Minderwertige Nahrungsmittelhilfe für Kinder: eine Doppelmoral, die nicht hinnehmbar ist!

En 2010, MSF-Suisse aura apporté des soins à plus de 45,000 enfants souffrant de malnutrition.

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Wir schreiben das Jahr 1993 und befinden uns in Mogadischu, der zerstörten Hauptstadt Somalias. Tag für Tag rühren die MSF-Teams ihre Mischung aus Milchpulver, wichtigen Nährstoffen und Wasser an, mit denen die mangelernährten Kinder wieder aufgepäppelt werden. Ab und zu gibt es ein Lächeln, dazwischen viel Frust und Arbeit. Die Dosierung ist nicht sehr genau, die Sterblichkeit hoch. Fünf Jahre später in Burundi ist die Behandlung endlich genau kalibriert, und die Teams schaffen es, den Grossteil der Kinder, die in unser Ernährungszentrum kommen, zu retten.

Heute verfügen wir im Niger, im Tschad und im Sudan dank innovativer Strategien und neuer Präparate über viel höhere Kapazitäten. So konnte MSF dieses Jahr in den drei Ländern mehr als 45'000 mangelernährte Kinder behandeln. Die neue Strategie ist nicht nur wirksamer, sondern auch „sanfter“, da die mangelernährten Kinder, die keine Begleiterkrankungen aufweisen, zu Hause bei ihren Familien gepflegt werden können.

Innerhalb der letzten zwanzig Jahre war ich Zeuge grosser technischer Fortschritte, welche die Tätigkeit der medizinischen Hilfsteams rund um den Globus verändert haben. Dennoch sterben heute immer noch jedes Jahr zwischen zwei und fünf Millionen Kinder an Mangelernährung, und nur ein ganz kleiner Teil der am schwersten mangelernährten Kinder erhält eine angemessene Behandlung. Die Nahrungsmittelhilfe, die anlässlich von Krisen organisiert wird und an der auch die Schweiz beteiligt ist, reicht für die Ernährungsbedürfnisse der Kleinsten nicht aus. Ohne tierische Eiweisse und wichtige Nährstoffe ist die gesunde Entwicklung von Kleinkindern unter zwei Jahren nicht gewährleistet. Eine ungeeignete Ergänzungsnahrung kann sogar Ursache einer Mangelernährung sein.

Obwohl sich die wissenschaftliche Gemeinschaft einig ist, finanzieren diejenigen Staaten, die am meisten zur internationalen Hilfe beitragen, weiterhin eine minderwertige Nahrung. Das war nicht immer so. 1966 nahm die amerikanische Regierung mit Milch angereichertes Getreidemehl in die Nahrungsmittelhilfe auf, ähnlich demjenigen, das in der Sozialhilfe für amerikanische Kinder eingesetzt wurde. Die Geberländer haben ihre Hilfe jedoch zu oft missbraucht, um ihre Überschüsse abzubauen und aussenpolitische Interessen zu verfolgen. Der Beweis: Milch wurde Ende der 1980er Jahre, als die Milchschwemme nachliess, als Bestandteil des angereicherten Mehls aufgegeben. Die tierischen Eiweisse wurden damals durch pflanzliche ersetzt, die nicht denselben Nährwert haben. So wurde das Wohl der Kinder den Interessen der dominierenden Agrarwirtschaft geopfert, während die Länder in den heimischen Programmen für Kleinkinder weiterhin auf tierische Eiweisse setzten. Eine Doppelmoral, die nicht hinnehmbar ist!

Unter dem Druck der südlichen Staaten und der Welthandelsorganisation begann der Grossteil der Geberländer, mit der auffälligen Ausnahme der Vereinigten Staaten und Japans, ihre internationale Nahrungsmittelhilfe von ihren Agrarinteressen zu entkoppeln. Hilfsprogramme werden immer öfter als Finanzhilfen formuliert, so dass mehr Freiheit besteht, die Nahrung da zu kaufen, wo sie am geeignetsten ist, wie dies auch das Welternährungsprogramm vermehrt tut. Für uns hat sich jedoch kaum etwas verändert: Der Grossteil der internationalen Nahrungsmittelhilfe für Kleinkinder geht am Ziel vorbei, trotz bestehender Alternativen. Die Nahrungsergänzungen der neusten Generation zum Beispiel sind gebrauchsfertige Pasten auf der Basis von Milch und wichtigen Nährstoffen, die sehr viel Energie enthalten und überall einsetzbar sind.

Angesichts der beschwichtigenden Diskussionen um die Millenniumsziele und der lauen Erklärungen führender Politiker zum jüngsten Welternährungstag stellt sich die dringende Frage, wie wir uns weiterhin mit den alten, minderwertigen Nahrungsergänzungsrezepturen begnügen können und dabei die Doppelmoral gegenüber den Bedürftigsten aufrechterhalten.

Ein breiterer Zugang zu geeigneter Ergänzungsnahrung für mehr Kinder ist nur möglich, wenn wir uns politisch, wirtschaftlich und finanziell massiv mobilisieren, um die Qualität der Hilfe zu verbessern, die Kosten zu verringern und die lokalen Herstellungskapazitäten dort zu fördern, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Solange sich die internationale Nahrungsmittelhilfe nicht auf die spezifischen Bedürfnisse der Kleinsten einstellt, bleibt sie völlig ungenügend. Die Schweiz, die Vereinigten Staaten, die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Kanada, Japan und Australien müssen ihre Praxis ändern. Wir wenden uns heute mit einem Schreiben an diese Staaten und bitten sie erneut darum: Unterstützen Sie uns und unterschreiben Sie die Petition www.starvedforattention.org

Christian Captier
Generaldirektor MSF Schweiz

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