Nargis - Die Situation ein Jahr nach dem Wirbelsturm - Häuser wieder aufgebaut - doch die seelischen Wunden heilen langsamer

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Am 2. Mai vergangenen Jahres schlug der Zyklon Nargis im Süden von Myanmar (Burma) eine Schneise der Verwüstung. 140’000 Tote und Vermisste sowie ein unvorstellbares Ausmass an Zerstörung waren die Bilanz dieser Katastrophe. Um den Überlebenden zu helfen, ihren Schmerz und ihr Leid zu überwinden, haben Teams von MSF die Bevölkerung im Irrawaddy-Delta in den letzten zehn Monaten psychologisch unterstützt.

Ein Jahr nachdem der Wirbelsturm Nargis verheerende Schäden im Irrawaddy-Delta angerichtet hatte, sind die Aufbauarbeiten dank der Bemühungen einer Vielzahl nationaler und internationaler Vertretungen in vollem Gange. Die erste Zeit des Notstands ist überwunden und man konzentriert sich nun darauf, den Menschen ein neues Dach über dem Kopf zu geben und ihre Lebensgrundlage, insbesondere die Landwirtschaft und Fischerei, wiederherzustellen. Und doch wird es noch viele Jahre dauern, bis sich die Situation in den überwiegend ländlichen Gebieten an der südlichen Spitze von Myanmar wieder normalisiert hat.
Zwar schwimmen keine Leichen mehr in den unzähligen Flussarmen des Andamanischen Meeres, aber die Erinnerung an das schreckliche Ereignis, das am 2. Mai letzten Jahres 140’000 Menschen das Leben kostete, verfolgt die zwei Millionen Überlebenden noch heute. Sie hatten bei dem Unglück ihre Freunde und Verwandte verloren. Um diesem unsichtbaren Leiden zu begegnen, kümmerte sich MSF in den letzten zehn Monaten um psychologische Unterstützung für die Menschen im Delta.
Innerhalb von 48 Stunden nachdem der Wirbelsturm über Myanmar hereingebrochen war, starteten die Teams von MSF zu ihrem Einsatz: Dutzende von Helfern wurden in das Delta entsandt, wo sie tonnenweise Hilfsgüter verteilten und medizinische Betreuung leisteten. In den darauffolgenden Wochen wurden drei Spezialisten für psychische Störungen in das Katastrophengebiet entsandt, um eine Einschätzung der dortigen Situation vorzunehmen. Laut ihren Berichten hatten die betroffenen Menschen „auf Autopilot“ geschaltet, um ihren Alltag zu bewältigen und ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Darüber hinaus wurden typische Reaktionen wie Schlafstörungen, Alpträume und Angstzustände, besonders in Hinblick auf die Zukunft, festgestellt. Viele Menschen waren nicht einfach nur durch das, was geschehen war, hochgradig traumatisiert, sondern hatten zudem noch den Verlust von Familienangehörigen zu beklagen.

Gesprächsgruppen und Einzelberatung

Im Zeitraum von August 2008 bis März 2009 ermöglichten Berater von MSF 56’000 Opfern des Wirbelsturms Nargis die Teilnahme an einer Gesprächsgruppe. Diese Methode stärkt die natürlichen Fähigkeiten ein traumatisches Ereignis zu verarbeiten. Die Berater führten ebenfalls mehr als 3’100 Einzelsitzungen mit schwer traumatisierten Menschen bzw. mit Menschen, die um ein Gespräch baten, um über ihre Gedanken und Gefühle zu sprechen, durch.
Weiterhin initiierte MSF ein Schulungsprogramm für ortsansässige Berater mit dem Schwerpunkt psychosoziale und psychologische Hilfe. Im Juli und August 2008 wurden so dreizehn Personen geschult, die bald ihre Arbeit in einem der am schlimmsten betroffenen Gebiete im Delta, in der Nähe der Stadt Setsan, aufnehmen konnten.
In der Zwischenzeit schulten internationale Spezialisten für psychische Störungen von MSF medizinisches Personal auch hinsichtlich der psychologischen Auswirkungen traumatischer Erfahrungen, in der Erkennung seelischer Leiden und dem grundlegenden Umgang mit diesen Fällen.
„Die grösste Herausforderung bestand darin, dass in Myanmar seelischen Störungen kaum Aufmerksamkeit gewidmet wird und wir sehr sensibel und vorsichtig vorgehen mussten, um unsere Arbeit zu erklären bzw. unsere Ziele zu verdeutlichen. Ein wichtiger Faktor in der von uns geleisteten psychologischen Ausbildung und der Methode, mit psychischen Störungen umzugehen, war die Integrierung vorhandener Strukturen (Unterstützung seitens gesellschaftlicher und religiöser Organe) in unsere praktische Arbeit,“ erzählt Dr. Sylvia Wamser, klinische Psychologin und Psychotherapeutin bei MSF, die das Projekt zur Behandlung psychischer Störungen in Setsan ins Leben gerufen und geleitet hat.

Mögliche Reaktionen zum Jahrestag der Katastrophe

Ende 2008 konnten die Mitarbeitenden von MSF eine Verschiebung bei den vorwiegend auftretenden Symptomen von posttraumatischem Stress hin zu Angstsymptomen feststellen. Hier könnte ein Zusammenhang mit der allgegenwärtigen Sorge vor möglichen weiteren Wirbelstürmen bestanden haben. Mit dem herannahenden Jahrestag der Katastrophe kristallisierte sich dann die Notwendigkeit heraus, dies zu thematisieren und der Bevölkerung zu erklären, dass die von Nargis geschlagenen alten Wunden wieder aufbrechen könnten. „Diese Reaktion ist typisch für Opfer traumatischer Ereignisse, die ihre Erfahrungen noch nicht ganz verarbeitet haben und so erneut durch isolierte Stressfaktoren traumatisiert werden“, erklärt Dr. Sylvia Wamser. Die Teams von MSF haben unlängst Tausende gedruckter Faltblätter mit Informationen über die Vorbereitung bei drohenden Katastrophen und mögliche Reaktionen am Jahrestag verteilt und diese Punkte auch in Gruppensitzungen im Rahmen der psychologischen Betreuung diskutiert.
„Psychologische Unterstützung muss ein fester Bestanteil von Noteinsätzen sein und im Falle von Naturkatastrophen bereits frühzeitig eingeleitet werden. Wir hoffen, dass die Menschen ihre Reaktionen nun besser verstehen bzw. damit umgehen können und in der Lage sind, ihre eigenen Hilfsquellen anzuzapfen“, resümiert Jean-Sébastien Matte, Programmverantwortlicher für Myanmar bei MSF.

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