Den Teufelskreis der Angst durchbrechen

Zona 18: l’un des quartiers les plus violents de Guatemala City.

3 Min.

Guatemala zählt zu den Ländern, die am stärksten von innerstaatlicher Gewalt betroffen sind. MSF behandeln in der Hauptstadt die Opfer sexueller Gewalt. Ein Verbrechen, das zunehmend zur Geissel der guatemaltekischen Bevölkerung wird.

„Die grösste Veränderung ist für mich, dass ich nun ständig Angst habe. Vorher fürchtete ich mich auch, doch jetzt kann ich nicht mal mehr alleine auf die Strasse gehen. Ich fürchte mich vor Menschen, die ich noch nie gesehen habe, und unbekannte Männer jagen mir Angst und Schrecken ein. Allein die Vorstellung, sie könnten mich berühren, versetzt mich in Panik.“
Maria wird niemals in ihrem Leben jenen Novembertag vergessen können. Nur fünf Häuserblöcke von ihrem Zuhause entfernt, sass sie an diesem Tag in einem Bus, als plötzlich ein schwarzes Auto die Strasse versperrte. Zwei maskierte Männer stiegen in den Bus und hielten Maria ein Gewehr an die Schläfen. „Sie zwangen mich, mit ihnen zu gehen, und verbanden mir die Augen“, erzählt Maria der MSF-Psychologin wenige Tage später. „Sie schafften mich an einen unbekannten Ort und schlugen zu siebt auf mich ein. Danach fingen sie an, mich zu vergewaltigen.“
Maria, die das sexuelle Gewaltverbrechen überlebt hat, ist längst nicht das einzige Opfer der im Land herrschenden Gewalt. Schätzungen zufolge werden in Guatemala jährlich an die 10’000 Frauen und Männer vergewaltigt. Doch obwohl das zentralamerikanische Land die höchste Gewaltquote der Welt aufweist, erhalten die Opfer wenig adäquate Versorgung und Hilfe. MSF hat deshalb im Jahr 2007 ein Programm gestartet, in dessen Rahmen die Hilfsorganisation monatlich 100 neue Patienten medizinisch und psychologisch versorgt. Das MSF-Team von Guatemala-Stadt tut jedoch noch mehr: Mittels Aufklärungs- und Informationskampagnen macht es den Behörden, der Ärztegemeinschaft und der Öffentlichkeit in Guatemala deutlich, dass sexuelle Gewalt auch ein medizinischer Notfall ist.
In den vergangenen Jahren haben Kriminalität und Gewalt in Guatemala sichtlich zugenommen. Bereits Anfang 2009 belief sich die Zahl der ermordeten Personen auf täglich 20 Opfer. Dabei scheint der Grossteil der Gewaltverbrechen im Zusammenhang mit Bandenkriminalität zu stehen. Innerhalb von nur drei Monaten wurden beispielsweise 40 Busfahrer ermordet, deren Unternehmen nicht die geforderten Bestechungsgelder gezahlt hatten. Die meisten Morde geschehen in der Hauptstadt des Landes, Guatemala-Stadt.
„Wir haben einen 30-jährigen Bürgerkrieg durchlebt, doch der Konflikt wurde nicht gelöst und schwelt weiter“, erklärt Mayra Rodas, psychologische Koordinatorin von MSF in Guatemala. Die Opfer der Gewalttaten sind in den meisten Fällen Frauen. „Wir leben in einer machistischen und patriarchalisch geprägten Gesellschaft. Frauen werden hier als sexuelles Objekt behandelt, das zur freien Verfügung steht. Unsere Patienten berichten uns, was es bedeutet, eine Frau in Guatemala zu sein: nämlich wie Dreck behandelt zu werden.“
Und genauso gingen die sieben Männer mit der 17-jährigen Maria um. Sie entführten sie und demütigten und vergewaltigten sie. Nach einem Tag unfassbarer Grausamkeiten liessen die Männer ihr Opfer frei. „Vorher drohten sie mir aber an, meine Familie umzubringen, wenn ich Anzeige erstatten sollte“, sagt Marie leise. „Deshalb bin ich nicht zur Polizei gegangen.“
Der Arzt eines örtlichen Krankenhauses verwies Maria an das Programm von MSF. „Sie verabreichten mir sofort an die 15 Tabletten, die überhaupt nicht schmeckten. Und auch die Spritzen waren alles andere als angenehm“, erinnert sich die 17-Jährige. „Ich hatte grosse Angst, schwanger zu sein oder mich mit Aids infiziert zu haben. Dank Gottes Hilfe und der medizinischen Behandlung, die ich erhielt, waren jedoch alle Ergebnisse negativ.“

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