgt Kranke und Verletzte in den Geflüchtetencamps. Der Bedarf an Hilfe ist enorm. Folgende Berichte stammen von Vertriebenen und unseren Mitarbeitenden vor Ort.

Nsabimana Ngurinze wurde gewaltvoll vertrieben und verlor dabei seine Familie aus den Augen.

«Zu Fuss waren wir auf dem Weg nach Kibirizi. Die Kinder waren krank und todmüde. Auch meine schwangere Frau war völlig erschöpft. Sie erlitt unterwegs eine Fehlgeburt. Als wir Kibirizi endlich erreichten, holte der Krieg uns ein. Wir hörten den Kugelhagel in der Stadt und flohen Hals über Kopf. Meine Frau und meine Kinder rannten in eine Richtung, ich in eine andere. Seither habe ich sie nicht mehr gesehen.» Der Familienvater fand in einer Kirche in der Stadt Kanyabayonga Zuflucht. Dort unterstützt Ärzte ohne Grenzen ein Gesundheitszentrum. 

Dr. Padue Kabamba Nawej, medizinischer Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen

«Jedes Mal, wenn wir eine Person untersuchen, schauen wir uns auch ihre mentale Verfassung an. Meiner Meinung nach sind die Menschen hier ziemlich verzweifelt. Sie sind weit weg von zuhause, von ihren Feldern. Es fehlt ihnen alles: eine Unterkunft, Nahrungsmittel, medizinische Leistungen. All das wirkt sich auch auf die Psyche aus. Die Bevölkerung wurde wirklich schwer getroffen. Körperlich und mental. Was haben sie wohl für Gräueltaten erlebt? Seit über einem Jahr sind sie auf der Flucht, mussten ihr Hab und Gut zurücklassen – und manchmal sogar ihre Kinder Manche wissen bis heute nicht, wo sie sind.»

Dr. Prince Djuma Safari, medizinischer Notfallkoordinator von Ärzte ohne Grenzen

«Zwischen den enormen Bedürfnissen in den Geflüchtetencamps und der tatsächlich verfügbaren humanitären Hilfe besteht ein Missverhältnis. In Lushagala leben zum Beispiel mehr als 73 000 Menschen. Ihnen stehen im Moment lediglich 60 Kubikmeter Wasser zur Verfügung. Das entspricht weniger als einem Liter pro Person und Tag.»

Alarmierende Zunahme von Masern-Fällen

Agnes Otema, Vertriebene und junge Mutter

«Im Camp Bulengo sieht man im Spital viele Kinder. Es gibt zwei grosse Zelte, in denen an Masern erkrankte Kinder liegen. Auch mein Kind wurde ins Spital in Bulengo eingeliefert. Es wurde dort behandelt, doch es bekam kaum Luft, und sein Zustand war lebensbedrohlich. Deshalb haben sie uns hierher ins Spital in Kyeshero verlegt.» 

Ärzte ohne Grenzen unterstützt die Vertriebenen in den Camps um Goma und in der Region Lubero. Sie bieten medizinische Versorgung an und verbessern den Zugang zu Wasser, Hygiene und sanitären Einrichtungen.

Angesichts der anhaltenden humanitären Katastrophe in Nord-Kivu ruft Ärzte ohne Grenzen die internationale Gemeinschaft und die Behörden dazu auf, alles zu tun, um die dringenden Bedürfnisse der Bevölkerung zu decken. Mehr als eine Million Menschen ergriffen in den vergangenen zwölf Monaten nach dem Wiederaufleben der bewaffneten Gruppe M23 die Flucht. Im Osten der Demokratischen Republik Kongo hat das zu einer «Krise inmitten der Krise» geführt. Die Vertriebenen, aber auch ganze, durch die Gewalt isolierte Dörfer, haben kaum Zugang zu medizinischen Leistungen. Eine kritische Situation – insbesondere im Hinblick auf die zunehmenden Masern- und Cholerafällen an verschiedenen Orten. Die Hilfsaktivitäten in Nord-Kivu reichen nicht aus – und müssen dringend hochgefahren werden.