Zentralafrikanische Republik: «Die Krise ist noch nicht vorbei»

« J’ai encore mal, parce que les os ne sont pas encore consolidés; mais je serais mort si les soins n’avaient pas été gratuits »

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«Als die Rebellen in die Stadt einfielen, begannen sie, unser Haus zu plündern. Meine Mutter rief mich, als sie sah, wie sie die Tür einschlugen. Sie nahmen alles mit, unsere Sachen, unsere Möbel…»

Marvin Docpenemo war eines der ersten Opfer der Kämpfe, die im Dezember 2013 zwischen den mehrheitlich muslimischen Seleka-Rebellen und den mehrheitlich christlichen Anti-Balaka-Milizen in Bangui wüteten. Als er bei einem Überfall versuchte, sein Hab und Gut zu schützen, wurde er aus nächster Nähe von einer Kugel getroffen, die sein Bein zertrümmerte. Vom ersten Tag an behandelten MSF-Helfer seine Verletzungen. Seit nunmehr über einem Jahr lässt er Operationen über sich ergehen, als Letztes eine Knochentransplantation.
«In dem Moment, als ich das Haus betrat, schossen sie aus nächster Nähe auf mich. Ein bewaffneter Mann stand direkt neben meinem Zimmer – er schoss, dann verschwand er. Ich blieb eine Weile stehen, bis ich im rechten Fuss einen Krampf verspürte. Erst als ich zu Boden fiel, sah ich, dass mein Bein zerfetzt war. Ich konnte meine Knochen und Venen sehen: Ich dachte, ich würde sterben. Kriechend schleppte ich mich durch das Haus, bis mich ein Nachbar entdeckte. Er brachte mich an die Strasse, wo mich eine Ambulanz von MSF mitnahm.»
Unterdessen wird Marvin seit einem Jahr im Spital behandelt, wo er mit seinen Krücken aus Holz durch die Gänge hoppelt. Trotz des durch die Kugel verursachten Knochenverlusts wollte man eine Amputation um jeden Preis vermeiden. Vor Kurzem hat ein Orthopäde eine Knochentransplantation vorgenommen. «Ich habe zwar noch Schmerzen, da die Knochen noch nicht zusammengewachsen sind. Aber ich wäre nicht mehr hier, wenn diese Behandlung nicht kostenlos gewesen wäre», fügt Marvin hinzu. MSF kümmert sich seit Dezember 2013 um Menschen, die im Konflikt verletzt werden. Allein in den ersten drei Monaten von 2014 wurden mehr als 2‘000 Personen behandelt.
Die gesundheitliche Lage in diesem gebeutelten Land ist nach wie vor katastrophal. Schon vor dem Konflikt vermochte das Gesundheitswesen den Bedarf der Bevölkerung kaum abzudecken. Viele Zentralafrikaner haben keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Während es auch im Januar 2015 sporadisch zu Gewaltausbrüchen kommt, bleibt das Allgemeinspital von Bangui, das von MSF unterstützt wird, die einzige Einrichtung der Stadt, die rund um die Uhr Verletzte aufnehmen kann.
Anthelme Seka, der die MSF-Aktivitäten im Spital in Bangui koordiniert, erläutert: «Derzeit haben wir täglich etwa 20 Verletzte, die notfallmässig hospitalisiert werden müssen oder bei denen ein chirurgischer Eingriff nötig ist. 70 Prozent der Verletzungen stammen aus Verkehrsunfällen, aber wir haben weiterhin auch ein bis zwei Personen pro Tag, deren Verletzungen durch Macheten, Messer oder Schusswaffen verursacht wurden. Wir haben ausserdem eine Stelle eingerichtet, die Opfer sexueller Gewalt betreut.»
Während Bangui weiterhin sporadisch Schauplatz von Gefechten wird, ist das Spital von Bangui einer der wenigen Orte, wo Muslime und Christen friedlich zusammenleben können. «Das Personal achtet ständig darauf, dass keine Waffen ins Spital gelangen. Wenn ein neuer Patient eintrifft, weisen wir ihn darauf hin, dass er für die Behandlung seiner Verletzungen hier ist, nicht wegen seiner Religion oder Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Diese Aufklärung ist sehr wichtig», fügt Anthelme hinzu.
Unterdessen betont Marvin: «Die Massaker gehen weiter. Man findet Verletzte hier, eine Leiche dort… Es ist noch lange nicht ausgestanden».

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