Cholera in Haiti: „Alle Spitäler in Port-au-Prince sind mit Patienten überfüllt”

Une fille veille sur un membre de sa famille atteint des symptômes du choléra dans un hôpital de Saint-Marc dirigé par le gouvernement haïtien où MSF traite les patients de l’épidémie de choléra, Haïti, 27.10.2010

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Die Cholera-Epidemie hat Port-au-Prince fest im Griff. Und während Teams von MSF in der ganzen Stadt die Einrichtungen auf 1’000 Betten aufstocken, sind sie bereits von der Anzahl der Fälle überwältigt. Der Choleraausbruch überschreitet bestehende Behandlungskapazitäten in der Hauptstadt. Einer der Landeskoordinatoren von MSF in Haiti, Stefano Zannini, beschreibt die Situation vor Ort für die Teams, die auf die Ausbreitung der Epidemie in Port-au-Prince reagieren.

„Die Situation ist für uns im Moment sehr beunruhigend. Alle Krankenhäuser in Port-au-Prince sind mit Patienten überfüllt und wir sehen siebenmal so viele Fälle wie wir drei Tage zuvor insgesamt hatten.

Im Armenviertel Cité Soleil im Norden der Stadt haben wir gestern 216 voneinander unabhängige Cholerafälle verzeichnet, während es fünf Tage zuvor insgesamt 30 Fälle waren. Die Patienten kommen von überall innerhalb der Stadt, aus Armenvierteln und wohlhabenderen Gegenden. Im Moment haben wir 400 Betten für die Stabilisierung und Rehabilitation der Patienten bereitgestellt und hoffen bis zum Ende der Woche auf 1’000 Betten zu erweitern. Aber wir sind sehr besorgt um Platz. Wenn die Anzahl der Fälle weiterhin in dieser Geschwindigkeit ansteigt, dann müssen wir drastische Massnahmen ergreifen, um in der Lage zu sein, Patienten zu behandeln. Wir müssten öffentliche Plätze und sogar Strassen nutzen. Ich kann mir leicht vorstellen, dass sich die Situation soweit verschlechtert, dass Patienten in den Strassen liegen und auf eine Behandlung warten. Im Moment haben wir einfach nicht viele Möglichkeiten.

Wir suchen alternative Orte, aber man darf nicht vergessen, wie die Situation in Port-au-Prince ist. Seit dem Erdbeben sind an jedem verfügbaren, nicht zerstörten Ort Lager entstanden, in denen die Menschen unter extrem prekären Bedingungen leben. Es ist eine grosse logistische Herausforderung, in dieser Stadt freien Platz zu finden. So ist es für uns sehr schwierig, Raum für die Behandlung der Patienten zu finden.

Im Moment arbeiten mehr als 100 internationale und mehr als 400 haitianische Mitarbeiter in Cholerabehandlungszentren im ganzen Land. Aber das reicht nicht aus.

Weitere medizinische Mitarbeiter kommen an, aber es besteht ein chronischer Mangel an Personal in Haiti und wir stossen an unsere Grenzen. Unsere Teams arbeiten 24 Stunden am Tag und Müdigkeit ist ein Thema geworden. Sie sind am Ende Ihrer Kräfte und von der Arbeitsbelastung sehr erschöpft. Es ist nicht einfach, in einem Cholerabehandlungszentrum zu arbeiten, mit dem Geruch, dem Lärm und dem Druck aufgrund der zahlreichen Patienten. Wir werden aber nicht aufhören, Behandlungen anzubieten.

Als Einsatzleiter bin ich sehr stolz auf die Leidenschaft und den Einsatz meines Teams in Port-au-Prince. Dennoch sind wir an einem kritischen Punkt angelangt. Es gibt in Haiti keine Erinnerung an frühere Choleraausbrüche und wenig Wissen über die Krankheit. Das bedeutet, dass es zahlreiche Missverständnisse und Gerüchte rund um die Krankheit gibt, was zu Panik in der Bevölkerung führt. Manche Menschen meiden die Umgebung von Cholera-Behandlungszentren oder haben Angst davor, ein solches in ihrer Nachbarschaft zu haben, da sie glauben, die Krankheit würde sich von dort aus verbreiten. Wir versuchen zu erklären, dass das Gegenteil der Fall ist: je näher das Behandlungszentrum, desto besser ist es für die Bevölkerung.

Wir versuchen der Bevölkerung zu vermitteln, dass die Cholera zwar tödlich sein kann, sie sich aber gut behandeln lässt. Es ist enorm wichtig, dass die Patienten so schnell wie möglich in den medizinischen Einrichtungen eintreffen und behandelt werden.

Cholera-Behandlungszentren, in denen Patienten isoliert werden können, sind für eine effektive Behandlung entscheidend. Die Ein- und Ausgänge werden kontrolliert, so dass jeder beim Betreten oder Verlassen des Zentrums desinfiziert wird, um eine weitere Verbreitung der Infektion zu verhindern. Je nach Anzahl Betten nimmt ein Behandlungszentrum eine Fläche von 50 Quadratmetern bis zu einem Hektar ein. Jeder Patient bekommt ein Bett und bleibt üblicherweise nicht länger als zwei Tage.

Ein weiteres Problem entsteht jedoch, wenn Menschen ihre Behandlung abgeschlossen haben, die Gesundheitseinrichtung verlassen und dann in ein von Cholera bedrohtes Gebiet zurückkehren. Hier in Port-au-Prince leben noch immer 1,4 Millionen Menschen in Lagern, in denen die Hygienebedingungen schlecht sind und es an Sanitäranlagen und sauberem Wasser mangelt. Diese 1,4 Millionen Menschen sind bei der Versorgung mit sauberem Wasser völlig von humanitären Hilfsorganisationen abhängig. Die Infrastruktur ist schwach und es ist schwierig, all die Menschen mit Wasser und medizinischer Hilfe zu versorgen.

Vor zwei Wochen war ich in Petite Riviere in der Region Artibonite, wo der Cholera-Ausbruch seinen Ursprung hatte, und besuchte unser Krankenhaus und das Cholera-Behandlungszentrum. Menschen wurden in unsere Gesundheitseinrichtungen gebracht, viele weinten, manche schrieen. Panik hat sich in der ganzen Stadt breit gemacht, weil Cholera etwas völlig Unbekanntes für die Bewohner war.

Als einer der traurigsten Momente ist mir im Gedächtnis geblieben, wie ein 10- bis 12-jähriges Kind seine Mutter in unser Cholera-Behandlungszentrum brachte. Das Kind sass neben seiner Mutter und wartete darauf, dass sie behandelt wurde. Normalerweise bringen die Mütter und Väter ihre Kinder ins Krankenhaus, aber hier sind es oftmals die Kinder, die ihren Eltern helfen.“

Seit die Choleraepidemie zum ersten Mal im Oktober in der Region Artibonite bestätigt wurde, haben Teams von MSF landesweit mehr als 10’000 Verdachtsfälle behandelt. Zusätzlich zu den 3’000 Mitarbeitern von MSF in Haiti sind mehr als 100 internationale und 400 nationale Mitarbeiter zur Bekämpfung der Choleraepidemie im Einsatz. MSF unterstützt zwei Krankenhäuser des haitianischen Gesundheitsministeriums in der Region Artibonite, in der der Choleraausbruch entstanden ist. Ausserdem werden zwei Gesundheitskliniken in den ausserhalb gelegenen Gebieten im Norden und im Zentrum des Landes – in Orten wie Gros Morne – von MSF unter anderem mit Infusionsflüssigkeiten, Kathetern, Rehydrationssalzen, und Hygienematerialien versorgt. Das Krankenhaus in der weit im Norden gelegenen Stadt  Port de Paix wurde ebenso mit Material beliefert und ein weiteres Team behandelt Verdachtsfälle im hohen Norden bei Cap Haitien. Zusätzlich unterstützt MSF die Cholerabehandlungszentren in Gonaives und Gros Morne. Ein Cholera-Behandlunszentrum mit 20 Betten ist in Leogane aufgebaut worden, wo MSF bereits ein Krankenhaus betreibt.

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