Syrien: Regierung missbraucht Medizin als Mittel zur Verfolgung

Les hôpitaux doivent être des lieux protégés où les blessés sont soignés sans discrimination et ne subissent ni mauvais traitement, ni torture.

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Das syrische Regime geht gezielt gegen verwundete Demonstranten und medizinisches Personal vor, das die Opfer der Gewalt im Land behandelt.

Paris / Zürich 8. Februar 2012. Die Hilfsorganisation Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) kann selbst nicht direkt in Syrien arbeiten, sammelt aber Aussagen von Verwundeten, die ausserhalb des Landes behandelt werden, sowie von Ärzten in Syrien „Verwundete Patienten und Ärzte werden zurzeit in Syrien gezielt verfolgt. Sie sind in Gefahr, durch Sicherheitskräfte verhaftet und gefoltert zu werden“, erklärt Marie-Pierre Allié, Präsidentin von MSF in Frankreich. „Medizin wird als Mittel zur Verfolgung eingesetzt.“
Die meisten Verwundeten suchen aus Furcht vor Verhaftung und Folter keine öffentlichen Spitäler auf. Falls doch, werden manchmal falsche Namen verwendet, um die Identität zu verschleiern. Ärzte stellen bisweilen gar bewusst falsche Diagnosen, damit die Patienten den Sicherheitskräften entkommen, die gezielt nach für Demonstranten typischen Verwundungen suchen.
„Es ist entscheidend, dass die syrischen Behörden die Neutralität der medizinischen Einrichtungen wieder herstellen“, sagt Marie-Pierre Allie. „Spitäler müssen geschützte Bereiche sein, in denen verwundete Patienten ohne Diskriminierung behandelt werden, in denen sie sicher sind vor Übergriffen und Folter – und wo Ärzte und Pfleger nicht ihr Leben riskieren, wenn sie nach dem ärztlichen Berufskodex handeln."

Operationen in privaten Wohnräumen

Die Verletzten werden grösstenteils an geheim gehaltenen Orten behandelt. Auf diesem Wege versuchen Ärzte ihrer Verpflichtung nachzukommen, den Menschen medizinisch zu helfen. Improvisierte Kliniken sind etwa in Wohnungen und auf Bauernhöfen errichtet worden. Wohnräume wurden zu provisorischen Operationssälen umfunktioniert. In diesen als "mobilen Spitälern" bekannten Einrichtungen sind die hygienischen Bedingungen und die Möglichkeiten, Instrumente zu sterilisieren, begrenzt, die Vorräte an Narkosemitteln knapp. Dazu kommt, dass allein der Besitz von Medikamenten und einfachem medizinischem Material wie Mullbinden wie ein Verbrechen verfolgt wird.
„Die Sicherheitskräfte greifen die mobilen Kliniken an und zerstören sie“, erzählt ein Arzt, der anonym bleiben will. „Sie dringen in Häuser ein und suchen nach Medikamenten und medizinischem Material“.

Keine Sicherheit für Ärzte und Patienten

Sicherheit ist die Hauptsorge der Ärzte, die in den medizinischen Parallelstrukturen im Untergrund arbeiten. In dem herrschenden Klima des Terrors muss eine Behandlung schnell erfolgen, da Ärzte und Patienten ihren Aufenthaltsort ständig wechseln müssen, um nicht entdeckt zu werden.
„Wir werden ständig von den Sicherheitskräften verfolgt”, sagt ein anderer Arzt. „Viele Kollegen, die verwundete Patienten in ihren privaten Kliniken behandelt haben, wurden verhaftet und gefoltert.”
Es ist extrem schwierig, in den geheimen Einrichtungen grössere Verletzungen zu behandeln und die postoperative Nachsorge sicherzustellen. Erschwerend kommt hinzu, dass die im Verborgenen arbeitenden Helfer keinen Zugang zu Blutkonserven von der zentralen Blutbank haben, der einzigen Institution im Land, die Blutkonserven bereitstellt, und die vom syrischen Verteidigungsministerium kontrolliert wird.
Nur wenige Verletzte haben es geschafft, in Nachbarländer zu fliehen, wo sie – allerdings mit Verzug – eine angemessene medizinische Versorgung erhalten.
„Ich war am Oberschenkel verletzt, und die Soldaten haben mich erwischt“, berichtet ein von MSF behandelter Patient. „Sie schlugen mir auf den Kopf und auf meine Wunde, aber ich habe es mit der Hilfe von Menschen in meiner Umgebung geschafft, zu fliehen. Schliesslich habe ich jemanden gefunden, der mich behandeln konnte – allerdings einen Krankenpfleger, keinen Arzt. Er hatte nicht einmal Betäubungsmittel.“
Unter den derzeitigen Umständen sind die Möglichkeiten von MSF, für die syrische Bevölkerung medizinische Hilfe zu leisten, stark eingeschränkt. Die Organisation hat monatelang erfolglos versucht, eine offizielle Genehmigung für die Behandlung von Verletzten in Syrien zu erhalten. MSF behandelt Patienten ausserhalb Syriens und unterstützt durch die Lieferung von Medikamenten, medizinischem Material sowie Chirurgie- und Transfusionskits Netzwerke von Ärzten in Syrien.

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