Mit dem nahenden Winter spitzt sich die Lage der Flüchtlinge auf dem Balkan zu

Migrants: «Des conditions de transit sûres et appropriées, adaptées aux basses températures, doivent être garanties dès maintenant.»

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Der bevorstehende Winter und Engpässe bei der Durchreise gefährden die Gesundheit von tausenden Flüchtlingen und Migranten auf dem Balkan.

Tausende Menschen sind wegen Engpässen an den Grenzübergängen und Registrierstellen auf dem Balkan gestrandet. Dort sind sie prekären Bedingungen ausgesetzt und erhalten dennoch kaum Unterstützung. Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) warnt, dass der bevorstehende Winter für tausende schwangere Frauen, Kinder und ältere Menschen verheerende gesundheitliche Auswirkungen haben wird, sofern nicht dringend die notwendigen Massnahmen getroffen werden.
Besonders prekär war die Lage jüngst in der Stadt Preševo, nahe der mazedonischen Grenze, wo im Schnitt täglich gegen 5’000 Personen eintreffen. Die meisten von ihnen landen in einer Warteschlange vor den Registrierstellen, wo sie selbst bei starkem Regen mehrere Tage ausharren müssen und kaum Zugang zu Nahrung, Wasser, Obdach und Toiletten haben. «In den vergangenen Wochen behandelten wir mehrmals Kleinkinder wegen Unterkühlung», berichtet Dr. Alberto Martinez Polis, der Leiter der medizinischen Aktivitäten von MSF in Serbien. «Sie hatten mehrere Stunden am Stück in der Schlange gewartet, waren durchnässt und zitterten vor Kälte. Sie können sich nirgends aufwärmen, trocknen oder ihre Kleider wechseln.»

Täglich über 400 Patienten

«Letzte Woche versorgten wir auch zehn Patienten, die zusammengebrochen waren», fährt Martinez Polis fort. «In einigen Fällen war es auf das Gedränge in der Menge zurückzuführen, aber auch weil die Menschen seit Tagen nicht mehr richtig gegessen, getrunken oder geschlafen hatten. Menschen erzählen unseren Ärzten, dass sie sich nicht getrauen, die Schlange zu verlassen aus Angst, ihre Familie oder ihren Platz in der Schlange zu verlieren. Andere sind allmählich am Ende ihrer Kräfte angelangt, was sich auch körperlich auswirken kann. Besonders bei einem Patienten hätte es kritisch werden können; er erbrach sich, reagierte nicht mehr und verlor das Bewusstsein.»
Die medizinischen MSF-Teams in Serbien behandeln täglich über 400 Patienten – die Zahlen haben in den vergangenen Wochen parallel zu den Flüchtlingsströmen massiv zugenommen. Die meisten müssen wegen Beschwerden wie Husten, Erkältungen, Grippe, Magen-Darm-Beschwerden oder Hautproblemen versorgt werden, die häufig auf die Reisestrapazen zurückzuführen sind. Andere benötigen Behandlungen wegen chronischer Beschwerden wie Diabetes, Asthma oder Herzproblemen, die während der Reise vernachlässigt worden waren und sich verschlimmert hatten. Vergangene Woche hatten es unsere Teams aber auch mit Patienten mit Krebs, einem Lymphom und einem angeborenen Herzfehler zu tun, bei denen weiterführende Behandlungen erforderlich waren.

MSF stockt Personal und Vorräte auf

«Zu unseren Patienten gehören Babys, die gerade mal zwei Wochen alt sind, ältere Menschen und Frauen in fortgeschrittener Schwangerschaft, die bereits erschöpft und geschwächt sind, wenn sie Serbien erreichen», sagt Stephane Moissaing, MSF-Einsatzleiter in Serbien. «Dass sie bei ihrer Ankunft kaum Hilfe erhalten, hat ernsthafte Folgen. Wir sind sehr besorgt, dass sich die Lage im Winter weiter zuspitzt. Schon jetzt überqueren täglich mehr Menschen die Grenze nach Serbien, als es Orte gibt, wo sie aufgenommen werden können. Ein paar Tage mit Blockaden oder Verzögerungen reichen, damit tausende Menschen festsitzen. Sofern die Hilfe nicht massiv aufgestockt wird, könnten diesen Winter tausende Menschen lebensbedrohlichen Bedingungen ausgesetzt sein.»
Die Winter in Serbien sind sehr kalt, die Temperaturen können bis auf minus 15 Grad fallen. Im vergangenen Jahr behandelten die MSF-Teams in Serbien zwei Personen mit schweren Erfrierungen. Ein Patient verlor in der Folge einen Teil seines Fusses, bei anderen lösten sich Hautschichten, als sie ihre Kleidung auszogen. Obschon ungewiss ist, wie viele Menschen diesen Winter die Balkanroute nehmen werden, bereitet sich MSF auf eine hohe Zahl Patienten vor. Dazu wird zusätzliches medizinisches Personal eingestellt und die Vorräte an Zelten, Decken, Winterkleidung und Regenschütze werden aufgestockt. Auch die Hygienebedingungen verschlechtern sich im Winter, weil es keine Orte gibt, wo die Menschen sich selbst und ihre Kleider waschen können. Die Folge können Hauterkrankungen und Läuse sein, weshalb das MSF-Team auch Hygiene-Sets vorbereitet.

«Nicht so lange warten, bis etwas Dramatisches passiert»

«Obschon sich die Organisation des Durchreiseverkehrs durch Mazedonien und Serbien seit Juli positiv ausgewirkt hat, sind weiterhin tausende Menschen bei ihrer Reise durch den Balkan unnötigem Leiden ausgesetzt», betont Aurélie Ponthieu, humanitäre Beraterin bei MSF. «Der Mangel an grundlegenden Dienstleistungen hat schon jetzt gesundheitliche Auswirkungen. Werden an den Registrierungs- und Durchreisestellen nicht bald angemessene Unterkünfte, warmes Essen und Hygieneeinrichtungen zur Verfügung gestellt, wird sich die Lage im Winter weiter verschärfen. Wir können nicht so lange warten, bis etwas Dramatisches passiert. Es müssen jetzt sichere und angemessene Durchreisebedingungen gewährleistet werden.»

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