“Die Trommeln lassen dich nicht vergessen, dass jemand gestorben ist”

Une équipe de MSF à Bocaranga, janvier 2014

4 Min.

Die britische Ärztin Natalie Roberts ist vor Kurzem aus ihrem Einsatz in Bozoum im Westen der Zentralafrikanischen Republik zurückgekehrt und berichtet von ihrer Arbeit für MSF.

In der Zentralafrikanischen Republik ist die Gewalt seit letzten Dezember immer weiter eskaliert. Allein bis März dieses Jahres hat Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) mehr als 4’000 Kriegsverwundete behandelt. Natalie Roberts schildert die Lage.
„Kaum war ich in Bozoum gelandet, wurde mir mitgeteilt, es habe sich ein Angriff mit vielen Verletzten ereignet und dass man mich im Spital brauche. Wir fuhren schnell in die Stadt, ohne klare Vorstellung, was wir dort vorfinden würden. Als ich im Spital ankam, wurde ich sofort zu einem Notfallpatienten geführt, der schwere Schussverletzungen hatte. Ich behandelte ihn, während sich das Team um Patienten mit weniger gravierenden Verletzungen kümmerte.
Die Verwundeten hatten zahlreiche Verletzungen von Granatsplittern, da eine Granate ins muslimische Viertel geworfen worden war. Andere waren im darauf folgenden Gefecht von Gewehrschüssen getroffen worden.

Menschen fühlen sich selbst im Spital unsicher

Unter den Verletzten war auch ein junger Mann mit einer Schussverletzung, die auf den ersten Blick nicht so schlimm aussah. Doch die Kugel hatte die Arterie im Oberschenkel durchschlagen und der Mann hörte nicht auf zu bluten. Er starb noch im Laufe der Nacht.
In der Zentralafrikanischen Republik finden die Beerdigungsfeiern nachts statt. Sie werden von Trommeln begleitet. Der Friedhof von Bozoum liegt ganz in der Nähe des Spitals und unserer Unterkunft. Wenn jemand im Spital gestorben war, konnten wir die ganze Nacht das Trommeln hören. Die Trommeln lassen dich nicht vergessen, dass jemand gestorben ist.
In dieser Nacht wollten die meisten Patienten nicht im Spital schlafen – sie dachten, es sei nicht sicher. Daher gingen wir am nächsten Tag ins muslimische Viertel, um die Verletzten weiter zu betreuen. Dort waren die Leute dabei, ihr Hab und Gut zusammenzupacken: Matten und Bettzeug türmten sich auf den Strassen.

Flucht als einzige Lösung

Der Angriff auf das muslimische Viertel hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Nachrichten machten die Runde, dass ein Konvoi kommen und die Leute in den Tschad bringen würde. Die meisten dieser Muslime hatten ihr ganzes Leben in Bozoum verbracht – sie hatten hier ein Geschäft, Haus und Familie und ihre Gemeinschaft.
Zwei oder drei Tage darauf traf der Lastwagenkonvoi ein. Es war nicht abzusehen, ob es auf den Lastwagen genug Platz für alle Bewohner des Viertels gebe und wir waren besorgt, dass eine noch kleinere und damit gefährdetere Bevölkerungsgruppe zurückgelassen werden könnte.
Wie sich dann herausstellte, fanden alle Einwohner des Viertels – zwei- oder dreitausend Menschen – auf den 14 Lastwagen Platz. Es war heiss, und die Fahrt zur Grenze dauerte sieben Stunden. Die Lastwagen waren überbelegt mit Menschen und deren Habseligkeiten. Obschon der Konvoi von Bewaffneten eskortiert wurde, war das keine Garantie, vor Angriffen geschützt zu sein.
Dörfer sind abgeschnitten von der Gesundheitsversorgung
Bald danach verliessen der Projektkoordinator und ich Bozoum, um den übrigen Nordwesten des Landes zu erkunden, bis zur Grenze zum Tschad und zu Kamerun.
Im ersten Dorf merkte ich, dass wir häufiger aus der Stadt hinausgehen mussten, denn die Menschen getrauten sich nicht, ihre Dörfer zu verlassen, und es gab auch nicht genug Verbindungsstrassen oder Transportmittel. Ich hatte erwartet, dass ich Kriegsverletzungen sehen würde, aber es wurde mir klar, dass ausserhalb von Bangui weit mehr Menschen an den üblichen Krankheiten Afrikas sterben – an Malaria und wegen schlechter Gesundheitsversorgung.
Viele Menschen lebten ausserhalb der Stadt, auf Feldern oder in Wäldern, sie schliefen auf dem Boden oder unter Bäumen. In den Dörfern gibt es Brunnen, doch in den Wäldern mussten die Menschen mit dem Wasser Vorlieb nehmen, das sie finden konnten. Alle Gesundheitsposten, die wir besucht haben, waren in schlechtem Zustand. Die vorhandenen Arzneimittel waren verbrannt, gestohlen oder Plünderungen zum Opfer gefallen. Die Bevölkerung hatte somit keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung.

Angreifer ziehen von Tür zu Tür

In den Dörfern gehen die Angreifer von Tür zu Tür. Die Leute haben keine ausgeklügelten Waffen, es ist persönliche Gewalt – von Angesicht zu Angesicht. Jeder trägt eine Waffe, wenn er hinausgeht. Sogar kleine Kinder von sechs oder sieben Jahren laufen mit grossen Macheten herum. Die Leute haben Gewehre und Macheten dabei, weil sie im Busch leben und auf Feldern arbeiten. Es braucht nicht viel, damit in einem Kriegsumfeld Gewehre und Macheten auch zum Töten verwendet werden. Die Spannung wächst, jeder hat Angst, und wenn man ein Gewehr hat, ist man schneller bereit, jemanden zu töten.
Oft wollen die Leute nicht erzählen, wie sich diese Übergriffe zugetragen haben, doch kann man sich vorstellen, dass es äusserst brutal war. Ich habe schon Bombenangriffe und andere Gewalthandlungen miterlebt, aber diese direkte Gewalt ist schwierig zu verstehen und zu verarbeiten. In einem Dorf, das ich besuchte, waren 23 Personen bei solchen Tür-zu-Tür-Attacken getötet worden.
Dass es unmöglich ist abzusehen, wie und wann das Ganze enden wird, empfinde ich als besonders hart. Aber wenn man zu einem Gesundheitsposten zurückkommt, den man unterstützt, und man sieht, dass alles funktioniert, dann ist das ein wunderschönes Gefühl. Es sind nur kleine Kliniken, doch zusammen bewirken sie viel.“

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