Medizinische Versorgung im Visier

L'acte médical profite à tous, combattants et non-combattants, et toute personne en souffrance doit pouvoir y accéder de manière inconditionnelle

4 Min.

Von Peter Maurer, Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz und Unni Karunakara, Internationaler Präsident von MSF

Verlassene Kliniken und zerstörte Spitäler, bewaffnete Männer, die in Spitälern Patienten drangsalieren, oder Gesundheitseinrichtungen, die als Ort missbraucht werden, um Feinde zu identifizieren und festzunehmen. Überlastete Notfalldienste, in denen das medizinische Personal nach jeder Behandlung Angst vor Repressalien haben muss, Ambulanzen, die daran gehindert werden, zu den Verletzten vorzustossen oder stundenlang an Kontrollstellen aufgehalten werden, ganze Bevölkerungsgruppen, denen die medizinische Versorgung wegen tief verwurzelter Feinschaft verweigert wird – all dies sind Situationen, die leider heute bei zahlreichen Einsätzen so vorkommen.
Das Internationale Rote Kreuz (IKRK) und Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) verurteilen jeglichen Akt aufs Schärfste, dessen Absicht es ist, die medizinische Hilfe zu beeinträchtigen und Verwundeten und Kranken die medizinische Versorgung zu verweigern. Ein Patient kann kein Feind sein, Kranke und Verwundete sind keine Kämpfer. Das Pflegepersonal ist durch die medizinische Ethik verpflichtet, alle Patienten ohne Diskriminierung zu behandeln und bei der medizinischen Betreuung keine Einmischung von aussen zuzulassen. Medizinisches Personal muss unparteilich handeln und darf Hilfe einzig gemäss den medizinischen Fakten priorisieren. Damit es das tun kann, müssen die Orte, an denen es arbeitet – Ambulanzen, mobile Kliniken, Gesundheitsposten und Spitäler – sichere und neutrale Zonen sein.
Doch es zeigt sich, dass von Syrien bis zur Demokratischen Republik Kongo, von Bahrain über Mali bis zum Sudan, diese Unparteilichkeit nicht respektiert wird. Die Zivilbevölkerung zahlt dafür einen hohen Preis, und vielen tausenden Menschen wird medizinische Unterstützung vorenthalten.
Seit vergangenem Dezember wurden insgesamt 29 Menschen getötet, während sie in Nigeria und in Pakistan Impfkampagnen gegen Polio durchführten – zwei von drei Ländern, in denen die Krankheit endemisch ist. Der tragische Tod dieser Menschen und das grosse Leid für ihre Familien sind dabei nur die unmittelbarste Auswirkung der gewaltsamen Angriffe auf medizinische Einrichtungen und ihr Personal. Bei Tausenden Kindern, die dank der Impfung vor der Krankheit geschützt worden wären, bestand fortan das Risiko, an Polio zu erkranken und Lähmungen zu erleiden. Gesundheitsorganisationen sahen sich gezwungen, ihre Aktivitäten zu überprüfen und das Sicherheitsrisiko bei ihrer Arbeit verstärkt in ihre Überlegungen miteinzubeziehen.
Das Ausmass des Problems ist beunruhigend. Die meisten Vorfälle, bei denen in irgendeiner Weise verwundeten oder kranken Personen die medizinische Behandlung verweigert wurde, werden nicht gemeldet. So leidet eine zweifellos beträchtliche Zahl von Menschen unbemerkt von medizinischen Helfern, Regierungen und internationalen Organisationen weiterhin an Krankheiten oder Verletzungen, ohne medizinische Betreuung in Anspruch nehmen zu können.

MSF und das IKRK wollen das Ausmass und die Folgen der Bedrohung für die Gesundheitsversorgung publik machen. Ziel ist es, einen grundlegenden Wandel zu bewirken, so dass alle Menschen ohne Furcht medizinische Betreuung beanspruchen können, wo immer sie sind.
Das Verhalten des medizinischen Personals selbst – sei es in der Leitung, der Administration, im Transportwesen oder in der Diagnostik, Prävention und Behandlung – ist entscheidend. Es muss dafür sorgen, dass seine Arbeit von allen betroffenen politischen und militärischen Gruppen akzeptiert wird, denn nur so kann man in einem heiklen und instabilen Umfeld tätig sein.
Es gibt Einsatzorte unserer Organisationen, z.B. in Afghanistan, wo trotz brutaler Gewalt im Umfeld die medizinischen Einrichtungen sicher sind und die Gesundheitsversorgung gewährleistet ist. Es bedarf gemeinsamer Anstrengungen auf weltweiter Ebene, damit dies künftig kein Einzelfall mehr ist, sondern der Normalzustand.
Symbole, die deutlich medizinische Dienste kennzeichnen, wie das Rote Kreuz, der rote Halbmond oder das Logo von MSF verpflichten zum Respekt vor medizinischer Versorgung und deren Schutz. Wenn sie missbraucht oder ignoriert werden, werden auch Berge von Sandsäcken Patienten und Gesundheitsfachleuten keinen Schutz bieten können.
Die grosse Herausforderung liegt vor allem darin, die hier angesprochenen Gewaltakte zu verhindern. Die Verantwortung dafür, Angriffe auf die medizinische Hilfe oder deren Beeinträchtigung oder Missbrauch zu verhindern, liegt hauptsächlich bei den Staaten und bei allen in einem Konflikt involvierten Parteien. Medizinisches Personal muss bei der Ausführung seiner medizinischen Aufgaben unterstützt werden. Die betroffenen Staaten müssen zusichern, dass sämtliche Massnahmen ergriffen werden, um die medizinische Arbeit durch staatliches Recht zu legitimieren, und dass diese Massnahmen auch wirkungsvoll sind.
Der Schutz der Kranken und Verwundeten bildet den Kern der Genfer Konventionen, doch Gewalt gegen Gesundheitseinrichtungen und -personal stellt heute eines der gravierendsten, noch immer vernachlässigten Probleme dar. Alle Menschen – ob Kämpfende oder Zivilisten – haben das Anrecht auf medizinische Unterstützung, und jeder, der diese benötigt, soll sie bedingungslos in Anspruch nehmen dürfen.

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