Gaza: Wenn das Wasser fehlt

Unsere Teams verteilen Trinkwasser in Rafah, im südlichen Gazastreifen. 27. Januar 2024.

Palästinensische Autonomiegebiete4 Min.

Die Warteschlange sieht man schon von Weitem: Hunderte Menschen jeden Alters, die blaue oder gelbe Kanister mit einem Fassungsvermögen von 40 Litern in den Händen halten. Wir befinden uns in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens. Manche der Menschen in der Schlange leben in den Zelten in der Nähe des Tanklastwagens, andere in Unterkünften einige Kilometer entfernt. Sie sind mit Rollstühlen, Kinderwagen oder anderen Wägelchen gekommen, um die begehrte Ressource zu transportieren: Wasser.

Ein sehbehinderter Mann wird von seiner Tochter begleitet, die ihm den Weg zeigt, während er das Wasser trägt. So haben die beiden zwei Kilometer zurückgelegt. Denn in Al-Mawasi, wo sie leben, gibt es kein Trinkwasser. Etwas weiter entfernt erzählt Hanin, die ihr Haus in der Stadt Gaza wegen der Bombardierungen verlassen musste: «Wir stehen für Wasser an. Wenn wir welches bekommen, benutzen wir es, um uns zu waschen und zu spülen. Wenn nicht, dann versuchen wir es morgen wieder.»

Laut Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) wurde mindestens die Hälfte der Wasserversorgungs- und Abwasserinfrastruktur in Gaza zerstört oder beschädigt. Das UNO-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) schätzt, dass etwa 70 Prozent der Bevölkerung salziges oder verseuchtes Wasser trinken.

Die 1,5 Millionen Palästinenser:innen, die aus allen Teilen des Gazastreifens nach Rafah geflohen sind, leben unter dramatischen Bedingungen. Die Stadt ist überfüllt, es gibt kaum sauberes Wasser, sanitäre Einrichtungen, Duschen oder Abwasserkanäle. All dies wird durch die Kälte noch verschlimmert.

Grippe, Hautkrankheiten und Durchfall

«Aufgrund des fehlenden Trinkwassers leiden die Menschen unter Durchfallerkrankungen. Auch der Grippevirus breitet sich schnell aus», erklärt Mohammad Abu Zayed, Verantwortlicher für Gesundheitsförderung bei Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières. «In letzter Zeit sehen wir auch Kinder mit Hautausschlag, da kein sauberes Wasser zur Verfügung steht, um sich zu waschen.»

Youssef Al-Khishawi, unser Spezialist für Wasser und Hygiene, verteilt Trinkwasser in Rafah im südlichen Gazastreifen.

Youssef Al-Khishawi, unser Spezialist für Wasser und Hygiene, verteilt Trinkwasser in Rafah im südlichen Gazastreifen. 20. Januar 2024.

© MSF

«Mangel an Trinkwasser kann zu vielen Krankheiten führen, aber auch zu Dehydration», so Marina Pomares, unsere medizinische Expertin in Gaza. Da ohne sauberes Wasser auch die persönliche Körperpflege und die Kochmöglichkeiten eingeschränkt sind, steigt das Risiko für Infektionen.

«Die Kinder trifft es am härtesten, da sie ein schwächeres Immunsystem haben», fügt sie hinzu. Unsere Teams leisten allgemeine Gesundheitsversorgung in ihrer Klinik in Al-Shaboura und dem Gesundheitsposten in Al-Mawasi. Nach Daten vom 2. Februar 2024 litten 30 Prozent aller Patient:innen unter fünf Jahren an Haut- oder Durchfallerkrankungen. In den vergangenen Wochen betreuten unsere Teams in Rafah zudem 43 Menschen mit Verdacht auf Hepatitis A. Verschlimmert werden all diese Krankheiten, die im Zusammenhang mit dem Mangel an sauberem Trinkwasser stehen, durch das Fehlen funktionierender medizinischer Einrichtungen in der Region.

Unsere Teams haben im Dezember 2023 mit der Verteilung von Wasser begonnen. Derzeit erhalten 20 000 Menschen insgesamt 110 000 Liter Trinkwasser täglich. Das reicht bei Weitem nicht aus. «Normalerweise benötigt eine Person zwei bis drei Liter sauberes Wasser pro Tag», erklärt Youssel Al-Khishawi, unser Spezialist für Wasser und Hygiene. «Aufgrund des aktuellen Wassermangels erhält eine 6-köpfige Familie durchschnittlich 3,8 Liter Wasser pro Tag.»

«Unsere grösste Hürde, um mehr Wasser verteilen zu können, ist der fehlende Treibstoff. Diesen bräuchten wir, um das Wasser zu transportieren und zu fördern», sagt Al-Khishawi. «Weitere Schwierigkeit: Es gibt kaum befahrbare Strassen für unsere Lastwagen, denn selbst auf dem Asphalt stehen Zelte. Und ein drittes Problem sind fehlende Wasserstellen: Sie wurden bombardiert.»

Ärzte ohne Grenzen fordert erneut einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand, damit die Bevölkerung von Gaza in ihre Häuser zurückkehren kann. Zudem rufen wir dazu auf, dass die humanitäre Hilfe ausgeweitet und nicht behindert wird. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Menschen in Gaza Wasser, Nahrung und Gesundheitsversorgung erhalten.