Gaza: Eine Nacht im Al-Shifa-Spital

Au bloc, la plupart des cas sont très graves.

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Mehrere Schwerverletzte, eine überfüllte Notaufnahme, immer wieder Bombenangriffe – die Mitglieder des MSF-Notfallteams haben alle Hände voll zu tun.

22. Juli 2014, 8:00 Uhr: Das Team von Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) kehrt aus dem Spital Al-Shifa im Zentrum von Gaza-Stadt zurück. Während der ganzen Nacht sind Verwundete in der Notaufnahme eingelangt – viele von ihnen wurden vom Al-Aqsa Spital überwiesen, das am Vortag bombardiert worden war.
„Das wird eine anstrengende Nacht”, sagt Alaa, ein Fahrer von MSF, als am 21. Juli die Sonne gerade untergeht. Nur wenige Kilometer von der Unterkunft von MSF entfernt explodieren Bomben, abgefeuert von israelischen Panzern und Marineschiffen. Das chirurgische Team macht sich auf den Weg in das Al-Shifa-Spital, wo sich das medizinische Personal bereits auf einen grossen Ansturm Verletzter vorbereitet.
„Ich habe auf der Intensivstation zwei neue Patienten in der Abteilung für Verbrennungen versorgt“, berichtete Anästhesistin Adriana, die kürzlich zum Notfallteam von MSF in Gaza dazu gestossen ist. „Eine davon war eine junge Mutter. Sie war unter dem Schutt ihres eingestürzten Hauses zwölf Stunden lang begraben. Sie hat ihre Tochter und zehn weitere Familienmitglieder dort verloren. Wir haben alles getan, was wir konnten, um sie zu retten – doch sie verstarb heute früh.“

Komplizierte Wunden durch Granatsplitter

Der zweite Patient von Adriana war ein zehnjähriger Bub. „Der kleine Junge hat seinen Vater verloren. Seine Mutter war bei ihm. Eine Bombe traf ihr Haus, das daraufhin einstürzte. Er hatte Verbrennungen, Quetschungen und Traumata und hunderte kleine Wunden von explodierenden Granaten, verteilt über den ganzen Körper.“
Nach der Operation wurde das Kind in die Abteilung für Verbrennungen im Al-Shifa-Spital überwiesen. Eine kleine Wunde auf seinem Bauch machte Kelly, der zweiten Anästhesistin im Notfallteam von MSF, besondere Sorgen. „Es handelte sich um einen kleinen Schnitt im Bauch, der einfach nicht zu bluten aufhörte“, erklärt sie. „Ich liess einen Ultraschall von seinem Unterleib machen – darauf sahen wir dann, dass er interne Blutungen hatte. Die Bombensplitter hatten sieben Löcher in seinen Dünndarm gerissen.“ Adriana fügt hinzu: „Kelly hat sein Leben gerettet.“

Patienten aus bombardiertem Spital überwiesen

Cosimo, ein Chirurg von MSF, hat gerade eine Kugel aus der Herzader einer 20-jährigen Frau entfernt. „Die anderen beiden Patienten, die ich vergangene Nacht operiert habe, hatten Wunden am Oberkörper von Explosionen in ihrer Nähe.“ Viele der Verwundeten, die im Al-Shifa-Spital ankommen, wurden vom Krankenhaus in Al-Aqsa überwiesen, das an diesem Tag bombardiert worden war.
„Ein 20-jähriger Mann wurde gerade im Al-Aqsa-Spital behandelt, als die Bombe einschlug“, so Kelly. „Er wurde in die Notaufnahme des Al-Shifa-Spitals gebracht. Wir mussten seine beiden Beine unterhalb der Knie amputieren. Die Operation dauerte fast drei Stunden.“
Die meisten der Patienten im Operationssaal haben schwere Verletzungen, für deren Behandlung mehrere Chirurgen notwendig sind. „Gestern hatten wir mindestens zwei neurochirurgische Fälle“, sagt Kelly. Doch manchmal ist es schon zu spät, um die Patienten zu retten, wenn sie den Operationssaal erreichen. „Ein achtjähriges Mädchen wurde hereingebracht. Sie hatte beide Beine bei einer Explosion verloren und litt unter mehreren Traumata, darunter auch ein Schädeltrauma. Wir konnten nichts tun, ausser ihre Schmerzen zu lindern“, so Adriana. Die Notaufnahme ist überfüllt mit leicht verletzten Kindern. Laut Cosimo sind rund 30 Prozent der aufgenommen Fälle im Spital Kinder.

Mehrere Schwerverletzte gleichzeitig

In dieser Nacht kommen die Verwundeten zu dritt, viert oder fünft auf die Intensivstation. Der erste Patient, der gebracht wird, kommt aus dem Stadtteil Schedschaia, der immer noch bombardiert wird. Die letzte Gruppe, die vom MSF-Team behandelt worden war, kam aus der Gegend des Al-Aqsa-Spitals. Mindestens fünf der Patienten werden die Nacht nicht überstehen.
In den frühen Morgenstunden findet in der Nähe ein Luftangriff statt. „Die gesamte Abteilung für Verbrennungen erzitterte, als wäre es ein Erdbeben“, erzählt ein Teammitglied von MSF.
Um 8:00 Uhr morgens verlässt das Team das Spital und kehrt in die Büroräume der Organisation zurück. Nacheinander erzählt jedes Teammitglied mit einer Tasse Kaffee in der Hand seine Erlebnisse während der Nacht. Die anderen lauschen betroffen den grausigen Berichten. Laut den Vereinten Nationen wurden bei den Bombenangriffen in dieser Nacht mehr als zehn Menschen getötet und 130 verwundet. Nach dem, was das Team in der vergangenen Nacht im Al-Shifa-Spital erlebt hat, sind sich alle einig: Diese Zahlen klingen zu niedrig.

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