Schweiz: MSF übergibt Gesundheitsprojekt Meditrina an das Schweizerische Rote Kreuz Kanton Zürich

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Zürich, 16. Dezember 2009 - Am 1. Januar 2010 übernimmt das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) Kanton Zürich ein Projekt für Menschen, die keinen oder nur erschwerten Zugang zum Gesundheitssystem finden. Das Projekt wurde im Januar 2006 von MSF in Zürich gestartet. Die medizinische Anlaufstelle heisst Meditrina und ist als Angebot für so genannte «Sans Papiers» ins Leben gerufen worden.

Das Projekt wurde von MSF aufgrund der festgestellten gesundheitlichen Notlage der «Sans Papiers» in Zürich realisiert. Das Angebot entsprach einem Bedürfnis: Innerhalb von vier Jahren wurden bei Meditrina mehr als 3´400 Behandlungen in Anspruch genommen.  

Ab 1. Januar 2010 übernimmt das SRK Kanton Zürich das Projekt von MSF und überführt das Angebot von der Pionierphase in eine nachhaltig wirksame Dienstleistung. «MSF, eine internationale medizinische Nothilfeorganisation ist nicht dazu berufen, langfristige Projekte zu leiten. Nach der Initiierung und Schaffung eines soliden Projektes möchten wir es an eine Organisation unseres Vertrauens übertragen, die es langfristig betreut. Das Schweizerische Rote Kreuz Kanton Zürich ist für dieses Projekt der ideale Partner», erklärt Antoine Chaix, Vizepräsident der Schweizer Sektion von MSF.

Meditrina passt zum Engagement für Verletzliche des SRK Zürich

Meditrina passt als neue Dienstleistung strategisch und inhaltlich ausgezeichnet zum konstanten Engagement des SRK Kanton Zürich in den Kerntätigkeitsfeldern Gesundheit und Migration/Asyl. Dass durch Meditrina eine Gruppe von verletzlichen Menschen Unterstützung erhält, ist ein wichtiger Grund für die Übernahme des Projekts durch das Hilfswerk. «Meditrina ist eine Aufgabe, die wir sehr gerne übernehmen, denn die Nachhaltigkeit unserer Dienstleistungen ist eines unserer grossen Anliegen und eine unserer Stärken», sagt Annalis Knoepfel-Christoffel, Vorsitzende der Geschäftsleitung des SRK Kanton Zürich.

Eine vertrauenswürdige Anlaufstelle

Schätzungen zufolge leben im Grossraum Zürich zwischen 9‘000 und 12'000 «Sans Papiers». Theoretisch müsste diese Bevölkerungsgruppe zu Gesundheitseinrichtungen im Kanton Zürich Zugang haben. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Zur finanziellen Hürde, die mit dem häufig sehr geringen Einkommen zusammenhängt, kommt die Befürchtung, von den Behörden identifiziert zu werden und das Risiko einer Ausweisung aus dem Land einzugehen. «Wenn ich in ein Spital gehe, habe ich Angst, dass das Personal die Polizei ruft, weil ich illegal bin. Auch wenn ich dort zwar eine Behandlung erhalte, würde ich dann in mein Land zurückgebracht werden», teilt B., eine 31 Jahre alte Brasilianerin und Patientin von Meditrina, ihre Ängste mit. Drastisch zeigt der Fall einer krebskranken Frau ohne Aufenthaltsbewilligung, die im April 2009 vor dem Kantonsspital Münsterlingen ausgesetzt wurde, wie wichtig eine vertrauenswürdige, medizinische  Anlaufstelle ist. Meditrina schlägt die Brücke zum öffentlichen Gesundheitssystem, die «Sans Papiers» ohne Angst vor einer Ausweisung benutzen können.

Die Mehrzahl der PatientInnen sind «Sans Papiers»

Die Hälfte der Besucher von Meditrina stellt sich spontan als MigrantInnen ohne gültige Ausweispapiere vor. Die Anlaufstelle hat jedoch auch den Zulauf von Personen beobachtet, die sich legal in der Schweiz aufhalten, aber nicht wissen, dass sie zum Gesundheitssystem Zugang haben können, oder die Schwierigkeiten haben, eine Krankenversicherung zu erhalten, obwohl diese eine gesetzliche Pflicht ist. Diese Gruppe machten bis heute laut den Erfahrungen von MSF etwa ein Drittel der Patienten von Meditrina aus. Für diese PatientInnen wird die SOS-Beratung des SRK Kanton Zürich künftig als Türöffner fungieren und sie an die richtigen Stellen weiterleiten. Meditrina wird sich wieder wie ursprünglich geplant auf die so genannten «Sans Papiers»  fokussieren.

Kostenlose, vertrauliche Untersuchung

Die Anlaufstelle  im Gebäude des SRK Kanton Zürich an der Kronenstrasse 10 in Zürich ist an drei Tagen pro Woche geöffnet. Sie bietet wie bis anhin kostenlose Untersuchungen an und leitet die PatientInnen an ein Netzwerk von über 50 ÄrztInnen und SpezialistInnen sowie an bestimmte Spitaleinrichtungen weiter, die damit einverstanden sind, sie zu erschwinglichen Preisen und vertraulich zu behandeln. Die Statistik von MSF zeigt, dass die meisten untersuchten PatientInnen unter gewöhnlichen Krankheitsbildern litten (Atemwegsinfektionen, Magen-Darmprobleme, Zahn- und Hautprobleme). Einige von ihnen zeigten psychische Störungen, die häufig mit ihren Lebensbedingungen als Auswanderer und «Sans Papier» zusammenhängen.

Meditrina ermöglicht auch eine Vorsorgepolitik für diese benachteiligten Bevölkerungsmitglieder und erlaubt es Personen, die unter chronischen Infektionen, wie HIV/Aids oder offener Tuberkulose leiden, eine langfristige Behandlung zu erhalten – dies macht auch die Wichtigkeit des Projektes im Bereich der öffentlichen Gesundheit deutlich.

«Zugang zur Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht»    

«Es bleibt viel zu tun – in den Köpfen und auf juristischer Ebene – damit jeder, unabhängig von seinem Status, freien Zugang zur Gesundheitsversorgung hat. Dies ist ein grundlegendes Menschenrecht und wird übrigens auch in der Schweizer Verfassung angeführt. Bis dahin erfüllt Meditrina das offensichtlich grosse Bedürfnis dieser benachteiligten Bevölkerung nach Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung. Die Übernahme unserer Tätigkeiten durch das Schweizerische Rote Kreuz Zürich ist ein Zeichen dafür, dass diesem Bedürfnis auch weiterhin Rechnung getragen wird», erklärt Daniel Spirgi, MSF-Verantwortlicher des Projekts Meditrina.

«Unser Fernziel ist, dass es Meditrina eines Tages nicht mehr braucht, weil das Recht auf medizinische Versorgung gesellschaftlich und humanitär akzeptiert sein wird», erklärt Annalis Knoepfel-Christoffel.

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