Bouar: „Wer flieht, geht grosse Risiken ein“

La plupart des personnes déplacées ont peur de partir, et ceux qui partent prennent de gros risques.

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Im Nordwesten der Zentralafrikanischen Republik breitet sich die Gewalt weiter aus. Teams von MSF haben ein neues Projekt in Bouar gestartet. Die Einwohner dieser Stadt bekamen die Folgen des Konflikts schon mehrmals stark zu spüren. Zurzeit sind ungefähr 6'000 Personen in Bouar eingeschlossen und können nicht fliehen.

Seit einem Monat unterstützt MSF das Spital in Bouar. Florent Uzzeni, stellvertretender Programmverantwortlicher, ist zurzeit in der Zentralafrikanischen Republik und schildert die Lage vor Ort.

Wie ist die aktuelle Lage in Bouar und warum entschied MSF, einen Einsatz zu beginnen?

Die seit März 2013 herrschende Unsicherheit im Land hat mehrfach, zuletzt im Januar 2014, Bevölkerungsverschiebungen verursacht. Die Bevölkerung von Bouar war mehrmals dem Durchmarsch bewaffneter Milizen ausgesetzt. Dabei kam es zu Kämpfen und Gewalttaten gegen Zivilisten. Die Lage ist unvorhersehbar, weil seit Mitte Januar überall in der kleinen Stadt mehrere Tausend bewaffnete Männer anzutreffen sind, was zu grosser Unsicherheit führt. Seit vor einigen Tagen die französischen Truppen angekommen sind, hat sich die Situation in Bouar verändert: Kein einziger Bewaffneter ist noch zu sehen. MSF unterstützt das Spital von Bouar seit einem Monat bei der Versorgung der Verwundeten und anderen medizinischen Notfällen.

Die Situation der Minderheiten gibt zu reden. Wie steht es in Bouar um sie?

Seit dem 21. Januar befinden sich tausende Angehörige der muslimischen Minderheit von Bouar bei der Moschee. Das Viertel Haoussa ist abgeschnitten, und die Menschen verlassen es nicht aus Angst vor Übergriffen und Einschüchterungen. Vor einigen Tagen haben wir während 20 Minuten etwa 50 Schüsse aus dem Lager der Vertriebenen gehört. Bewaffnete Männer haben sie bedroht und Geld von ihnen erpresst. Die Menschen in dieser Gemeinschaft haben Angst, sie fürchten um ihr Leben. Viele Familien haben während der Gewalttätigkeiten der letzten Wochen Angehörige verloren. Die Mehrheit hat auch ihr Hab und Gut verloren und kann deshalb keine Geschäfte mehr betreiben. Viele sehen die Flucht als ihre letzte Möglichkeit.

Sind auch Menschen in die Nachbarländer geflüchtet?

In den letzten Wochen konnten wir mehrere Fluchtbewegungen nach Kamerun beobachten. Anfangs Februar zählten wir im Lager der Vertriebenen noch etwa 8‘500 Menschen, von denen in den letzten Tagen etwa 2‘000 in die Grenzstadt Garoua-Boulaï in Kamerun geflohen sind. Allerdings kommen auch täglich weitere Menschen an, weshalb es nicht möglich ist, exakte Zahlen zu nennen. In diesem Moment steigen Frauen und Kinder auf Lastwagen, welche Richtung Kamerun fahren. Diese Strecke kann seit der Ankunft der französischen Truppen etwas sicherer befahren werden. Die Männer hingegen bleiben hier, weil sie fürchten, unterwegs getötet zu werden. Die Mehrheit der Vertriebenen hat Angst vor der Flucht, und wer es doch tut, geht grosse Risiken ein.

Wie ist die humanitäre Situation der Vertriebenen?

Seit Januar haben die Menschen keine Lebensmittelhilfe erhalten. Wir haben nun die Ernährungslage untersucht und werden ein Programm zur Behandlung mangelernährter Kinder starten. Obwohl die Ernährungssituation noch nicht katastrophal ist, haben wir innerhalb von einer Woche doch etwa 20 mangelernährte Kinder gesehen. Wenn wir jetzt nicht reagieren, wird sich die Lage schnell verschlechtern. Zudem erlebt die Region in der trockenen Jahreszeit sowieso immer einen Anstieg der Mangelernährung und der Atemwegsinfektionen.

Was waren die Hauptaktivitäten von MSF seit Januar?

Wir haben seit unserer Ankunft 72 Patienten in der Notaufnahme des Spitals behandelt, davon waren etwa 40 Unfallopfer, die sich bei Lastwagenunfällen auf der Flucht Richtung Kamerun verletzt hatten. Zuerst wurden sie in Bouar behandelt und vor einigen Tagen nach Garoua-Boulaï begleitet. Auch dort sind MSF-Teams im Einsatz, welche die Flüchtlinge auf der anderen Seite der Grenze weiterversorgen.
Im Moment behandeln wir im Spital von Bouar Personen, die sich ihre Verletzungen schon vor einigen Monaten zugezogen haben. Beispielsweise kam vor kurzem ein Patient mit einer mehrfachen Oberschenkelfraktur, die schon mehrere Monate alt war, zu uns. Er hatte sich wegen der unsicheren Lage im Busch versteckt. Einige Leute beginnen nun, wieder zurückzukehren, weil die Lage in den letzten Monaten etwas ruhiger war.

Wie ist der Zugang zu medizinischer Versorgung?

Der Zugang zu Behandlung ist schwierig. Die Menschen, vor allem Angehörige der muslimischen Minderheit, getrauen sich nicht, das Quartier zu verlassen und ins Spital zu kommen. Zu unsicher ist die Lage in der Stadt, zu gross die Angst vor den bewaffneten Männern. Wir haben deshalb in Haoussa ein Gesundheitszentrum eröffnet, in dem wir medizinische Grundversorgung anbieten können. Menschen mit Schuss- oder Stichverletzungen haben jedoch keine andere Wahl, als sich im Spital behandeln zu lassen. Dieses befindet sich einen Kilometer entfernt und der Weg dorthin birgt grosse Risiken.
Mehrere Leiter von Gesundheitszentren ausserhalb der Stadt berichten von Plünderungen. Einige wurden seit März letzten Jahres schon mehrmals von bewaffneten Gruppen bedroht. Auch im Spital von Bouar sind am 31. Januar bewaffnete Milizen eingedrungen und haben alle Tätigkeiten während zwei Tagen verhindert. Das Gesundheitszentrum von Bohong, 70 km von Bouar entfernt, wurde mehrmals überfallen, zuletzt im Dezember. Trotz der Bedürfnisse der Bevölkerung musste es deshalb geschlossen werden. Sobald es die Sicherheitslage zulässt, werden wir mobile Kliniken organisieren, die im Umland von Bouar tätig sein werden.
MSF ist seit 1997 in der Zentralafrikanischen Republik tätig. Neben acht regulären Projekten (Batangafo, Boguila, Carnot, Kabo, Ndélé, Paoua, Bria and Zémio) leitet die Organisation auch sieben Notfall-Projekte (Bangui, Bozoum, Berbérati, Bouar, Bossangoa and Bouca). Die Teams von MSF bestehen aus über 240 internationalen sowie rund 2’000 lokal angestellten Mitarbeitern. Weitere MSF-Teams leisten Hilfe für Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik in Kamerun, im Tschad, in der Demokratischen Republik Kongo sowie in der Republik Kongo.

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