MSF: Novartis-Klage gefährdet die "Apotheke der Armen"

«Parce que l’Inde est la pharmacie des pays en développement, les conséquences de cette affaire s’étendent bien au-delà des frontières du pays»

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Die Hilfsorganisation MSF kritisiert das juristische Vorgehen des Pharmakonzerns Novartis gegen das indische Patentrecht. Ein Erfolg der Klage, die ab heute vor dem Obersten Gerichtshof des Landes verhandelt wird, hätte nach Einschätzung der Organisation verheerende Auswirkungen auf den Zugang von Patienten weltweit zu lebenswichtigen Medikamenten. Indien gilt als "Apotheke der Armen", weil Nachahmermedikamente aus indischer Produktion in zahlreichen Ländern die Versorgung mit bezahlbaren Arzneimitteln sicherstellen.

„Seit nunmehr sechs Jahren versucht Novartis, Indien unter Druck zu setzen. Der Konzern will eine Bestimmung des Patentrechts ändern, die den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten sichert statt des unternehmerischen Profits“, sagt Leena Menghaney von der Medikamentenkampagne von MSF in Indien. „Das gegenwärtige Patentsystem in Indien verhindert, dass Pharmaunternehmen Patentmonopole mit immer neuen Patenten auf das gleiche Medikament künstlich verlängern.“
Die Klage ist in einer langen Reihe von erfolglosen Prozessen der letzte Versuch des Konzerns, Abschnitt 3d des indischen Patentrechts anzufechten. Die Klausel besagt im Einklang mit internationalen Welthandelsregeln, dass eine neue Formulierung eines bekannten Medikaments lediglich dann ein Patent verdient, wenn sie eine deutlich erhöhte therapeutische Wirksamkeit gegenüber existierenden Wirkstoffkombinationen nachweisen kann. Die Bestimmung wurde speziell entwickelt, um auf die gängige Praxis der Ausweitung von Patentmonopolen für lediglich geringfügige Veränderungen bekannter Wirkstoffkombinationen – „Evergreening“ genannt – zu reagieren. Dadurch wird verhindert, dass Pharmafirmen die Preise künstlich hoch halten und somit Patienten in ärmeren Ländern den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten versperren. Auf der Grundlage des Abschnitts 3d wurde im Jahr 2006 einer Patentanmeldung von Novartis für das Krebsmedikament Imatinib Mesylate, das der Konzern unter Glivec vermarktet, nicht stattgegeben. Die Anmeldung bezog sich lediglich auf eine neue Formulierung des zu Grunde liegenden Moleküls, das bereits patentiert war.
„Wir haben bereits festgestellt, dass das indische Patentgesetz für das Gesundheitssystem praktische Vorteile hat“, bestätigt Leena Menghaney. „Dank der strikten Gesetzgebung in Indien sind Patentanmeldungen für die pädiatrische Dosierung eines Medikaments oder Kombinationspräparate zur Behandlung von HIV/Aids bisher abgelehnt worden. Es sind genau diese Medikamente, bei denen es Konkurrenz durch Generika braucht, damit sie erschwinglich bleiben.“
Ein Sieg von Novartis hätte Konsequenzen weltweit. Indien wäre künftig gezwungen, weit mehr Patente zu gewähren als bisher. Dies würde die Konkurrenz durch Nachahmermedikamente erheblich reduzieren. Dank indischer Generika konnten beispielsweise die Preise für Medikamente zur Behandlung von HIV/Aids seit dem Jahr 2000 um 99 Prozent gesenkt werden. Dies ermöglichte die Behandlung von acht Millionen Menschen in Entwicklungsländern.
“Da Indien als Apotheke der Entwicklungsländer gilt, geht die Bedeutung des Falls weit über Indien hinaus“, erklärt Dr. Manica Balasegaram, Direktor der MSF-Access Campaign. „Das rechtliche Vorgehen von Novartis ist eine direkte Bedrohung für das Leben von Millionen Menschen in Entwicklungsländern.“
Hintergrund:
Im Jahr 2006 stellte Novartis die Verfassungsmässigkeit des Abschnitts 3d in Frage. Als Reaktion initiierte MSF die Kampagne "Novartis - Drop the Case" mit dem Ziel, den Pharmakonzern dazu zu bewegen, seine Klage zurückzuziehen. Fast eine halbe Million Menschen unterschrieben eine Petition, die dem Unternehmen vorgelegt wurde. Novartis liess die Klage nicht fallen, verlor den Prozess aber 2007. Im gegenwärtigen Gerichtsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof versucht der Pharmakonzern eine spezifische Auslegung des Abschnitts 3d herbeizuführen, um der Schutzklausel die Substanz zu entziehen. Weitere Informationen: www.msfaccess.org/stopnovartis.

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