Malawi, 30.06.2017
Malawi, 30.06.2017
© Luca Sola

HIV/Aids: Für Millionen noch immer keine antiretroviralen Medikamente

Über dreissig Jahre nach dem Ausbruch der HIV/Aids-Epidemie und rund zwanzig Jahre nach der Einführung antiretroviraler Medikamente (ARV) in Entwicklungsländern konnte belegt werden, dass HIV-infizierte Personen mit einer antiretroviralen Behandlung gesund bleiben können und für andere Personen nicht mehr ansteckend sind.

Trotzdem haben in den Einsatzgebieten von MSF noch immer zahlreiche Menschen keinen Zugang zu ausreichender Gesundheitsversorgung. Weltweit warten schätzungsweise 10,5 Millionen Menschen auf antiretrovirale Medikamente.

Dank der Anpassung der Behandlungsmassnahmen ist es jedoch durchaus möglich, auch einer grossen Zahl von Menschen eine hochwertige Behandlung anzubieten. Ausserdem gibt es heute wirksame, einfach zu verabreichende und kostengünstige Medikamente auf dem Markt, und es wurden innovative Methoden entwickelt, insbesondere zur Bestimmung der Viruslast.

MSF startete die ersten HIV/Aids-Programme 1990 und unterstützt heute 230’000 HIV-positive Menschen in 19 Ländern in Afrika, Asien und Osteuropa. Die geleistete Hilfe beinhaltet schnellere und einfachere Testverfahren, Behandlungsmassnahmen, Unterstützung bei der Einhaltung der Therapie und unterschiedliche Versorgungsmodelle.

Symptome

HIV/Aids ist eine Krankheit, die langsam voranschreitet. Es ist möglich, dass infizierte Personen während mehreren Jahren (5-7 Jahren) keine Symptome aufweisen, dennoch können sie auch während dieser Zeit das Virus auf andere übertragen. Die Anzeichen und Symptome hängen  schlussendlich von der opportunistischen Infektion ab, durch die sie verursacht werden.

Bei fehlender Behandlung können schwere Krankheiten wie Tuberkulose, Kryptokokkose, bakterielle Infektionen oder gewisse Krebsarten wie Lymphome oder Kaposi-Sarkom ausbrechen. Koinfektionen, insbesondere mit Tuberkulose, gehören zu den häufigsten Todesursachen von HIV-Infizierten.

Was ist HIV/Aids und wie wird dieses Virus übertragen?

HIV (Humanes Immundefizienz-Virus) ist ein Virus, welches das Immunsystem schrittweise zerstört. Die Latenzphase, die mehrere Jahre dauern kann, ist symptomfrei. In dieser Phase werden die Personen als HIV-positiv bezeichnet, das heisst, sie sind Träger des Virus, ohne dass ihr Gesundheitszustand beeinträchtigt ist. Von Aids spricht man erst (AIDS: erworbenes Immundefektsyndrom), wenn die eigentliche Krankheit ausbricht. Bei den Patienten treten dann schwere Krankheitssymptome auf, die auf ein defektes Immunsystem zurückzuführen sind (Infektionen wie Tuberkulose, Tumore).

Die Übertragung des Virus erfolgt durch ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einem infizierten Partner, von der Mutter auf das Kind in der Schwangerschaft und Stillzeit oder beim Kontakt mit kontaminiertem Blut (Infektion mit kontaminierter Nadel, Transfusion von kontaminiertem Blut, kontaminiertes Blut auf offener Wunde).

Worin besteht die neue Strategie der Bekämpfung von HIV/Aids?

Die neue Strategie von MSF folgt den Empfehlungen der WHO von 2016. Sie besteht darin, Personen mit HIV bereits dann zu behandeln, wenn sich noch keine opportunistischen Infektionen wie etwa Tuberkulose ausgebreitet haben. Durch die frühzeitige Behandlung können die Sterblichkeit, das Auftreten neuer Krankheiten und die Zahl der stationären Einweisungen verringert werden. Die Strategie kommt sowohl den Patienten als auch der Gesellschaft als Ganzes zugute, denn durch die Senkung der Viruslast wird auch das Risiko einer weiteren Übertragung verringert.

Heute wird eine HIV-Infektion häufig mit Schnelltests diagnostiziert, die vom Körper gebildete Antikörper gegen das Virus nachweisen. Diese Tests sind kostengünstig, schnell und können selbst ausgeführt werden, so dass viel mehr Menschen diagnostiziert werden können. Der Test liefert das Resultat innert weniger Minuten und ermöglicht so eine Diagnose am gleichen Tag. Falls erforderlich, kann sehr schnell mit der Behandlung begonnen werden. 

Ein weiterer grosser Fortschritt ist die Möglichkeit, die Viruslast zu überprüfen, d.h. die Anzahl der Viruskopien im Blut zu bestimmen. Dies ist unerlässlich, um zu überwachen, wie der Patient seine Medikamente einnimmt, wie das Virus auf die ARV-Behandlung reagiert und ob eine Resistenz gegen Medikamente der ersten Generation vorliegt. Zudem kann sichergestellt werden, dass die antiretroviralen Medikamente die Virusreplikation verhindern.

Welchen Ansatz verfolgt MSF im Rahmen der HIV-Projekte?

Zahlreiche Organisationen unterstützen die Gesundheitsministerien finanziell bei der Versorgung mit ARV und medizinischer Ausrüstung. MSF kann sich daher auf die komplizierteren Fälle und die Entwicklung neuer Versorgungsmodelle konzentrieren.

Die Organisation arbeitet an Strategien, um im Rahmen der Tests Patienten in abgelegenen Gebieten besser zu erreichen, ihnen den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erleichtern und Neuerungen einzuführen, um eine lebenslange effiziente Behandlung für die HIV-positiven Menschen zu gewährleisten. Diese drei Prioritäten stimmen mit jenen des Gemeinsamen Programms der Vereinten Nationen zu HIV/AIDS (UNAIDS) überein. Dessen Ziele für 2020 sind, dass 90 Prozent aller HIV-positiven Menschen eine Diagnose erhalten, 90 Prozent der Personen mit einer HIV-Diagnose behandelt werden und 90 Prozent der Personen mit HIV-Therapie eine Viruslast unter der Nachweisgrenze haben.

Die Stigmatisierung und mangelnde Informationen stellen weiterhin erhebliche Hindernisse für das Screening, die Behandlung und die Nachsorge dar. Es ist wichtig, dass die ARV auch auf Gemeinschaftsebene breit eingesetzt werden. Daneben muss unbedingt die Versorgungsqualität für die Patienten, die schon seit vielen Jahren in Behandlung sind, verbessert werden.

 

Seit Beginn der 2000er-Jahre nutzt MSF die Behandlung auch als Prävention und arbeitet an einer stetigen Verbesserung der Prävention der Mutter-Kind-Übertragung. Eine Frau, die HIV-positiv getestet wird, erhält sofort eine lebenslange antiretrovirale Behandlung. Dies senkt die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus während der Schwangerschaft auf das Baby übertragen wird, auf 1 Prozent und die Mutter selbst bleibt gesund.

Seit 2018 arbeitet MSF an einem dezentralisierten Versorgungsmodell. Das heisst, dass die Menschen die Medikamente in ihrer Nähe erhalten. Das soll dabei helfen, dass die Menschen den lebenslangen Behandlungsplan einhalten. Um die Gesundheitssysteme ressourcenschwacher Länder von der Last der Betreuung der HIV-Patientenkohorte zu befreien, hat MSF die Gesundheitsversorgung der Spitäler in Kliniken für medizinische Grundversorgung verlegt. Zudem wurden gewisse Aufgaben von Pflegefachleuten an nichtmedizinisches Personal und sogenannte Patienten-Experten (Menschen, die HIV-positiv/aidskrank sind oder an Tuberkulose leiden und geschult wurden, um andere Patienten für das Thema zu sensibilisieren und zu beraten) übertragen. Dank des lokalen Ansatzes konnten die MSF-Teams eine höhere Akzeptanz der medizinischen Dienstleistungen in der betroffenen Bevölkerung, ein stärkeres Selbstbewusstsein und mitunter auch eine nachlassende Stigmatisierung – die ein grosses Hindernis für den Zugang zur Gesundheitsversorgung darstellt – beobachten.


Welche Herausforderungen gibt es beim Kampf gegen diese Pandemie?

Das Fortbestehen opportunistischer Erkrankungen beweist, dass viele der HIV-positiven Menschen nicht früh genug behandelt werden. Zwar hat die Zunahme von Generika zu weltweit sinkenden Medikamentenpreisen geführt, aber die Medikamente für opportunistische Erkrankungen bleiben sehr teuer. Zudem gibt es keine optimale Behandlung für Kinder, da die ARV nicht immer für sie geeignet sind.

Die «Medikamentenkampagne» CAME (Campaign for Access to Essentiat Medicines) – die sich dafür einsetzt, dass die Menschen in den Entwicklungsländern Zugang zu den gleichen Medikamenten haben wie in den Industrieländern – verhandelt mit den Pharmaunternehmen, die die Medikamente vertreiben, um sie erschwinglich zu machen. Die Kampagne kämpft zudem dafür, dass die finanziellen Zusagen (insbesondere jene des  Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria) eingehalten werden. In den Ländern, in denen die HIV-/AIDS-Prävalenz sehr hoch ist und die Akteure im Gesundheitswesen unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen erhebliche Anstrengungen unternehmen, um die Epidemie einzudämmen, stehen Zehntausende Menschenleben auf dem Spiel.