Zentralafrikanische Republik: Ein Jahr unvorstellbarer Gewalt

Il y a un an, je n’imaginais pas que la situation, déjà terrible, pouvait encore se détériorer. La violence est devenue extrême.

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Die Zivilbevölkerung ist weiterhin der allgegenwärtigen Gewalt ausgesetzt.

Seit dem Staatsstreich vom 24. März 2013 hat sich die Gewalt in der zentralafrikanischen Republik massiv verschärft. Die in Angst lebende Zivilbevölkerung ist mitten in diesem Chaos besonders anfällig für Krankheiten und Hunger. Geschätzte 20 Prozent der Bevölkerung wurden vertrieben – viele davon verstecken sich in den Wäldern oder leben eingeschlossen in Spitälern, Kirchen und Moscheen. Die kürzlich durchgeführten Vergeltungsmassnahmen gegen die muslimische Minderheit haben zu einer Massenflucht der Betroffenen geführt. Demnächst soll eine friedensstiftende UN-Mission mit 12’000 Soldaten dazu beitragen, Leben zu retten – doch bis dahin sind Zivilisten weiter der Gewalt ausgesetzt: Seitens ehemaliger Seleka-Kämpfer und gegnerischer Anti-Balaka-Milizen sowie von kriminellen Gruppen, die sich die instabile Lage zunutze machen.
Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) arbeitet in vielen der am schwersten betroffenen Gemeinden, zum Beispiel in Bossangoa, Boguila und Bangui. Roland Kremer, medizinischer Notfallkoordinator von MSF, ist kürzlich von seinem Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik zurückgekehrt und schildert seine Eindrücke:

Seit wann ist MSF in der Zentralafrikanischen Republik tätig?

MSF hat vor mehr als zehn Jahren begonnen, auf die dringenden medizinischen Bedürfnisse und die mangelnde Gesundheitsinfrastruktur zu reagieren. In Anbetracht dieser bereits sehr angespannten Lage hätte ich nie erwartet, dass es im Laufe des vergangenen Jahres noch schlimmer werden könnte. Das Ausmass der Gewalt war und ist immens: Tausende Menschen haben keinen Zugang zu Spitälern, und wer aus Angst sein Zuhause verlassen musste, versteckt sich nun in den Wäldern oder flüchtet in Nachbarländer.

Wie angreifbar sind Minderheiten in der aktuellen Lage?

Derzeit leben beispielsweise nur mehr 1’500 Muslime im Areal PK12 in der Hauptstadt Bangui. Die Menschen um sie herum sind ihnen feindlich gesinnt, wollen sie entweder aus dem Land vertreiben oder wünschen ihnen den Tod. Die Angst der Muslime wurde durch gezielte Angriffe mit Granaten und Gewehrfeuer noch weiter geschürt. Auch für uns ist es ein speziell schwieriger, wenn auch besonders wichtiger Ort um zu arbeiten, denn hier können wir an einem Tag über 200 medizinische Behandlungen durchführen.
Vergangene Woche war ich im nördlichen Boguila; auch dort hat sich die Gewalt ausgebreitet. Innerhalb von nur einer Stunde wurden mehrere Menschen mit Schusswunden ins Spital gebracht. Auch eine Frau kam zu uns, deren Arm mit einer Machete abgehackt worden war. Weder weinte sie noch schrie sie, doch ich konnte die Angst in ihren Augen sehen. Es herrscht so viel Angst unter den Menschen, dass sie sehr schnell in Panik geraten und ihre Dörfer verlassen. Mütter holen ihre Kinder aus dem Spital und verstecken sich mit ihnen in den Wäldern. Diese Reaktionen sind eine Folge all der Erlebnisse, die sie in der Vergangenheit mitmachen mussten.
Vor mehr als einem Monat erhielt ich einen Anruf von unserem medizinischen Team in Bossangoa: Sie berichteten mir, dass 15 Lastwagen Muslime an einen sicheren Ort im Tschad bringen würden. Die Menschen drängten enorm, um auf diese Lastwägen zu kommen. Sie waren sehr emotional und aufgebracht, wie unsere Mitarbeiter auch. Die meisten der Flüchtenden wollten ihre Heimat nicht verlassen, nachdem ihre Familien seit Generationen in der Zentralafrikanischen Republik gelebt hatten, doch sie mussten zu ihrer eigenen Sicherheit aus dem Land fliehen.

Mit welchen Problemen ist MSF konfrontiert?

Die häufigste Todesursache ist Malaria. Zu uns kommen auch viele Menschen mit Hautkrankheiten, Atemwegsinfektionen oder Wunden von Gewehrkugeln, Speeren und Macheten – sowie schwer mangelernährte Kinder.
Ich war mit unserer mobilen Klinik in einem Dorf namens Benzambe, nördlich von Bossangoa. Es war keine einfache Reise, denn man musste abseits der Strassen fahren. Was mich am meisten beeindruckte, waren all die Menschen, die uns in der Klinik ihre freiwillige Hilfe anboten. Während wir dort waren, wurden auch einige Kriegsverletzte mit Motorrädern zu uns gebracht.
Eine Frau im Alter von ungefähr 30 Jahren kam zu uns, nachdem ihr Dort angegriffen worden war – sie hatte 12 Stunden vor ihrer Ankunft in der Klinik einen Bauchschuss erlitten. Sie war sehr geschwächt, aber immer noch bei Bewusstsein. Je länger es bis zur Behandlung dauert, desto höher ist das Risiko für Entzündungen und Komplikationen. Glücklicherweise konnten wir sie und weitere Patienten gemeinsam mit einem Arzt in das Spital in Bossangoa überweisen.

Was sind in Zukunft die grössten Herausforderungen für die Menschen?

Ich mache mir grosse Sorgen um die psychische Gesundheit der Menschen hier: Hunderttausenden von ihnen mussten schreckliche Dinge miterleben, haben Familienmitglieder und Freunde verloren oder sind in die Wälder oder Nachbarländer geflohen.
Sobald die Regenzeit einsetzt, werden ausserdem die Fälle von Malaria dramatisch zunehmen, und auch die Mangelernährung ist besorgniserregend. Wenn Menschen vertrieben werden, können sie nicht mehr auf ihren Feldern arbeiten – ausserdem wurden viele Teile des Landes vorsätzlich zerstört oder niedergebrannt.
Abgesehen davon gibt es noch diejenigen, die trotz der vielen Gefahren eine Flucht aus der Zentralafrikanischen Republik in den Tschad oder nach Kamerun geschafft haben. MSF versucht, sie dort ebenfalls zu versorgen. Doch auch wenn sie momentan an einem sicheren Ort sind, brennen die grossen Fragen: Wo sollen sie arbeiten? Welche Schule können ihre Kinder besuchen? Wie wird es ihnen in einem Land ergehen, das nicht ihre Heimat ist?

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