Die Geschichte von Malican, einem 10-jährigen Mädchen

Malika: «Tout ce que je souhaite, c’est que ma maman se rétablisse et qu’elle revienne. J’aimerais bien aussi avoir une poupée».

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Seit Anfang August sind die Schulen im Gouvernement Dohuk geschlossen. Die Schulgebäude dienen stattdessen Tausenden von Flüchtlingen als Unterkunft, die vor der Gewalt in den angrenzenden Regionen geflohen sind.

Derzeit ist das Flüchtlingslager Kandala an der syrischen Grenze das einzige, das Neuankömmlinge aufnehmen kann. In Sharia wird nun eine weitere Siedlung fertig gestellt. Gegenwärtig leben in dieser Vorstadt im Süden von Dohuk über 3‘000 Menschen in Schul- und Nutzgebäuden.
In einem der Klassenzimmer der Highschool von Sharia hat Médecins Sans Frontières/ Ärzte ohne Grenzen (MSF) bereits kurz nach Ausbrechen der Krise ein Gesundheitszentrum eingerichtet. Doch wenn die Ärzte um 16 Uhr gehen, verwandelt sich das Klassenzimmer in die Wohnung für die Familie der kleinen Malican. Am Morgen werden die Matratzen, Decken und persönlichen Gegenstände wieder schnell in eine Ecke geräumt, und das MSF-Team baut die Liegen und medizinischen Geräte auf.
Malican ist ein lebhaftes Mädchen von zehn Jahren mit einem Blitzen in den Augen. Sie ist Jesidin und stammt aus Hatare, einer kleinen Stadt südwestlich von Alqosh. Sie sitzt im Schulgang am Boden und spielt mit einer Freundin ein Würfelspiel, während neben ihr Leute geschäftig hin- und hereilen.
«Das Leben ist viel härter geworden, seit wir hier sind. Ich muss sauber machen, die Kleider waschen und habe viele Pflichten», erzählt sie. Malicans Mutter geht es gesundheitlich sehr schlecht, in den letzten Monaten musste sie immer wieder in das Spital von Dohuk. «Heute ist ein guter Tag, weil ich sie im Spital besuchen kann. Ich mache mir Sorgen um sie und vermisse sie sehr», sagt das Mädchen.
Es gibt nur vier Toiletten für die Bewohner des Schulgebäudes, der umliegenden Gebäude und die über 350 Patienten, die jede Woche das Gesundheitszentrum aufsuchen. «Wenn ich morgens aufwache, gehe ich zuerst bei der Toilette meine Hände und mein Gesicht waschen. Dort ist es immer eklig. Wir putzen es eigentlich jeden Tag, aber alle hier benutzen ständig unser WC.» Das MSF-Team hat deshalb in mehreren Siedlungen im Gouvernement Dohuk einen Notfalleinsatz gestartet und provisorische Latrinen und Duschen eingerichtet sowie Hygiene-Kits verteilt. «Zuhause hatten wir in der Ecke des Hauses einen Schrein. Aber hier beten wir nicht mehr, dafür ist es zu schmutzig. Das wäre Sünde», sagt Malican.
Malican mag die Schule. Ihre Lieblingsfächer sind Englisch, Kurdisch und Sport. Sie würde gern wieder in den Unterricht gehen. «Mein Lehrer kam vor einigen Tagen vorbei, und ich fragte ihn, wann der Unterricht wieder anfangen würde, aber er sagte, dass die Schule in Hatare noch nicht wieder anfangen könne. Die Lage sei noch zu gefährlich.»
Trotz der anhaltenden Kämpfe nördlich von Mosul haben einige Familien beschlossen zurückzukehren, weil sie nicht weiter hier in Sharia unter diesen Bedingungen hausen wollen. Unter ihnen ist auch Malicans Onkel. «Mein grosser Bruder ist nach Erbil losgezogen auf der Suche nach Arbeit», erzählt Malican. «Er mochte diesen Ort hier überhaupt nicht. Ich glaube nicht, dass er wiederkommt. Aber ich vermisse ihn so sehr. Ich wünschte, er würde häufiger anrufen.»
«Am meisten vermisse ich meine Freundinnen», sagt Malican, «am allermeisten Madeline. Ich weiss nicht, wo sie jetzt ist. Ich würde so gerne Puppen spielen mit ihr. Hier habe ich keine Puppen, ich musste alle zurücklassen.» Malican sagt, sie habe einige Freundinnen hier in der Schule, aber die Kinder aus Sindschar möge sie nicht. «Mit denen aus Sindschar spreche ich nicht, die sind dreckig und werfen mit Abfall herum. Ich bin mehr die Umgangsformen von Hatare gewohnt», sagt sie stolz.
«Die Kinder aus Sindschar erzählen uns manchmal, was sie erlebt haben. Ein Junge hat einmal erzählt, er habe gesehen, wie ein kleines Kind erschossen wurde und über eine Felsklippe fiel, aber die Erwachsenen sagen, wir sollten nicht ständig darüber reden», erzählt sie. Dann fügt sie hinzu: «Ich will nur, dass es meiner Mama wieder besser geht und wir zurück nach Hause können. Und eine Puppe will ich auch.»
Trotz des anhaltenden Konflikts im Irak, der die Arbeit der humanitären Organisationen vor Ort stark erschwert, bemüht sich MSF, den Irakern, sowie syrischen Flüchtlingen im Irak, medizinische Hilfe zu leisten. Die Organisation ist seit 2006 im Land tätig. Sie akzeptiert keinerlei Mittel von Regierungen, religiösen Institutionen oder internationalen Gebern und finanziert ihre Projekte im Irak ausschliesslich aus privaten Spenden. Derzeit sind im Irak über 300 Mitarbeiter im Einsatz.

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