Ansturm von Schwerverletzten auf das Krankenhaus von Vavuniya

Hôpital Vavuniya, Sri Lanka, 01.01.2007

5 Min.

Interview mit MSF-Chirurg Paul McMaster

Paul McMaster arbeitet gemeinsam mit einem weiteren Chirurgen von MSF und Mitarbeitern der srilankischen Gesundheitsbehörden im Krankenhaus von Vavuniya im Norden Sri Lankas, um verletzte Zivilisten aus der Konfliktregion Vanni zu behandeln. In den vergangenen Tagen sind ungefähr 60’000 Menschen aus der schwer umkämpften Region entkommen, zahlreiche Verwundete wurden mit Bussen in das Vavuniya-Krankenhaus gebracht. Am 20. und 21. April behandelte das MSF-Team innerhalb von 36 Stunden 400 Patienten, fast doppelt so viele wie in der vorangegangenen Woche. Für die kommenden Tage zeichnet sich laut Dr. McMaster keine Besserung der Situation ab.

Wie ist die Situation im Kranknhaus?

Wir und unsere srilankischen Kolleginnen und Kollegen waren in den vergangenen Tagen mit sehr schwer verletzten Patienten aus dem nördlich von uns gelegenen Konfliktgebiet konfrontiert. In den letzten drei oder vier Tagen ist die Zahl der Patienten rapide angestiegen, wir sehen einen Strom von Schwerverletzten im Krankenhaus ankommen.
Unser Krankenhaus hat ungefähr 450 Betten, und derzeit haben wir mehr als 1’700 Patienten. Sie liegen am Boden, in den Gängen, und sogar im Freien. Das Krankenhaus ist sehr knapp an der Grenze zur Überlastung.

In welchem Zustand kommen die Patienten an?

Ungefähr dreiviertel der Patienten haben Verletzungen von Explosionen, die Anderen haben Schussverletzungen oder Verletzungen durch Minen erlitten. Natürlich sehen wir nur jene, die überlebt und es bis ins Krankenhaus geschafft haben. Wir sehen viele Unterleibsverletzungen, viele Menschen mit Verletzungen im Brust- und Kopfbereich haben es vermutlich nicht bis zu uns geschafft und sind daran gestorben.
Wir führen häufig Amputationen durch. Viele der Patienten haben sehr, sehr schwere Verletzungen an den unteren Gliedmaßen. Oft müssen wir abdominale Eingriffe vornehmen, um innere Verletzungen zu behandeln. In den Bussen, die die Menschen zu uns bringen, sterben immer wieder Menschen.

Befinden sich unter den Schwerverletzten auch viele Frauen oder Kinder?

Wir sehen viele schwer verletzte Männer, aber auch eine große Anzahl an Frauen und Kinder. Wir führen Amputationen bei Kindern durch, ebenso wie Eingriffe zur Behandlung innerer Verletzungen. Manchmal operieren wir Vater, Mutter und Kind von ein und derselben Familie, die bei einer Explosion verletzt wurden. Manchmal ist die ganze Familie verwundet.
Ich habe bei einer jungen, stillenden Frau von ungefähr 19 Jahren eine Beinamputation durchführen müssen. Ich frage mich, was die Zukunft für sie und ihr Kind bringen wird. Wir sehen Kinder, die ohne ihre Eltern kommen. Wir hatten einen kleinen Bub, der bei einer Explosion sein Bein verloren hat. Er war ungefähr fünf Jahre alt, sein siebenjähriger Bruder hat sich um ihn gekümmert, und wir wissen nicht, wo ihre Eltern sind oder ob sie überhaupt noch am Leben sind. Die zwei Kinder sind inmitten einer traumatisierten Umgebung auf sich selbst gestellt.

In welchem psychischen Zustand kommen die Patienten an?

Wir als Chirurgen sehen naturgemäss die besonders schwer verletzten Patienten in Schockzustand. Sie liegen still da und warten darauf, behandelt zu werden. Wir haben es mit Menschen in kritischem Zustand zu tun, die dringend Notfallchirurgie benötigen, und um ehrlich zu sein gibt es kaum Zeit, darüber hinaus viel zu tun. Wir haben psychologische Berater im Team, die in den Vertriebenenlagern arbeiten. Aber wir haben es mit sehr, sehr schwer traumatisierten Menschen zu tun. Es gibt Kinder, die mitten in der Notaufnahme sitzen, wo Menschen mit schrecklichen Verletzten hereingebracht werden. Diese Kinder sitzen ruhig und scheinbar emotionslos in Mitten all dessen, während wir sie behandeln und versuchen, sie so schnell wie möglich in die Chirurgie oder auf die Station zu bringen.

Was lässt sich über die Lebensbedingungen der Menschen sagen, bevor sie ins Krankenhaus kamen?

Viele von ihnen lebten offensichtlich unter extrem schwierigen Bedingungen. Sie kommen ins Krankenhaus und müssen dringend operiert werden, können dadurch auch keine Nahrung zu sich nehmen, und sicher hatten einige von ihnen in den Tagen davor sehr wenig zu essen. Sie haben nichts, gerade mal die Kleidung am Körper. Und sie sind natürlich verletzt. Die Familienangehörigen – falls es welche gibt – kommen ebenfalls mit leeren Händen. Sie haben keine Töpfe oder Pfannen. Wir, unsere lokalen Kollegen und auch andere Organisationen können ihnen manchmal Kleidung, Sandalen und eine Matratze geben. Und wir verteilen auch Nahrung in den Lagern, unterstützen die Menschen dort. Tausende Kinder und schwangere Frauen benötigen ergänzende Nahrung, damit sie wieder zu Kräften kommen. 

Was sind im Moment die grössten Herausforderungen bei der Arbeit im Krankenhaus?

Am meisten Sorgen bereitet uns die postoperative Pflege. Wir haben eine Station, die auf 45 Betten ausgerichtet ist. Derzeit sind dort ca. 325 Patienten. Es ist sehr schwierig, eine angemessene postoperative Versorgung zu gewährleisten. Wir versuchen laufend, besonders auf jene Patienten zu achten, bei denen die Gefahr einer Infektion oder Sepsis besteht.
Die Schwestern und Pfleger arbeiten sehr hart, in Schichten von 19, 20 Stunden. Das Pflegepersonal ist jedoch knapp. Oft können wir uns nur um einzelne Probleme der Patient kümmern, anstatt unsere Arbeit in normaler Qualität durchzuführen. Es ist sehr schwierig für das gesamte Personal hier, alle arbeiten sehr, sehr hart.

Wie sind die Aussichten für die kommenden Tage?

Wie ich höre, werden die Zahlen der Verletzten in den nächsten Tagen anhalten oder sogar ansteigen. Wir tun unser Möglichstes, um für eine grosse Anzahl von Verletzten gerüstet zu sein. Unsere Hoffnung und unsere Gebete sind natürlich auf ein schnelles Ende dieser Situation gerichtet, doch dafür gibt es derzeit keinerlei Anzeichen.

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