Beirut: Medizinische und psychologische Unterstützung in stark betroffenen Vierteln

Die 3-jährige Samar wird in der mobilen Klinik von Ärzte ohne Grenzen wegen ihren Verletzungen und Verbrennungen behandelt. Beirut, Libanon, 10.8.2020

Libanon4 Min.

Eine Woche nach den verheerenden Explosionen, die sich am 4. August in Beirut ereigneten, führt Ärzte ohne Grenzen weitere Nothilfeaktivitäten durch. Die Hilfe besteht aus drei Pfeilern: Wundversorgung für Verletzte, Versorgung von Patientinnen und Patienten mit chronischen Krankheiten und psychologische Betreuung für die von der Explosion betroffenen Menschen.

Die Hilfe erfolgt über zwei medizinische Anlaufstellen, die in den am stärksten von der Explosion betroffenen Stadtvierteln Mar Mikhael und Karantina eingerichtet wurden. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) gehen von Tür zu Tür, um den Bedarf der Menschen in diesen Quartieren zu erheben und ihnen so besser helfen zu können. Ausserdem hat Ärzte ohne Grenzen auch Wassertanks installiert und Wasser- und Hygienesets an die Menschen verteilt, die die MSF-Einrichtungen aufsuchen. Dies war bei den Erhebungen als ein wesentlicher Bedarf hervorgehoben worden.

Installation von Wassertanks

Installation von Wassertanks

© Mohamad Cheblak/MSF

Die gewaltige Explosion, die sich vor einer Woche ereignete, riss die Lager des Hafens von Beirut in Stücke. Dabei kamen mehr als 150 Menschen ums Leben, und über 6000 wurden verletzt. Die erste Reaktion auf die Explosion kam von der libanesischen Bevölkerung selbst, die spontan versuchte, den von der Explosion Betroffenen Hilfe und Unterstützung zu leisten – mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Die Explosion erzeugte seismische Schockwellen, die den Boden erschütterten, Fenster zertrümmerten und Gebäude in ganz Beirut zerstörten – in einer Stadt, die bereits stark mit einer Wirtschaftskrise und steigenden Covid-19-Infektionen zu kämpfen hatte.

Vor der Explosion hatte das öffentliche Gesundheitssystem schon Mühe, die steigende Zahl der Covid-19-Fälle zu bewältigen. Seither ist die Zahl der registrierten Fälle im Libanon, insbesondere in Beirut, weiterhin stark angestiegen.

Julien Raickman, Einsatzleiter im Libanon

 

«In einer Woche gab es mehr als 1500 neue Fälle. Das entspricht fast 25 Prozent aller Fälle, die seit Beginn der Pandemie im Land gemeldet wurden», fährt Raickman fort. «In der Nacht der Explosion kam es zu einem enormen Ansturm von Patientinnen und Patienten auf Gesundheitseinrichtungen in der gesamten Hauptstadt. So konnten die Infektions- und Präventionsmassnahmen nicht ordnungsgemäss durchgeführt werden, was schliesslich zu diesem Anstieg führte. Über 300 000 Menschen verloren ihr Zuhause und mussten andere Unterkünfte finden, was die Situation nicht einfacher macht. Dieser Anstieg der Fälle bereitet uns grosse Sorgen, und wir schauen gerade, wie wir unsere Projekte am besten an diese Umstände anpassen können». 

Ein weiterer Bereich, der Ärzte ohne Grenzen Sorgen bereitet, ist die psychische Gesundheit der Menschen. 

Nach dem Bürgerkrieg, den Wirtschaftskrisen und den jüngsten finanziellen und sozialen Einbrüchen hat diese Katastrophe den Menschen im Libanon ein zusätzliches Trauma beschert.

Julien Raickman, Einsatzleiter im Libanon

«Aufgrund unserer Erfahrung wissen wir, dass dies enorme Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden der Menschen hat und noch jahrelang anhalten wird. Deshalb muss eine landesweite Strategie für psychische Gesundheit entwickelt werden, um die langfristigen psychologischen Auswirkungen dieser Krise auf die Menschen im Libanon abzufangen», betont Raickman. Da die psychische Gesundheit ein wichtiger Pfeiler der Arbeit von Ärzte ohne Grenzen im Land ist, konnte Ärzte ohne Grenzen schnell ein Nothilfe-Team von neun Psychologinnen und Psychologen mobilisieren. Sie leisteten psychologische Ersthilfe und arbeiten nun an der Entwicklung einer langfristigen Hilfe für Menschen in Not.

Samar und ihr Vater verliessen gerade ihr Haus, als sich die Explosion ereignete. Das Mädchen wird in einer mobilen Klinik von Ärzte ohne Grenzen behandelt.

Samar und ihr Vater verliessen gerade ihr Haus, als sich die Explosion ereignete. Das Mädchen wird in einer mobilen Klinik von Ärzte ohne Grenzen behandelt.

© Mohamad Cheblak/MSF

Projekte an bestehende Hilfsaktivitäten anpassen

Noch am Abend der Explosion hat Ärzte ohne Grenzen Erste-Hilfe-Kits zur Wundversorgung und OP-Schutzmasken an den libanesischen Katastrophenschutz und das Libanesische Rote Kreuz gespendet, um einerseits die Erstversorgung der Verletzten zu unterstützen und andererseits einer Ausbreitung von Covid-19 vorzubeugen. Seither arbeitet Ärzte ohne Grenzen daran, weitere Lieferungen von medizinischem Material zu organisieren, um jene Einrichtungen und Organisationen zu unterstützen, die sich um die Versorgung der vielen Verletzten kümmern.  

«Diese Akteure und die lokalen Organisationen haben insbesondere in dieser ersten Woche nach der Explosion eine entscheidende Rolle gespielt. Wir versuchen, unsere Projekte an die bestehenden Hilfsaktivitäten anzupassen, die bereits von Gruppen der Zivilgesellschaft umgesetzt werden, da diese eindeutig die treibende Kraft hinter der kollektiven Reaktion auf dieses Ereignis sind», sagt Raickman.  

Der erste Einsatz von Ärzte ohne Grenzen im Libanon erfolgte 1976 im Bürgerkrieg. Es war der erste Einsatz der Organisation in einem Kriegsgebiet. Heute ist Ärzte ohne Grenzen mit über 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in verschiedenen Teilen des Landes aktiv.