Mittelmeer: „Das sind keine Fälle oder Zahlen, das sind Menschen!“

Muhammed (au premier plan) a quitté l’Afghanistan il y a un peu plus d'un mois.

3 Min.

Auch heuer wieder riskieren tausende Menschen auf der gefährlichen Route über das Mittelmeer ihr Leben, um Europa zu erreichen.

Sie fliehen vor Krieg, Gewalt und Armut in ihren Heimatländern auf der Suche nach Sicherheit und einem besseren Leben. Médecins Sans Frontières/ Ärzte ohne Grenzen (MSF) ist momentan mit drei Rettungsschiffen im Mittelmeer im Einsatz, um Bootsflüchtlinge in Seenot zu helfen und sie medizinisch zu versorgen.
Das Rettungsschiff Bourbon Argos ist seit dem 7. Mai 2015 im Einsatz. Alleine im Monat Juni konnten 1.057 Menschen gerettet werden. Sie stammen aus der Subsahara-Region aber auch aus Ländern wie Nigeria, Syrien, Marokko, Guinea, der Elfenbeinküste, Bangladesch, Gabon, Senegal und Mali. Einige von ihnen berichten, dass sie bisher in Libyen lebten, bis sie die Gewalt erneut zur Flucht zwang – so auch Idowy aus Nigeria.

Idowys Geschichte: “Ich muss meine Kinder beschützen.”

„Mein Name ist Idowy und das sind meine Kinder. Wir kommen aus Nigeria, aber wir haben vier Jahre lang in Libyen gelebt. Wir hatten ein normales Leben, wir arbeiteten und lebten zusammen. Eines Tages waren wir in unserem Haus und ein paar bewaffnete Männer kamen. Sie bedrohten uns und nahmen meinen Mann mit. Sie versuchten, mich zu töten. Schlussendlich liessen von mir und meinen Kindern ab, aber wir konnten nicht mehr in Ruhe leben. Wir mussten uns verstecken. Wir versteckten uns die ganze Zeit und konnten das Haus nicht mehr verlassen. Die Männer kamen zurück und wir hatten grosse Angst. Wir mussten weggehen.
Wir gingen zur Küste, um auf eines der Boote zu kommen. Ich habe meine Kinder und ich muss sie beschützen. Ich wusste, wenn wir weggingen, würde ich wieder in Frieden leben können. Deshalb nahm ich meine Kinder und wir liefen davon. Ich weiss nicht mehr, wo wir wirklich hinwollten, aber ich glaubte fest daran, dass wir frei sein würden, sobald wir eines der Boote bestiegen. Ich würde sicher sein vor all den Drohungen, den Waffen… Ich danke Gott, dass wir noch am Leben sind, ich und meine Kinder. Ich bin sehr glücklich."
Der “kleine Yazef” ist eines der Kinder von Idowy – sie nennt ihn von nun an Joshua. Der Dreijährige war der erste, der beim Rettungseinsatz der Bourbon Argus an Bord des Schiffes kam. „Ich habe ihn aufgrund seines Lächelns sofort ins Herz geschlossen. Er war sehr vertrauensvoll, ich hielt ihn in meinem Arm und er blieb dort, bis er einschlief. Er liebte unsere Funkgeräte und unsere Helme über alles, er konnte nicht aufhören damit zu spielen“, berichtet unsere norwegische Krankenschwester Tine. „Bevor ich an Bord dieses Schiffes kam, war ich darauf vorbereitet, Notfälle von der technischen Seite her zu betrachten. Doch als diese Leute an Bord kamen – besonders dieser kleine Junge, der mich so viel umarmte – wurde mir klar, dass es einfach Menschen sind, genau wie wir. Sie lachen und reden und haben jede Menge Qualitäten, nichts unterscheidet sie von uns. Doch in nur wenigen Minuten könnten sie auf dem Meeresgrund landen.“
An Bord der Bourbon Argus war Joshua nicht alleine: Neben der Crew von MSF und seinen Schwestern gab es noch weitere Kleinkinder. Sie wurden rasch Freunde und spielten während der langen Reise nach Europa miteinander. „Es war sehr berührend, all diese Kinder zu sehen, die lachenden Menschen, die alle so nett zu uns sind und immer mithelfen wollen. Ich war völlig überfordert, als sie alle an Bord kamen, es wurde plötzlich so real, ich hatte das nicht erwartet“, erzählt Tine weiter. „Ein Freund sagte zu mir: ‚Ja, es ist schrecklich, all diese grossen Zahlen, doch in Wahrheit sind wir ständig damit konfrontiert, und dann stumpfen wir einfach ab.‘ Doch wenn du hier bist, verstehst du, dass es nicht einfach nur Zahlen sind. Das sind nicht nur medizinische Fälle. Das sind Menschen! Deshalb kann ich mich glücklich schätzen, hier an Bord zu sein.“

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