«Die Menschen kommen nur noch in lebensbedrohlichen Notfällen ins Spital»

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Ein irakischer Arzt schildert die Lage im Gouvernement Salah ad-Din, wo der Mangel an Personal und Arzneimitteln die medizinische Versorgung zunehmend erschwert.

Dr. Saleh war bis vor wenigen Wochen als Anästhesiearzt in einem Spital im Gouvernement Tamim tätig. Angesichts der wiederaufflackernden Gewalt im Irak meldete er sich jedoch, um als Freiwilliger in einem Spital des Bezirks Salah ad-Din zu arbeiten. Es handelt sich um eines der wenigen Spitäler der Region, die noch betriebsfähig sind. Dr. Saleh schildert die Lage in der Region, seitdem die irakische Regierung die Kontrolle verloren hat und die meisten Ärzte und Pflegekräfte aus der Region geflüchtet sind.
«Die Situation im Gouvernement Salah ad-Din und besonders in Tikrit ist sehr schlecht. Die Stadt und ihre Umgebung leiden seit Wochen unter Luftschlägen. Die Lage veränderte sich innerhalb von nur wenigen Stunden radikal: Plötzlich waren die Strassen mit Kämpfern gefüllt, die Stadt war wie gelähmt.

Nur noch sieben Ärzte in der Stadt

Es gibt nun schon seit Wochen kein Gas und keine Elektrizität mehr, die Banken wurden geplündert. Die meisten Menschen sind geflüchtet. Diejenigen, die geblieben sind, verlassen ihre Häuser nicht aus Furcht vor Bombenangriffen und der Unsicherheit auf den Strassen. Es herrscht grosse Ungewissheit, was die Zukunft betrifft, und die Bevölkerung lebt in Angst.
Die Menschen haben grösstenteils keinen Zugang zu Versorgungsleistungen und kommen nur in lebensbedrohlichen Notfällen ins Spital. Stellen Sie sich vor: Von den rund 200 Ärzten und Spezialisten, die es vorher in der Stadt gab, sind nur noch sieben übrig. Sie alle arbeiten als Freiwillige in diesem Spital. Wir müssen weitermachen, denn wenn wir es nicht tun, wer dann?

Ausbleibende Medikamentenlieferungen

Patienten mit chronischen Krankheiten kommen nicht mehr zur Behandlung ins Spital. Die Menschen machen sich nur in Notfällen auf den Weg, aus der ganzen Region und mit ihren eigenen Transportmitteln. Wir haben schon Personen in Empfang genommen, die unterwegs verstorben waren.
In dem Block, in dem ich arbeite, fehlt es an notwendigen Medikamenten und Ausrüstungen für Operationen. Wir haben in letzter Zeit keine Lieferungen mehr erhalten, sodass ich Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) mit einer Liste der am dringendsten benötigten Arzneimittel und Bedarfsmaterialien kontaktiert habe.

Gewaltbedingte Verletzungen

Die meisten Notfälle, die wir behandeln, sind gewaltbedingte Traumata, die eine Thorako-Laparotomie erfordern sowie orthopädische Fälle, aber auch Kaiserschnitte, Blinddarmentzündungen und Abszesse. Im Durchschnitt führen wir 45 Operationen pro Tag durch, 15 davon aufgrund von Verletzungen. Während meiner letzten zweitägigen Schicht zum Beispiel haben wir an einem einzigen Tag 13 verletzte Patienten behandelt (neun Laparotomien und vier orthopädische Operationen). Am zweiten Tag hatten wir zwei Verletzte: einen mit einem Schrapnellsplitter im Arm, beim anderen mussten wir eine explorative Laparotomie vornehmen. Bei den anderen Fällen handelte es sich um klassische chirurgische Eingriffe.
Angesichts der Umstände sind wir natürlich nicht mehr in der Lage, Wahleingriffe durchzuführen. Wir müssen die Patienten, die wir aufnehmen, auch schnellstmöglich wieder entlassen. Meist geschieht dies schon am zweiten oder dritten Tag, denn wir haben weder den nötigen Platz, um sie hierzubehalten, noch genügend Personal für die postoperative Betreuung. Wir arbeiten unter enormem Druck, unsere Arbeitsbedingungen sind extrem schwierig. Schon allein das Spital zu erreichen, ist jeden Tag eine nervenaufreibende Herausforderung.»

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